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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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theils vor den Oestreichern fürchtete. So erfolgte den 12. April die Restauration
des Großherzogthums und gleich darauf die Auflösung der Kammern, nur in
Livorno behauptete sich die Republik, aber auch hier nur durch das Proletariat.

Auf Sicilien hatte man die besten Hoffnungen gesetzt. Während des vorigen
Aufstandes hatte das Volk einen tüchtigen Sinn und eine Geschlossenheit gezeigt,
die eine seltene Erscheinung bei den Italienern ist. Die Entschiedenheit, mit wel¬
cher die Negierung und das Parlament im März die Vermittelungsvorschläge der
englischen und französischen Bevollmächtigten verwarfen, ließ einen ernstlichen Kampf
erwarten, und das Erstaunen war daher nicht gering, als im Lauf von noch nicht
14 Tagen ganz Sicilien sich ohne eine Schlacht der Discretion des Königs von
Neapel unterwarf. Den Polen, welche hier wie in Sardinien, wie in allen
Kriegen gegen den Absolutismus sich am Commando betheiligt hatten, blieb nichts
übrig, als sich nach Frankreich zurückzuziehn.

So ist das letzte Asyl des "freien Italiens" -- wenn wir Venedig aufneh-
men, dessen ernstliche Belagerung jetzt gleichfalls durch den Eroberer von Brescia,
F. M. Haynau, beginnt -- die alte Hauptstadt der Christenheit. Hier hat der
Radicalismus sein höchstes Ziel erreicht; man hat die Bannbulle des frommen
Pius verlacht, und das ehemalige Haupt des jungen Europa, der Chef aller ge¬
heimen Verbindungen, die seit 20 Jahren die Grundvesten der alten Legitimität
unterwühlten, steht an der Spitze der Republik. Wahrscheinlich ist der kurze
Traum schon in diesem Augenblick vorüber; unsanft gestört von einer Seite, wo
man es am wenigsten erwartet. Die französische Republik, welche mit der Ver¬
sicherung debütirte, allen Völkern durch "friedliche Mittel" zur Erwerbung ihrer
Freiheit zu verhelfen, beginnt ihre Thätigkeit damit, das Papstthum zu restauri-
ren. Die Phrasen, mit denen der in den Formen der jüngsten Philosophie ge¬
schulte Mazzini reichlich umzugehn weiß, werden gegen die Bajonnette des alten
Napoleonischen Marschalls nicht weit ausreichen, und die Wiege der italienischen
Erhebung wird auch ihr Sarg sein.




Die Ostermesse stand hier im schönsten Flor, da flog durch die Menscken-
massen und Budenreihen die finstre Nachricht, in Dresden sei Aufstand losgebro¬
chen, man kämpfe gegen das Militär, die hiesige Garnison solle auf der Eisen¬
bahn nach Dresden geschafft werden. Aufgeregte Volkshaufen wogten um den
Bahnhof und durch die Nachbarstraßen, die Schienen wurden aufgerissen, um den Ab¬
zug der Schützen zu verhindern, welche auf einem Umwege außerhalb Leipzig die
Bahnlinie zu erreichen wußten; das Frankfurter Thor wurde durch Lastwagen ver¬
rammelt, weil man den Einzug von Preußen aus Mersevurg oder irgend woher


theils vor den Oestreichern fürchtete. So erfolgte den 12. April die Restauration
des Großherzogthums und gleich darauf die Auflösung der Kammern, nur in
Livorno behauptete sich die Republik, aber auch hier nur durch das Proletariat.

Auf Sicilien hatte man die besten Hoffnungen gesetzt. Während des vorigen
Aufstandes hatte das Volk einen tüchtigen Sinn und eine Geschlossenheit gezeigt,
die eine seltene Erscheinung bei den Italienern ist. Die Entschiedenheit, mit wel¬
cher die Negierung und das Parlament im März die Vermittelungsvorschläge der
englischen und französischen Bevollmächtigten verwarfen, ließ einen ernstlichen Kampf
erwarten, und das Erstaunen war daher nicht gering, als im Lauf von noch nicht
14 Tagen ganz Sicilien sich ohne eine Schlacht der Discretion des Königs von
Neapel unterwarf. Den Polen, welche hier wie in Sardinien, wie in allen
Kriegen gegen den Absolutismus sich am Commando betheiligt hatten, blieb nichts
übrig, als sich nach Frankreich zurückzuziehn.

So ist das letzte Asyl des „freien Italiens" — wenn wir Venedig aufneh-
men, dessen ernstliche Belagerung jetzt gleichfalls durch den Eroberer von Brescia,
F. M. Haynau, beginnt — die alte Hauptstadt der Christenheit. Hier hat der
Radicalismus sein höchstes Ziel erreicht; man hat die Bannbulle des frommen
Pius verlacht, und das ehemalige Haupt des jungen Europa, der Chef aller ge¬
heimen Verbindungen, die seit 20 Jahren die Grundvesten der alten Legitimität
unterwühlten, steht an der Spitze der Republik. Wahrscheinlich ist der kurze
Traum schon in diesem Augenblick vorüber; unsanft gestört von einer Seite, wo
man es am wenigsten erwartet. Die französische Republik, welche mit der Ver¬
sicherung debütirte, allen Völkern durch „friedliche Mittel" zur Erwerbung ihrer
Freiheit zu verhelfen, beginnt ihre Thätigkeit damit, das Papstthum zu restauri-
ren. Die Phrasen, mit denen der in den Formen der jüngsten Philosophie ge¬
schulte Mazzini reichlich umzugehn weiß, werden gegen die Bajonnette des alten
Napoleonischen Marschalls nicht weit ausreichen, und die Wiege der italienischen
Erhebung wird auch ihr Sarg sein.




Die Ostermesse stand hier im schönsten Flor, da flog durch die Menscken-
massen und Budenreihen die finstre Nachricht, in Dresden sei Aufstand losgebro¬
chen, man kämpfe gegen das Militär, die hiesige Garnison solle auf der Eisen¬
bahn nach Dresden geschafft werden. Aufgeregte Volkshaufen wogten um den
Bahnhof und durch die Nachbarstraßen, die Schienen wurden aufgerissen, um den Ab¬
zug der Schützen zu verhindern, welche auf einem Umwege außerhalb Leipzig die
Bahnlinie zu erreichen wußten; das Frankfurter Thor wurde durch Lastwagen ver¬
rammelt, weil man den Einzug von Preußen aus Mersevurg oder irgend woher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/268>, abgerufen am 15.01.2025.