Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.der russischen Heersäulen. Werden die Festungen armirt, so heißt es: seht ihr nun, III. Die neueste pariser Emeute. Diesen unschuldigen Namen geben die meisten Journale einem Ereigniß, welches der russischen Heersäulen. Werden die Festungen armirt, so heißt es: seht ihr nun, III. Die neueste pariser Emeute. Diesen unschuldigen Namen geben die meisten Journale einem Ereigniß, welches <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0064" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277494"/> <p xml:id="ID_182" prev="#ID_181"> der russischen Heersäulen. Werden die Festungen armirt, so heißt es: seht ihr nun,<lb/> daß die Russen kommen? werden sie nicht armirt, so ist das ein neuer Beweis, daß<lb/> sie uns im geheimen EinVerständniß mit unsern Regierungen besetzen werden; versichert<lb/> der Czar, daß er Frieden halten will, so ist es klar wie die Sonne, daß er uns be¬<lb/> trügen will; würde er drohen, so würde man ihm glauben, und thut er gar nichts,<lb/> so sieht man darin auch eine feindliche Demonstration; kurz ich glaube, wenn der<lb/> Selbstherrscher aller Russen auf öffentlichem Markt im härmen Gewand und mit einer<lb/> centnerschweren Wachskerze in der Hand, Buße thäte für seine absolutistischen Sünden,<lb/> wenn er bei den pntribus c»v8eil>ni8 des demokratischen Clubs demüthig um die<lb/> Stelle eines Thürstehers sollicitirte es würde alles nicht ausreichen, um die Gesell¬<lb/> schaft, die die Politik unserer Ostgräuzcn in Pacht genommen hat, für ihren Ausfall an<lb/> Neuigkeiten, über das Land, von dessen Gestaden so wenig Wanderer wiederkehren, zu ent¬<lb/> schädigen. Freilich würden alle diese Neuigkeiten nichts helfen, wenn sie nicht gelesen würden,<lb/> sie werden gelesen und zwar von einem großen Theile des Publikums mit besonderem Ver-<lb/> gnügen. Man hatte uns zeither eingeredet, daß wir politische Kinder wären, und<lb/> wir glaubten es halb und halb selbst, bis das Kinderjäckchen, das endlich gar zu eng<lb/> geworden war, mit einem politischen Ruck zersprang, und wir uns groß und mündig<lb/> fühlten, aber alle Gewohnheiten unserer Kindsperiode haben wir noch nicht los werden<lb/> können; wir hören namentlich noch gar zu gern Räuber - und Gespenstergeschichten,<lb/> und jedes alte Weib, das sich ein Geschäft daraus macht, uns dergleichen zu erzäh¬<lb/> len, kann auf ein williges Ohr von unserer Seite rechnen; ja, wir gehen in unserer<lb/> Vorliebe für solche Schauergeschichten so weit, daß mir absichtlich das Licht auslöschen,<lb/> um uns nnr im Finstern recht con iunorv graulen zu können. Zwar steigt das<lb/> Granier nicht bis zur- wirklichen Gespensterfurcht, und ich bin fest überzeugt, daß jeder<lb/> Dieb, der es wagen wollte unter der Maske eines Gespenstes bei uns einzusteigen, sehr<lb/> solide und handgreifliche Prügel bekommen würde; aber heißt es nicht solche Experimente<lb/> herausfordern, wenn wir jene schlechten Märchen wie wichtige Wahrheiten behandeln?<lb/> Werden wir dadurch nicht zum Gespött aller vernünftigen Leute? Man kann von dem<lb/> russischen Kaiser kaum lebhafte Sympathien für die deutsche Freiheit verlangen. Wirft<lb/> er uns den Fehdehandschuh hin, so werden wir ihn bereitwillig aufnehmen; aber wir<lb/> suchen den Krieg nicht, nicht weil wir ihn fürchten, sondern weil er uns in unserer<lb/> Entwicklung um Jahrzehnde zurückbringen kann, und weil wir uns nicht berufen füh¬<lb/> len, uns mit den Russen herumzuschlagen, um sie zu cultiviren.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> III.<lb/> Die neueste pariser Emeute.</head><lb/> <p xml:id="ID_183" next="#ID_184"> Diesen unschuldigen Namen geben die meisten Journale einem Ereigniß, welches<lb/> einen Wendepunkt in der Geschichte Frankreichs bildet. Es ließe sich, ohne viel Wort-<lb/> verschwcnduug, ein Buch darüber schreiben. Wir begnügen uns heute mit einigen Rand¬<lb/> glossen. Der Aufstand, welcher in Paris vom 23. bis 26. Juni wüthete, war eine<lb/> sociale Revolution, ein Vernichtungskrieg im furchtbarsten Sinne des Wortes. Noch<lb/> läßt sich das angestiftete Unheil nicht übersehen, so wenig wie die Folgen sich in diesem<lb/> Augenblick ermessen lassen. Keine Bartolomäusuacht, kein napoleonischer Sieg hat<lb/> Frankreich so viel Generäle und Stabsoffiziere gekostet. Erschossen sind die Generäle<lb/> Brea, Renaud und Regner, eine große Anzahl von Obersten, Adjutanten u. s. w.,<lb/> außerdem der Erzbischof von Paris; schwer verwundet sind neun Generäle. Die Zahl</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0064]
der russischen Heersäulen. Werden die Festungen armirt, so heißt es: seht ihr nun,
daß die Russen kommen? werden sie nicht armirt, so ist das ein neuer Beweis, daß
sie uns im geheimen EinVerständniß mit unsern Regierungen besetzen werden; versichert
der Czar, daß er Frieden halten will, so ist es klar wie die Sonne, daß er uns be¬
trügen will; würde er drohen, so würde man ihm glauben, und thut er gar nichts,
so sieht man darin auch eine feindliche Demonstration; kurz ich glaube, wenn der
Selbstherrscher aller Russen auf öffentlichem Markt im härmen Gewand und mit einer
centnerschweren Wachskerze in der Hand, Buße thäte für seine absolutistischen Sünden,
wenn er bei den pntribus c»v8eil>ni8 des demokratischen Clubs demüthig um die
Stelle eines Thürstehers sollicitirte es würde alles nicht ausreichen, um die Gesell¬
schaft, die die Politik unserer Ostgräuzcn in Pacht genommen hat, für ihren Ausfall an
Neuigkeiten, über das Land, von dessen Gestaden so wenig Wanderer wiederkehren, zu ent¬
schädigen. Freilich würden alle diese Neuigkeiten nichts helfen, wenn sie nicht gelesen würden,
sie werden gelesen und zwar von einem großen Theile des Publikums mit besonderem Ver-
gnügen. Man hatte uns zeither eingeredet, daß wir politische Kinder wären, und
wir glaubten es halb und halb selbst, bis das Kinderjäckchen, das endlich gar zu eng
geworden war, mit einem politischen Ruck zersprang, und wir uns groß und mündig
fühlten, aber alle Gewohnheiten unserer Kindsperiode haben wir noch nicht los werden
können; wir hören namentlich noch gar zu gern Räuber - und Gespenstergeschichten,
und jedes alte Weib, das sich ein Geschäft daraus macht, uns dergleichen zu erzäh¬
len, kann auf ein williges Ohr von unserer Seite rechnen; ja, wir gehen in unserer
Vorliebe für solche Schauergeschichten so weit, daß mir absichtlich das Licht auslöschen,
um uns nnr im Finstern recht con iunorv graulen zu können. Zwar steigt das
Granier nicht bis zur- wirklichen Gespensterfurcht, und ich bin fest überzeugt, daß jeder
Dieb, der es wagen wollte unter der Maske eines Gespenstes bei uns einzusteigen, sehr
solide und handgreifliche Prügel bekommen würde; aber heißt es nicht solche Experimente
herausfordern, wenn wir jene schlechten Märchen wie wichtige Wahrheiten behandeln?
Werden wir dadurch nicht zum Gespött aller vernünftigen Leute? Man kann von dem
russischen Kaiser kaum lebhafte Sympathien für die deutsche Freiheit verlangen. Wirft
er uns den Fehdehandschuh hin, so werden wir ihn bereitwillig aufnehmen; aber wir
suchen den Krieg nicht, nicht weil wir ihn fürchten, sondern weil er uns in unserer
Entwicklung um Jahrzehnde zurückbringen kann, und weil wir uns nicht berufen füh¬
len, uns mit den Russen herumzuschlagen, um sie zu cultiviren.
III.
Die neueste pariser Emeute.
Diesen unschuldigen Namen geben die meisten Journale einem Ereigniß, welches
einen Wendepunkt in der Geschichte Frankreichs bildet. Es ließe sich, ohne viel Wort-
verschwcnduug, ein Buch darüber schreiben. Wir begnügen uns heute mit einigen Rand¬
glossen. Der Aufstand, welcher in Paris vom 23. bis 26. Juni wüthete, war eine
sociale Revolution, ein Vernichtungskrieg im furchtbarsten Sinne des Wortes. Noch
läßt sich das angestiftete Unheil nicht übersehen, so wenig wie die Folgen sich in diesem
Augenblick ermessen lassen. Keine Bartolomäusuacht, kein napoleonischer Sieg hat
Frankreich so viel Generäle und Stabsoffiziere gekostet. Erschossen sind die Generäle
Brea, Renaud und Regner, eine große Anzahl von Obersten, Adjutanten u. s. w.,
außerdem der Erzbischof von Paris; schwer verwundet sind neun Generäle. Die Zahl
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