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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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sich an dem letzter" Umstand genügen zu lassen. Aber der Plan der deutschen
Zeitung erweckt noch ein Hanptbcdenken durch das zweifelhafte Loos, welches er
Preußen zutheilt. Die preußische Centralisation soll aufgelöst werden. Dafür
bedanken wir uns in Deutschlands und Preußens Namen.

Man spricht jetzt so viel von Selbstregierung und ihrem Todfeind, der Cen¬
tralisation. Aber alle Centralisation läßt sich nicht in Selfgonvernement auflösen,
das gibt ein infusorisches Leben. Es ist wohl richtig, daß der einzelne Theil
als ein untergeordnetes System des Ganzen in seiner Bestimmtheit selbst thätig
sein soll, aber die Unterordnung, die Bestimmtheit dnrch das Ganze darf nicht
verwischt werden, sonst sind wir aus dem schönsten Weg zum Chaos. Die Unter¬
suchung , für welche Funktionen des deutschen Staatslebens die Centralisation auf¬
gehoben und für welche sie beibehalten und eingeführt werden muß, wollen wir
ans ein anderes Mal versparen. Aber vorläufig'behaupten wir, daß die preußi¬
sche Staatseinheit auflösen einen Schritt zurück thun und außerdem eine gefähr¬
liche Thorheit begehen hieße. Darin hat die Deutsche Zeitung recht: Zwei Par¬
lamente können in einem Staate nicht neben einander bestehen und die Kammern
des ganzen preußischen Staats werden immer ein Parlament und nicht bloße
Provinzialstände sein. Daher muß entweder bei einer losen Form des Bundes-
staates die Reichskammer nur ein Ausschuß ans den Einzelkammern sein oder es
darf bei einer Form, die mehr oder minder dem Einheitsstaat sich nähert, keine
Kammern sür den jetzigen preußischen Staat geben. Aber die Einheit der preu¬
ßischen Verwaltung darf nicht aufgehoben werden, und weil zur Totalität einer
Verwaltung nach unsern politischen Sitten ein ständisches Organ gehört, so muß
aus den preußischen Provinzialständen -- im Fall das preußische Kaiserthum zu
Stande käme -- ein Ausschuß als ständische Einheit der preußischen Centralver-
waltuug in Berlin periodisch zur Seite stehen. Die Aufgabe des Ausschusses
wäre l) die Vvtirung des preußischen Budgets, 2) die organisirende Gesetzgebung
in Sachen der einheimischen Verwaltung, 3) die parlamentarische Controle dieser
-- r. Verwaltung.




Leipziger Reminiscenzen.

So viel ihr die Köpfe schütteln mögt und so fabelhaft es klingt, es ist doch
wahr: es hat el"mal eine Zeit gegeben, auch in Leipzig, wo die Märzveilchen
noch nicht blühten, die rothen Märzveilchen mit schwarzgelben Rändern. Wie sollte
unsere junge Generation aber noch Erinnerung haben an eine Zeit, die durch
mehr als ein Menschenalter von uns getrennt ist. Die patriarchalische Zeit der
goldnen Unschuld, wo censirt wurde, wo die Buchhändler große Werke verlegten,
und die Course nur um ein Weniges an der Börsenscala auf und abfliegen! Da¬
mals war Leipzig der vorzugsweise liberale Ort; von Wien und von Berlin flüch¬
tete man in das bescheidene Asyl, und so mancher weltbewegende Gedanke, den
Lischke und Sedlnitzki ohne Weiteres der Vernichtung preisgegeben hätten, wurde
durch Marbach's Milde den Nachkommen erhalten, wenn er auch in vielen Fäl¬
len bestimmt war, als Härings - Enveloppe eines unrühmlichen Todes zu sterben.
Mich hat Marbach nur damit geärgert, daß er mir unverdrossen das Gespenst
des Bundestages aufstrich. Ich war unermüdlich in immer neuen Wendungen


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sich an dem letzter» Umstand genügen zu lassen. Aber der Plan der deutschen
Zeitung erweckt noch ein Hanptbcdenken durch das zweifelhafte Loos, welches er
Preußen zutheilt. Die preußische Centralisation soll aufgelöst werden. Dafür
bedanken wir uns in Deutschlands und Preußens Namen.

Man spricht jetzt so viel von Selbstregierung und ihrem Todfeind, der Cen¬
tralisation. Aber alle Centralisation läßt sich nicht in Selfgonvernement auflösen,
das gibt ein infusorisches Leben. Es ist wohl richtig, daß der einzelne Theil
als ein untergeordnetes System des Ganzen in seiner Bestimmtheit selbst thätig
sein soll, aber die Unterordnung, die Bestimmtheit dnrch das Ganze darf nicht
verwischt werden, sonst sind wir aus dem schönsten Weg zum Chaos. Die Unter¬
suchung , für welche Funktionen des deutschen Staatslebens die Centralisation auf¬
gehoben und für welche sie beibehalten und eingeführt werden muß, wollen wir
ans ein anderes Mal versparen. Aber vorläufig'behaupten wir, daß die preußi¬
sche Staatseinheit auflösen einen Schritt zurück thun und außerdem eine gefähr¬
liche Thorheit begehen hieße. Darin hat die Deutsche Zeitung recht: Zwei Par¬
lamente können in einem Staate nicht neben einander bestehen und die Kammern
des ganzen preußischen Staats werden immer ein Parlament und nicht bloße
Provinzialstände sein. Daher muß entweder bei einer losen Form des Bundes-
staates die Reichskammer nur ein Ausschuß ans den Einzelkammern sein oder es
darf bei einer Form, die mehr oder minder dem Einheitsstaat sich nähert, keine
Kammern sür den jetzigen preußischen Staat geben. Aber die Einheit der preu¬
ßischen Verwaltung darf nicht aufgehoben werden, und weil zur Totalität einer
Verwaltung nach unsern politischen Sitten ein ständisches Organ gehört, so muß
aus den preußischen Provinzialständen — im Fall das preußische Kaiserthum zu
Stande käme — ein Ausschuß als ständische Einheit der preußischen Centralver-
waltuug in Berlin periodisch zur Seite stehen. Die Aufgabe des Ausschusses
wäre l) die Vvtirung des preußischen Budgets, 2) die organisirende Gesetzgebung
in Sachen der einheimischen Verwaltung, 3) die parlamentarische Controle dieser
— r. Verwaltung.




Leipziger Reminiscenzen.

So viel ihr die Köpfe schütteln mögt und so fabelhaft es klingt, es ist doch
wahr: es hat el»mal eine Zeit gegeben, auch in Leipzig, wo die Märzveilchen
noch nicht blühten, die rothen Märzveilchen mit schwarzgelben Rändern. Wie sollte
unsere junge Generation aber noch Erinnerung haben an eine Zeit, die durch
mehr als ein Menschenalter von uns getrennt ist. Die patriarchalische Zeit der
goldnen Unschuld, wo censirt wurde, wo die Buchhändler große Werke verlegten,
und die Course nur um ein Weniges an der Börsenscala auf und abfliegen! Da¬
mals war Leipzig der vorzugsweise liberale Ort; von Wien und von Berlin flüch¬
tete man in das bescheidene Asyl, und so mancher weltbewegende Gedanke, den
Lischke und Sedlnitzki ohne Weiteres der Vernichtung preisgegeben hätten, wurde
durch Marbach's Milde den Nachkommen erhalten, wenn er auch in vielen Fäl¬
len bestimmt war, als Härings - Enveloppe eines unrühmlichen Todes zu sterben.
Mich hat Marbach nur damit geärgert, daß er mir unverdrossen das Gespenst
des Bundestages aufstrich. Ich war unermüdlich in immer neuen Wendungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/503>, abgerufen am 03.07.2024.