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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Kleine Porträts.



Ritter Bunsen.

Bunsen, jetzt 55 -- 56 Jahre alt, ist gebürtig aus Corbach im Waldeckischen.
Er, der jetzt in den glänzendsten Verhältnissen lebt, ist der Sohn sehr armer
Eltern, sein Vater war Unteroffizier in holländischen Diensten. Freunde und
Gönner, welche das schon in früher Jngend aufstrebende Talent erkannt hatten,
ließen ihn auf ihre Kosten in Göttingen studiren. Er studirte Philologie und Theo¬
logie und erregte im philologischen Seminar Heyne's Aufmerksamkeit. Durch
dessen Empfehlung wurde er Führer eines reisenden Engländers, begleitete densel¬
ben durch Frankreich nach Italien, entzweite sich aber in Florenz mit ihm und
blieb in dieser Stabs zurück. Zu seinem Glück kam um diese Zeit Niebuhr als
preußischer Gesandter nach Italien, lernte den reichbegabten Jüngling kennen,
nahm ihn als Privatsecretär mit sich nach Rom und verschaffte ihm Gelegenheit,
in mehrern vornehmen Häusern deutschen Sprachunterricht zu ertheilen. So er¬
langte er auch Zutritt in dem Hause eiuer reichen Engländerin, seiner spätern
Schwiegermutter, welche ihn in den Cirkeln regelmäßig mit der Formel vorzustellen
pflegte: ,Muster Lunsen, >öl>c> l'ormvs tuo Spint öl' "liuiAtiter." Durch
seine Verheirathung im Anfang der zwanziger Jahre erlangte er zwar in der einen
Hinsicht eine unabhängige Stellung, fühlte sich aber in anderer Beziehung durch
die pecuniäre Abhängigkeit von Frau und Schwiegermutter gedrückt. Seine Ge¬
mahlin, mit welcher er in glücklicher, kinderreicher Ehe lebt, war schon damals
weniger durch Schönheit, als durch häusliche Tugend, durch Geist und Charakter
ausgezeichnet. Ihre geselligen Formen sind etwas schroff, für den Augenblick mehr
zurückstoßend als gewinnend, ihr Kern durchaus edel. Sie scheint das ausge¬
zeichnete Sprachentalent ihres Mannes zu theilen: sie hat durch den Umgang mit
demselben in kurzer Zeit vortrefflich Deutsch sprechen lernen, ohne je einen Fuß
auf deutschen Boden gesetzt zu haben. Nachdem Bunsen schon längere Zeit ohne
Titel als Legationssccretär fungirt hatte, wurde er auf Niebuhr's Vorschlag
zum wirklichen Legationssecretär ernannt. Wenn wir nicht sehr irren, so waren
damals auch Brandes (jetzt Professor in Bonn) und Tholuck als sogenannt"-
Gesandtschaftskanoniker Niebuhr beigegeben, ein Umgang, der auf Bunsen's theo-


Grenzboten. i". 1849- 21
Kleine Porträts.



Ritter Bunsen.

Bunsen, jetzt 55 — 56 Jahre alt, ist gebürtig aus Corbach im Waldeckischen.
Er, der jetzt in den glänzendsten Verhältnissen lebt, ist der Sohn sehr armer
Eltern, sein Vater war Unteroffizier in holländischen Diensten. Freunde und
Gönner, welche das schon in früher Jngend aufstrebende Talent erkannt hatten,
ließen ihn auf ihre Kosten in Göttingen studiren. Er studirte Philologie und Theo¬
logie und erregte im philologischen Seminar Heyne's Aufmerksamkeit. Durch
dessen Empfehlung wurde er Führer eines reisenden Engländers, begleitete densel¬
ben durch Frankreich nach Italien, entzweite sich aber in Florenz mit ihm und
blieb in dieser Stabs zurück. Zu seinem Glück kam um diese Zeit Niebuhr als
preußischer Gesandter nach Italien, lernte den reichbegabten Jüngling kennen,
nahm ihn als Privatsecretär mit sich nach Rom und verschaffte ihm Gelegenheit,
in mehrern vornehmen Häusern deutschen Sprachunterricht zu ertheilen. So er¬
langte er auch Zutritt in dem Hause eiuer reichen Engländerin, seiner spätern
Schwiegermutter, welche ihn in den Cirkeln regelmäßig mit der Formel vorzustellen
pflegte: ,Muster Lunsen, >öl>c> l'ormvs tuo Spint öl' «liuiAtiter." Durch
seine Verheirathung im Anfang der zwanziger Jahre erlangte er zwar in der einen
Hinsicht eine unabhängige Stellung, fühlte sich aber in anderer Beziehung durch
die pecuniäre Abhängigkeit von Frau und Schwiegermutter gedrückt. Seine Ge¬
mahlin, mit welcher er in glücklicher, kinderreicher Ehe lebt, war schon damals
weniger durch Schönheit, als durch häusliche Tugend, durch Geist und Charakter
ausgezeichnet. Ihre geselligen Formen sind etwas schroff, für den Augenblick mehr
zurückstoßend als gewinnend, ihr Kern durchaus edel. Sie scheint das ausge¬
zeichnete Sprachentalent ihres Mannes zu theilen: sie hat durch den Umgang mit
demselben in kurzer Zeit vortrefflich Deutsch sprechen lernen, ohne je einen Fuß
auf deutschen Boden gesetzt zu haben. Nachdem Bunsen schon längere Zeit ohne
Titel als Legationssccretär fungirt hatte, wurde er auf Niebuhr's Vorschlag
zum wirklichen Legationssecretär ernannt. Wenn wir nicht sehr irren, so waren
damals auch Brandes (jetzt Professor in Bonn) und Tholuck als sogenannt«-
Gesandtschaftskanoniker Niebuhr beigegeben, ein Umgang, der auf Bunsen's theo-


Grenzboten. i«. 1849- 21
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[0169] Kleine Porträts. Ritter Bunsen. Bunsen, jetzt 55 — 56 Jahre alt, ist gebürtig aus Corbach im Waldeckischen. Er, der jetzt in den glänzendsten Verhältnissen lebt, ist der Sohn sehr armer Eltern, sein Vater war Unteroffizier in holländischen Diensten. Freunde und Gönner, welche das schon in früher Jngend aufstrebende Talent erkannt hatten, ließen ihn auf ihre Kosten in Göttingen studiren. Er studirte Philologie und Theo¬ logie und erregte im philologischen Seminar Heyne's Aufmerksamkeit. Durch dessen Empfehlung wurde er Führer eines reisenden Engländers, begleitete densel¬ ben durch Frankreich nach Italien, entzweite sich aber in Florenz mit ihm und blieb in dieser Stabs zurück. Zu seinem Glück kam um diese Zeit Niebuhr als preußischer Gesandter nach Italien, lernte den reichbegabten Jüngling kennen, nahm ihn als Privatsecretär mit sich nach Rom und verschaffte ihm Gelegenheit, in mehrern vornehmen Häusern deutschen Sprachunterricht zu ertheilen. So er¬ langte er auch Zutritt in dem Hause eiuer reichen Engländerin, seiner spätern Schwiegermutter, welche ihn in den Cirkeln regelmäßig mit der Formel vorzustellen pflegte: ,Muster Lunsen, >öl>c> l'ormvs tuo Spint öl' «liuiAtiter." Durch seine Verheirathung im Anfang der zwanziger Jahre erlangte er zwar in der einen Hinsicht eine unabhängige Stellung, fühlte sich aber in anderer Beziehung durch die pecuniäre Abhängigkeit von Frau und Schwiegermutter gedrückt. Seine Ge¬ mahlin, mit welcher er in glücklicher, kinderreicher Ehe lebt, war schon damals weniger durch Schönheit, als durch häusliche Tugend, durch Geist und Charakter ausgezeichnet. Ihre geselligen Formen sind etwas schroff, für den Augenblick mehr zurückstoßend als gewinnend, ihr Kern durchaus edel. Sie scheint das ausge¬ zeichnete Sprachentalent ihres Mannes zu theilen: sie hat durch den Umgang mit demselben in kurzer Zeit vortrefflich Deutsch sprechen lernen, ohne je einen Fuß auf deutschen Boden gesetzt zu haben. Nachdem Bunsen schon längere Zeit ohne Titel als Legationssccretär fungirt hatte, wurde er auf Niebuhr's Vorschlag zum wirklichen Legationssecretär ernannt. Wenn wir nicht sehr irren, so waren damals auch Brandes (jetzt Professor in Bonn) und Tholuck als sogenannt«- Gesandtschaftskanoniker Niebuhr beigegeben, ein Umgang, der auf Bunsen's theo- Grenzboten. i«. 1849- 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/169>, abgerufen am 05.02.2025.