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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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das Gespenst des Bundestages einzuschmuggeln und hoffte, es werde eine schöne
Stunde kommen, wo Flüchtigkeit und gute Laune dieses wohlmeinenden Gespen¬
stes schonen würde; aber Amtstreue ist nicht in Schlaf zu bringen und mein un¬
glückseliges Gespenst wurde allwöchentlich meuchlings erdolcht. Ich habe mich aber
gerächt; sobald wir die Preßfreiheit erschrieen hatten, ließ ich das Gespenst des
Bundestages mit den fettesten Lettern, deren Andrä nnr irgend habhaft werden
konnte, abdrucken und da steht es nun, der staunenden Nachwelt zum Denkmale,
der herzlosen Ceusorenscheere zum Trotz, die zu aufgeklärt war, um an Gespenster
zu glauben.

Was haben wir eigentlich in Leipzig gemacht in dieser idyllischen vormärzlichen
Zeit, in müßigen Stunden wo der Aerger über die Ceusurstriche nicht ganz aus¬
reichte, unsern Geist zu beschäftigen? Wird mir doch selber schwer, meine Erin¬
nerung zu fixiren. Leipzig lustwandelte Nachmittags im Rosenthal, das von wür¬
zigen Knoblauchdüsteu geschwängert war, es ließ sich bei Kintschy Walzer von
schlechtgestimmten Instrumenten vorspielen. Der lyrische Dichter Mautner
disputirte peripatetisch mit Arnold Ruge und versöhnte sich in Gohlis bei Ko¬
telettes mit Allerlei, der vereinigte Kasperle im Frack trank Bier mit dem junge"
Oestreich, Abends spielte Otto Wigand im Museum mit Hirschbach eine
blinde Partie, und gähnend und schlaftrunken blickte manch gewissenhafter Zeitungs-
leser über die Augsburger Allgemeine, in der nichts stand, zu ihnen herüber.
Sonnabends war ein Festtag im Museum; man griff nach dem Charivari, neu¬
gierig , welchen unglückseligen Liberalen Oettinger würde gespeist haben, mau ver¬
schlang die fliegenden Blätter, und wer sich das Ansehn geben wollte, Englisch
zu verstehn, besah die Bilder im Punch. Auch die illustrirte Zeitung, die Illu¬
stration und die iun8trateä ^.onäon Neop8 wurden mit großer Aufmerksamkeit ver¬
folgt. Wer haushälterisch war, versparte sich das eine oder das andere dieser
Blätter auf den Sonntag oder Montag; der Verschwender sah sich genöthigt, von
vorn anzufangen, dann fragte wohl mit halb unterdrücktem Gähnen der Eine den
Andern: wie mag es jetzt in der Schweiz aussehn? -- O sie werde" bald be¬
schlossen haben, anzufangen. -- Das ideelle Leben der Leipziger Liberalen war in
der Schweiz, und man muß gestehn, die Portionen der Begeisterung wurden uns
von dort her homöopathisch zugemessen. Nachmittags trank man bei Falsche uuter
blühenden Mandelbäumen, umduftet von den Gerüchen aus der Küche, Kasse,
spielte mit Kurauda Schach, ließ sich von Hanfeuweise zusammengerotteten Gamins
anbetteln und sah deu gelben Postzeisigen nach, wohin sie etwa Briefe brachten.
Auch ging man ins Theater, wo man im Winter sehr fror, im Sommer sehr
schwitzte, um diese oder jene liebenswürdige Sängerin anzuschwärmen. Am be¬
quemsten waren im Winter die Gewandhausconcerte; man hatte Donnerstags
seine bestimmte Beschäftigung und konnte schon eine halbe Stunde vor Eröff¬
nung der Casse auf der Treppe stehen, um das angenehme Gefühl zu habe",


das Gespenst des Bundestages einzuschmuggeln und hoffte, es werde eine schöne
Stunde kommen, wo Flüchtigkeit und gute Laune dieses wohlmeinenden Gespen¬
stes schonen würde; aber Amtstreue ist nicht in Schlaf zu bringen und mein un¬
glückseliges Gespenst wurde allwöchentlich meuchlings erdolcht. Ich habe mich aber
gerächt; sobald wir die Preßfreiheit erschrieen hatten, ließ ich das Gespenst des
Bundestages mit den fettesten Lettern, deren Andrä nnr irgend habhaft werden
konnte, abdrucken und da steht es nun, der staunenden Nachwelt zum Denkmale,
der herzlosen Ceusorenscheere zum Trotz, die zu aufgeklärt war, um an Gespenster
zu glauben.

Was haben wir eigentlich in Leipzig gemacht in dieser idyllischen vormärzlichen
Zeit, in müßigen Stunden wo der Aerger über die Ceusurstriche nicht ganz aus¬
reichte, unsern Geist zu beschäftigen? Wird mir doch selber schwer, meine Erin¬
nerung zu fixiren. Leipzig lustwandelte Nachmittags im Rosenthal, das von wür¬
zigen Knoblauchdüsteu geschwängert war, es ließ sich bei Kintschy Walzer von
schlechtgestimmten Instrumenten vorspielen. Der lyrische Dichter Mautner
disputirte peripatetisch mit Arnold Ruge und versöhnte sich in Gohlis bei Ko¬
telettes mit Allerlei, der vereinigte Kasperle im Frack trank Bier mit dem junge»
Oestreich, Abends spielte Otto Wigand im Museum mit Hirschbach eine
blinde Partie, und gähnend und schlaftrunken blickte manch gewissenhafter Zeitungs-
leser über die Augsburger Allgemeine, in der nichts stand, zu ihnen herüber.
Sonnabends war ein Festtag im Museum; man griff nach dem Charivari, neu¬
gierig , welchen unglückseligen Liberalen Oettinger würde gespeist haben, mau ver¬
schlang die fliegenden Blätter, und wer sich das Ansehn geben wollte, Englisch
zu verstehn, besah die Bilder im Punch. Auch die illustrirte Zeitung, die Illu¬
stration und die iun8trateä ^.onäon Neop8 wurden mit großer Aufmerksamkeit ver¬
folgt. Wer haushälterisch war, versparte sich das eine oder das andere dieser
Blätter auf den Sonntag oder Montag; der Verschwender sah sich genöthigt, von
vorn anzufangen, dann fragte wohl mit halb unterdrücktem Gähnen der Eine den
Andern: wie mag es jetzt in der Schweiz aussehn? — O sie werde» bald be¬
schlossen haben, anzufangen. — Das ideelle Leben der Leipziger Liberalen war in
der Schweiz, und man muß gestehn, die Portionen der Begeisterung wurden uns
von dort her homöopathisch zugemessen. Nachmittags trank man bei Falsche uuter
blühenden Mandelbäumen, umduftet von den Gerüchen aus der Küche, Kasse,
spielte mit Kurauda Schach, ließ sich von Hanfeuweise zusammengerotteten Gamins
anbetteln und sah deu gelben Postzeisigen nach, wohin sie etwa Briefe brachten.
Auch ging man ins Theater, wo man im Winter sehr fror, im Sommer sehr
schwitzte, um diese oder jene liebenswürdige Sängerin anzuschwärmen. Am be¬
quemsten waren im Winter die Gewandhausconcerte; man hatte Donnerstags
seine bestimmte Beschäftigung und konnte schon eine halbe Stunde vor Eröff¬
nung der Casse auf der Treppe stehen, um das angenehme Gefühl zu habe»,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/504>, abgerufen am 03.07.2024.