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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Offene Briefe.
^'-U'U, , ,
An Julius Fröbel in Berlin.



Verehrter Freund!

Unser gemeinschaftlicher Freund, Arnold Rüge, pflegt zu behaupten, daß,
wo die Prinzipien sich trennen, auch die Herzen sich trennen müssen, mit andern
Worten, daß man einander Feind werden muß, wenn man in den Ansichten ein§-
einandergcht, und er pflegt in solchen Fällen mit einem fulminanten Fehdebrief
M den "Verräther" bei der Hand zu sein.

Das ist nun meine Meinung keineswegs; ich glaube, daß man in sehr we¬
sentlichen Fragen sich entzweien kann, ohne die gegenseitige Achtung zu verlieren.
Selbst in Zeiten ernsthaften Kampfes ist das möglich. Aber allerdings hat die
Sache ihre Grenze. Es steht im Homer anmuthig genug aus, wenn zwei Helden
den Kampf der männermordenden Zwietracht auskämpfen und dann in Freundschaft
auseinandergehen, aber damals trieb man dergleichen Balgereien zu seinem Ver¬
gnügen, und es hätte etwas gefehlt, wenn man sich nicht geschlagen hätte; heute
ist es mit solchen Kämpfen ernsthafter. Es gibt Verirrungen der Meinung, die
einen bösartige" Charakter haben, die in ihrer weitern Consequenz zu Handlungen
führen, die man nicht mehr in leidenschaftloser Objectivität betrachten darf. Sie
sind auf einem solchen Wege und darum muß ich offen mit Ihnen rechten.

Mir wurde schon bange, als man Sie zur Redaction des neuerrichteten Volks¬
blattes nach Mannheim berief. Ich kannte die Leidenschaftlichkeit Ihres politischen
Idealismus, der an Jntensivität des Ausdrucks ersetzte, was ihm an concreten
Inhalt abging. Von den deutschen Verhältnissen hatten Sie nicht den geringsten
Begriff, am wenigsten von den norddeutschen. Es kam, wie ich erwartet hatte;
im Anfang strebte die Zeitung noch nach idealen Bildern von Republik oder der¬
gleichen, sie nahm ein vornehmeres Air an, als die Mannheimer Abendzeitung.
Aber es zeigte sich bald, daß der stofflose Idealismus sich nur in erbitterter
Kritik Luft mache" kann. Das Volksblan wurde ein Arsenal für Angrisse der
wunderlichsten Art auf alles Bestehende. Ost genug waren es Verdrehungen oder
geradezu Lügen, denn Sie hatten keine Kenntniß der wirklichen Zustände und
nahmen im besten Glauben Alles für wahr an, was Tyrannenhaß athmete. Nament¬
lich Preußen kam schlecht weg, vielleicht weil ihr Mitrcdacteur, Herr Pelz, früher
in Preußen über häßliche Vexatione" zu klage" hatte. Indessen stach die Haltung
des Blattes gegen den sansculottischen Ton, den ziemlich die ganze süddeutsche


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Offene Briefe.
^'-U'U, , ,
An Julius Fröbel in Berlin.



Verehrter Freund!

Unser gemeinschaftlicher Freund, Arnold Rüge, pflegt zu behaupten, daß,
wo die Prinzipien sich trennen, auch die Herzen sich trennen müssen, mit andern
Worten, daß man einander Feind werden muß, wenn man in den Ansichten ein§-
einandergcht, und er pflegt in solchen Fällen mit einem fulminanten Fehdebrief
M den „Verräther" bei der Hand zu sein.

Das ist nun meine Meinung keineswegs; ich glaube, daß man in sehr we¬
sentlichen Fragen sich entzweien kann, ohne die gegenseitige Achtung zu verlieren.
Selbst in Zeiten ernsthaften Kampfes ist das möglich. Aber allerdings hat die
Sache ihre Grenze. Es steht im Homer anmuthig genug aus, wenn zwei Helden
den Kampf der männermordenden Zwietracht auskämpfen und dann in Freundschaft
auseinandergehen, aber damals trieb man dergleichen Balgereien zu seinem Ver¬
gnügen, und es hätte etwas gefehlt, wenn man sich nicht geschlagen hätte; heute
ist es mit solchen Kämpfen ernsthafter. Es gibt Verirrungen der Meinung, die
einen bösartige» Charakter haben, die in ihrer weitern Consequenz zu Handlungen
führen, die man nicht mehr in leidenschaftloser Objectivität betrachten darf. Sie
sind auf einem solchen Wege und darum muß ich offen mit Ihnen rechten.

Mir wurde schon bange, als man Sie zur Redaction des neuerrichteten Volks¬
blattes nach Mannheim berief. Ich kannte die Leidenschaftlichkeit Ihres politischen
Idealismus, der an Jntensivität des Ausdrucks ersetzte, was ihm an concreten
Inhalt abging. Von den deutschen Verhältnissen hatten Sie nicht den geringsten
Begriff, am wenigsten von den norddeutschen. Es kam, wie ich erwartet hatte;
im Anfang strebte die Zeitung noch nach idealen Bildern von Republik oder der¬
gleichen, sie nahm ein vornehmeres Air an, als die Mannheimer Abendzeitung.
Aber es zeigte sich bald, daß der stofflose Idealismus sich nur in erbitterter
Kritik Luft mache» kann. Das Volksblan wurde ein Arsenal für Angrisse der
wunderlichsten Art auf alles Bestehende. Ost genug waren es Verdrehungen oder
geradezu Lügen, denn Sie hatten keine Kenntniß der wirklichen Zustände und
nahmen im besten Glauben Alles für wahr an, was Tyrannenhaß athmete. Nament¬
lich Preußen kam schlecht weg, vielleicht weil ihr Mitrcdacteur, Herr Pelz, früher
in Preußen über häßliche Vexatione» zu klage» hatte. Indessen stach die Haltung
des Blattes gegen den sansculottischen Ton, den ziemlich die ganze süddeutsche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/69>, abgerufen am 28.06.2024.