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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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edlen Mannes bis in sein äußeres Gebühren verfolgt, daß er nicht raucht u. s. w.
Diese Anschauungsweise gehört wesentlich der jetzt abgeschlossenen Periode an. Um
unsere Männer kennen zu lernen, hat man nicht mehr nöthig, sie in ihrem Cabi-
net zu belauschen; Intimität gehört nicht mehr zum Verständniß. Die Redner¬
bühne, der Markt, allenfalls das Feldlager sind offen für jeden Blick; die Her¬
zensgeschichte überläßt man dem Roman.

Daß damit die Kunst einen neuen Styl annehmen muß, ist evident. Früher
mußte man sein überquellendes Herz in einsamer Lyrik ausströmen, jetzt aber ist
es aller Welt verstattet, so laut zu sein, als es die unmittelbare Stimmung mit
sich bringt. Von der Poesie wie vom Leben wird man jetzt nicht mehr Energie
der Stimmung fordern, sondern Energie des Charakters. Man gewöhnt sich, die
Helden des Lebens in ihrer Totalität zu übersehen, man wird auch in der Dich¬
tung in reiner Fassung suchen, was die Wirklichkeit durch äußerliche und zufällige
Zuthaten vermischt: Einheit und Totalität.




Lamartine's Geschichte der Revolution von 184".



Früh genug hat sich Herr v. Lamartine in der Lage gesehn, seine Rolle als
Staatsmann wieder mit der bescheidneren eines Geschichtsschreibers vertauschen
zu können. Die Popularität verbraucht sich in Frankreich unglaublich schnell, der
Wankelmuth der Berliner ist Nichts dagegen. In den ersten Tagen der Revolu¬
tion wie ein Halbgott verehrt -- selbst die auswärtigen Nationen beeilten sich, in
diesen Cultus mit einzustimmen -- findet er jetzt mit Mühe, in einer Nachwahl, und
auch hier nicht ohne Intriguen, ein bescheidenes Plätzchen in der gesetzgebenden
Versammlung.

Die historische Darstellung eines Zeitalters, dessen Pendelschwingungen noch
fortdauern, kann immer uur in der Form von Memoiren auftrete"; sie wird um
so werthvoller für den spätern Geschichtsschreiber sein, je genauer sie sich an die
eignen, unmittelbaren Erlebnisse hält. Nun sollte man meinen, daß zu einer
gründlichen Auseinandersetzung der Pariser Ereignisse vom Februar bis zum Juni
Niemand geeigneter wäre, als unser Autor. Er stand überall mitten in den Be¬
gebenheiten, hatte alle Fäden in seiner Hand, und ist doch seiner poetischen
Natur nach zu objectiv, um sich durch ein einseitiges Parteiinteresse leiten zu
lassen.

Aber seine persönliche Eitelkeit, die Alles übersteigt, was man in Fabeln
erdichtet hat, läßt ihn zu einer einfachen Darstellung nicht kommen. Der erste


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edlen Mannes bis in sein äußeres Gebühren verfolgt, daß er nicht raucht u. s. w.
Diese Anschauungsweise gehört wesentlich der jetzt abgeschlossenen Periode an. Um
unsere Männer kennen zu lernen, hat man nicht mehr nöthig, sie in ihrem Cabi-
net zu belauschen; Intimität gehört nicht mehr zum Verständniß. Die Redner¬
bühne, der Markt, allenfalls das Feldlager sind offen für jeden Blick; die Her¬
zensgeschichte überläßt man dem Roman.

Daß damit die Kunst einen neuen Styl annehmen muß, ist evident. Früher
mußte man sein überquellendes Herz in einsamer Lyrik ausströmen, jetzt aber ist
es aller Welt verstattet, so laut zu sein, als es die unmittelbare Stimmung mit
sich bringt. Von der Poesie wie vom Leben wird man jetzt nicht mehr Energie
der Stimmung fordern, sondern Energie des Charakters. Man gewöhnt sich, die
Helden des Lebens in ihrer Totalität zu übersehen, man wird auch in der Dich¬
tung in reiner Fassung suchen, was die Wirklichkeit durch äußerliche und zufällige
Zuthaten vermischt: Einheit und Totalität.




Lamartine's Geschichte der Revolution von 184«.



Früh genug hat sich Herr v. Lamartine in der Lage gesehn, seine Rolle als
Staatsmann wieder mit der bescheidneren eines Geschichtsschreibers vertauschen
zu können. Die Popularität verbraucht sich in Frankreich unglaublich schnell, der
Wankelmuth der Berliner ist Nichts dagegen. In den ersten Tagen der Revolu¬
tion wie ein Halbgott verehrt — selbst die auswärtigen Nationen beeilten sich, in
diesen Cultus mit einzustimmen — findet er jetzt mit Mühe, in einer Nachwahl, und
auch hier nicht ohne Intriguen, ein bescheidenes Plätzchen in der gesetzgebenden
Versammlung.

Die historische Darstellung eines Zeitalters, dessen Pendelschwingungen noch
fortdauern, kann immer uur in der Form von Memoiren auftrete»; sie wird um
so werthvoller für den spätern Geschichtsschreiber sein, je genauer sie sich an die
eignen, unmittelbaren Erlebnisse hält. Nun sollte man meinen, daß zu einer
gründlichen Auseinandersetzung der Pariser Ereignisse vom Februar bis zum Juni
Niemand geeigneter wäre, als unser Autor. Er stand überall mitten in den Be¬
gebenheiten, hatte alle Fäden in seiner Hand, und ist doch seiner poetischen
Natur nach zu objectiv, um sich durch ein einseitiges Parteiinteresse leiten zu
lassen.

Aber seine persönliche Eitelkeit, die Alles übersteigt, was man in Fabeln
erdichtet hat, läßt ihn zu einer einfachen Darstellung nicht kommen. Der erste


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[0215] edlen Mannes bis in sein äußeres Gebühren verfolgt, daß er nicht raucht u. s. w. Diese Anschauungsweise gehört wesentlich der jetzt abgeschlossenen Periode an. Um unsere Männer kennen zu lernen, hat man nicht mehr nöthig, sie in ihrem Cabi- net zu belauschen; Intimität gehört nicht mehr zum Verständniß. Die Redner¬ bühne, der Markt, allenfalls das Feldlager sind offen für jeden Blick; die Her¬ zensgeschichte überläßt man dem Roman. Daß damit die Kunst einen neuen Styl annehmen muß, ist evident. Früher mußte man sein überquellendes Herz in einsamer Lyrik ausströmen, jetzt aber ist es aller Welt verstattet, so laut zu sein, als es die unmittelbare Stimmung mit sich bringt. Von der Poesie wie vom Leben wird man jetzt nicht mehr Energie der Stimmung fordern, sondern Energie des Charakters. Man gewöhnt sich, die Helden des Lebens in ihrer Totalität zu übersehen, man wird auch in der Dich¬ tung in reiner Fassung suchen, was die Wirklichkeit durch äußerliche und zufällige Zuthaten vermischt: Einheit und Totalität. Lamartine's Geschichte der Revolution von 184«. Früh genug hat sich Herr v. Lamartine in der Lage gesehn, seine Rolle als Staatsmann wieder mit der bescheidneren eines Geschichtsschreibers vertauschen zu können. Die Popularität verbraucht sich in Frankreich unglaublich schnell, der Wankelmuth der Berliner ist Nichts dagegen. In den ersten Tagen der Revolu¬ tion wie ein Halbgott verehrt — selbst die auswärtigen Nationen beeilten sich, in diesen Cultus mit einzustimmen — findet er jetzt mit Mühe, in einer Nachwahl, und auch hier nicht ohne Intriguen, ein bescheidenes Plätzchen in der gesetzgebenden Versammlung. Die historische Darstellung eines Zeitalters, dessen Pendelschwingungen noch fortdauern, kann immer uur in der Form von Memoiren auftrete»; sie wird um so werthvoller für den spätern Geschichtsschreiber sein, je genauer sie sich an die eignen, unmittelbaren Erlebnisse hält. Nun sollte man meinen, daß zu einer gründlichen Auseinandersetzung der Pariser Ereignisse vom Februar bis zum Juni Niemand geeigneter wäre, als unser Autor. Er stand überall mitten in den Be¬ gebenheiten, hatte alle Fäden in seiner Hand, und ist doch seiner poetischen Natur nach zu objectiv, um sich durch ein einseitiges Parteiinteresse leiten zu lassen. Aber seine persönliche Eitelkeit, die Alles übersteigt, was man in Fabeln erdichtet hat, läßt ihn zu einer einfachen Darstellung nicht kommen. Der erste 27*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/215>, abgerufen am 05.02.2025.