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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Gesichtspuncte zieht an, aber ohne zu befriedigen; man blättert gern darin, aber
man wird nicht fortgerissen. Die Ernsthaftigkeit, mit der Friedrichs philosophische
Gedichte besprochen werden, hgt einen burlesken Anstrich, und ist wohl die einzige
Spur des falschen Patriotismus, der im ersten Theil sehr widerlich auftrat.

So ist denn das Werk als unterhaltende und belehrende Lectüre immer von
großem Interesse, als wesentliches Glied der Literatur wird es aber kaum eine
Stelle beanspruchen können. *




Portraits aus der Berliner Constituante.



8) Wal deck. Er ist der Ultra vom reinsten Wasser: bei keiner einzigen
Abstimmung hat er die äußerste Linke im Stiche gelassen -- selbst nicht beim Ja-
coby'schen Antrage. Von seiner Partei wird er zum Danke auf deu Händen getra¬
gen: sie coquettirt mit ihm, wie mit einem Kleinode. "Man irrt sich," sagte mir
d'Ester während der letzten Ministerkrisis, "wenn man durch die Aufnahme B l ö in'S
ins Cabinet uns eine Concession zu machen glaubt: nur die Ernennung Waldeck's
konnte uns gewinnen -- sein Einfluß auf unsere Fraction ist ein unbedingter."
Blom ist den Herren schon nicht mehr links genug, weil er bei der Debatte über
den Reichsverweser und die Auslieferung Kuhr's nicht ans einem Horne mit
ihnen geblasen.

Diese Verehrung Waldeck's hat eine doppelte Quelle: es liegt ihr zum min¬
desten eben so viel Heuchelei als wahrhafte Achtung zu Grunde. Allerdings ist
er der Einzige seiner Partei, der vielseitige und selbst gediegene Kenntnisse mit
der Gabe der hinreißenden Rede verbindet. Jacoby geht die letzte Fähigkeit ganz
ab , ihm steht einzig eine scharfe formelle Dialektik zu Gebote; d'Ester dagegen,
so feurig er spricht, leidet an einem Uebersluß von Mangel an Bildung -- mau
erinnert sich wohl uoch des langen Vortrags, dessen leitender Gedanke die Unver-
antwortlichkcit des nordamerikanischen Präsidenten war! -- Doch diese Vorgänge
sind nicht entscheidend, am wenigsten in einer Fraction, wo mit maßloser Arro¬
ganz Jeder den Andern zu überragen glaubt. Waldeck's Stellung unter seinen
Genossen beruht weniger auf seinen guten Eigenschaften, als auf seinen Fehlern.
Er ist, mit einem Worte, durch und durch ein redlicher Enthusiast und als solcher
nicht der Dictator, sondern das biegsame Werkzeug der Partei, der er sich einmal
ergeben, und zwar das beste Werkzeug, daß sie sich wünschen kann. Niemand
versieht ihre Sache mit solcher Begeisterung, Niemand -- was mehr werth ist -
mit solcher Treuherzigkeit, eben weil er die verborgenen Motive nicht merkt. Da-


Grenzboten. III. 1848.

Gesichtspuncte zieht an, aber ohne zu befriedigen; man blättert gern darin, aber
man wird nicht fortgerissen. Die Ernsthaftigkeit, mit der Friedrichs philosophische
Gedichte besprochen werden, hgt einen burlesken Anstrich, und ist wohl die einzige
Spur des falschen Patriotismus, der im ersten Theil sehr widerlich auftrat.

So ist denn das Werk als unterhaltende und belehrende Lectüre immer von
großem Interesse, als wesentliches Glied der Literatur wird es aber kaum eine
Stelle beanspruchen können. *




Portraits aus der Berliner Constituante.



8) Wal deck. Er ist der Ultra vom reinsten Wasser: bei keiner einzigen
Abstimmung hat er die äußerste Linke im Stiche gelassen — selbst nicht beim Ja-
coby'schen Antrage. Von seiner Partei wird er zum Danke auf deu Händen getra¬
gen: sie coquettirt mit ihm, wie mit einem Kleinode. „Man irrt sich," sagte mir
d'Ester während der letzten Ministerkrisis, „wenn man durch die Aufnahme B l ö in'S
ins Cabinet uns eine Concession zu machen glaubt: nur die Ernennung Waldeck's
konnte uns gewinnen — sein Einfluß auf unsere Fraction ist ein unbedingter."
Blom ist den Herren schon nicht mehr links genug, weil er bei der Debatte über
den Reichsverweser und die Auslieferung Kuhr's nicht ans einem Horne mit
ihnen geblasen.

Diese Verehrung Waldeck's hat eine doppelte Quelle: es liegt ihr zum min¬
desten eben so viel Heuchelei als wahrhafte Achtung zu Grunde. Allerdings ist
er der Einzige seiner Partei, der vielseitige und selbst gediegene Kenntnisse mit
der Gabe der hinreißenden Rede verbindet. Jacoby geht die letzte Fähigkeit ganz
ab , ihm steht einzig eine scharfe formelle Dialektik zu Gebote; d'Ester dagegen,
so feurig er spricht, leidet an einem Uebersluß von Mangel an Bildung — mau
erinnert sich wohl uoch des langen Vortrags, dessen leitender Gedanke die Unver-
antwortlichkcit des nordamerikanischen Präsidenten war! — Doch diese Vorgänge
sind nicht entscheidend, am wenigsten in einer Fraction, wo mit maßloser Arro¬
ganz Jeder den Andern zu überragen glaubt. Waldeck's Stellung unter seinen
Genossen beruht weniger auf seinen guten Eigenschaften, als auf seinen Fehlern.
Er ist, mit einem Worte, durch und durch ein redlicher Enthusiast und als solcher
nicht der Dictator, sondern das biegsame Werkzeug der Partei, der er sich einmal
ergeben, und zwar das beste Werkzeug, daß sie sich wünschen kann. Niemand
versieht ihre Sache mit solcher Begeisterung, Niemand — was mehr werth ist -
mit solcher Treuherzigkeit, eben weil er die verborgenen Motive nicht merkt. Da-


Grenzboten. III. 1848.
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[0525] Gesichtspuncte zieht an, aber ohne zu befriedigen; man blättert gern darin, aber man wird nicht fortgerissen. Die Ernsthaftigkeit, mit der Friedrichs philosophische Gedichte besprochen werden, hgt einen burlesken Anstrich, und ist wohl die einzige Spur des falschen Patriotismus, der im ersten Theil sehr widerlich auftrat. So ist denn das Werk als unterhaltende und belehrende Lectüre immer von großem Interesse, als wesentliches Glied der Literatur wird es aber kaum eine Stelle beanspruchen können. * Portraits aus der Berliner Constituante. 8) Wal deck. Er ist der Ultra vom reinsten Wasser: bei keiner einzigen Abstimmung hat er die äußerste Linke im Stiche gelassen — selbst nicht beim Ja- coby'schen Antrage. Von seiner Partei wird er zum Danke auf deu Händen getra¬ gen: sie coquettirt mit ihm, wie mit einem Kleinode. „Man irrt sich," sagte mir d'Ester während der letzten Ministerkrisis, „wenn man durch die Aufnahme B l ö in'S ins Cabinet uns eine Concession zu machen glaubt: nur die Ernennung Waldeck's konnte uns gewinnen — sein Einfluß auf unsere Fraction ist ein unbedingter." Blom ist den Herren schon nicht mehr links genug, weil er bei der Debatte über den Reichsverweser und die Auslieferung Kuhr's nicht ans einem Horne mit ihnen geblasen. Diese Verehrung Waldeck's hat eine doppelte Quelle: es liegt ihr zum min¬ desten eben so viel Heuchelei als wahrhafte Achtung zu Grunde. Allerdings ist er der Einzige seiner Partei, der vielseitige und selbst gediegene Kenntnisse mit der Gabe der hinreißenden Rede verbindet. Jacoby geht die letzte Fähigkeit ganz ab , ihm steht einzig eine scharfe formelle Dialektik zu Gebote; d'Ester dagegen, so feurig er spricht, leidet an einem Uebersluß von Mangel an Bildung — mau erinnert sich wohl uoch des langen Vortrags, dessen leitender Gedanke die Unver- antwortlichkcit des nordamerikanischen Präsidenten war! — Doch diese Vorgänge sind nicht entscheidend, am wenigsten in einer Fraction, wo mit maßloser Arro¬ ganz Jeder den Andern zu überragen glaubt. Waldeck's Stellung unter seinen Genossen beruht weniger auf seinen guten Eigenschaften, als auf seinen Fehlern. Er ist, mit einem Worte, durch und durch ein redlicher Enthusiast und als solcher nicht der Dictator, sondern das biegsame Werkzeug der Partei, der er sich einmal ergeben, und zwar das beste Werkzeug, daß sie sich wünschen kann. Niemand versieht ihre Sache mit solcher Begeisterung, Niemand — was mehr werth ist - mit solcher Treuherzigkeit, eben weil er die verborgenen Motive nicht merkt. Da- Grenzboten. III. 1848.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/525>, abgerufen am 28.06.2024.