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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Zur dänischen Literatur.



Von Henrik Hertz, dessen "König Remo's Tochter" ans der deutschen Bühne
so viel Glück gemacht, ist so eben ein zweites Drama: Svend Dyring's
H aus, in deutscher Uebersetzung erschienen (Leipzig, Lvrck; von F. A. Leo, dem¬
selben vortrefflichen Uebersetzer, dem wir auch die Jolanthe verdanke"), und außer¬
dem noch ein Bändchen lyrischer Gedichte. Von den letzteren ist nicht viel zu sagen;
Stimmung, Melodie, Rhythmus -- die Hauptsache im Lyrischen -- verwischt sich
doch in der Uebersetzung und der Stoff kommt ziemlich bei allen Völkern auf das¬
selbe heraus. Wenn Herder "Stimmen der Völker" sammelte, so entsprang es
ans dem Bedürfniß einer trocknen, an ursprünglicher Poesie höchst armen Zeit;
hentzutage hat dergleichen nur noch ein reflectirtes, etwa ethnographisches Interesse.
In was für Rhythmen man den Mond ansinge, oder die schönen Angen der Liebsten,
oder welche Artigkeiten man den Blumen, Kräutern und Bäumen sagt, oder wie
mau das patriotische Gefühl in Reime bringt, ist am Ende ziemlich gleichartig.
Anders ist es mit dem Drama. "Svend DyringS Hans" hat in Dänemark ein ge¬
wisses Aufsehn erregt; ein berühmter Kritiker, Heiberg, hat eine eigne vortreff¬
liche Abhandlung darüber geschrieben, die uns der Uebersetzer auszugsweise mit¬
theilt. Was uns Deutschen zunächst in diesen Producten der dänischen Muse auf¬
stößt, ist die innige Verwandschaft derselben mit unserer, nnn allmälig verscholle¬
nen romantischen Schule. Ohne damit über den relativen Werth dieser Dichter
etwas ausmachen zu wollen, sehe ich mich veranlaßt, Hertz in die Mitte zu stellen
zwischen L. Tieck und Houwald: die reflectirte Phantastik und die gewissermaßen
wieder zum naiven bekehrte Sentimentalität.

"Svend Dyrings Haus" beruht seiner Fabel nach auf der bekannten Ballade
von der verstorbenen Mutter, die ihre in einer zweiten Ehe vernachlässigten Kin¬
der pflegt. In meiner Kritik über Andersen *) habe ich mich bereits über das
Mißliche solcher Versuche ausgesprochen, den Sagenstoff, der in der leichten, luf¬
tigen Behandlung der Volksweise sich'artig genug ausnimmt, in ein ausgeführtes
poetisches Will auszuspinnen. So etwas muß man nicht malen, sondern nnr so
hinwerfen. Wenn man von den hundertarmigcn Giganten spricht, so klingt das
erträglich genug; auf die Leinwand geworfen, wird diese Idee lächerlich. So
sieht es in der Ballade naiv genug aus, wenn die todte Frau ihrem Manne Vor¬
stellungen darüber macht, daß er die Kinder, für welche sie seidne Bettchen hinter-



*) G cnzborcn ,848, Ur. 5. Bei dieser Gelegenheit empfehle ich eine neue,, höchst elegant
ausgestattete WcihnachtSausgabe der in jener Recension besprochenen reizenden Märchen An¬
dersen's, Mit Illustrationen von B. Petersen. Leipzig, Lorcr,
Zur dänischen Literatur.



Von Henrik Hertz, dessen „König Remo's Tochter" ans der deutschen Bühne
so viel Glück gemacht, ist so eben ein zweites Drama: Svend Dyring's
H aus, in deutscher Uebersetzung erschienen (Leipzig, Lvrck; von F. A. Leo, dem¬
selben vortrefflichen Uebersetzer, dem wir auch die Jolanthe verdanke»), und außer¬
dem noch ein Bändchen lyrischer Gedichte. Von den letzteren ist nicht viel zu sagen;
Stimmung, Melodie, Rhythmus — die Hauptsache im Lyrischen — verwischt sich
doch in der Uebersetzung und der Stoff kommt ziemlich bei allen Völkern auf das¬
selbe heraus. Wenn Herder „Stimmen der Völker" sammelte, so entsprang es
ans dem Bedürfniß einer trocknen, an ursprünglicher Poesie höchst armen Zeit;
hentzutage hat dergleichen nur noch ein reflectirtes, etwa ethnographisches Interesse.
In was für Rhythmen man den Mond ansinge, oder die schönen Angen der Liebsten,
oder welche Artigkeiten man den Blumen, Kräutern und Bäumen sagt, oder wie
mau das patriotische Gefühl in Reime bringt, ist am Ende ziemlich gleichartig.
Anders ist es mit dem Drama. „Svend DyringS Hans" hat in Dänemark ein ge¬
wisses Aufsehn erregt; ein berühmter Kritiker, Heiberg, hat eine eigne vortreff¬
liche Abhandlung darüber geschrieben, die uns der Uebersetzer auszugsweise mit¬
theilt. Was uns Deutschen zunächst in diesen Producten der dänischen Muse auf¬
stößt, ist die innige Verwandschaft derselben mit unserer, nnn allmälig verscholle¬
nen romantischen Schule. Ohne damit über den relativen Werth dieser Dichter
etwas ausmachen zu wollen, sehe ich mich veranlaßt, Hertz in die Mitte zu stellen
zwischen L. Tieck und Houwald: die reflectirte Phantastik und die gewissermaßen
wieder zum naiven bekehrte Sentimentalität.

„Svend Dyrings Haus" beruht seiner Fabel nach auf der bekannten Ballade
von der verstorbenen Mutter, die ihre in einer zweiten Ehe vernachlässigten Kin¬
der pflegt. In meiner Kritik über Andersen *) habe ich mich bereits über das
Mißliche solcher Versuche ausgesprochen, den Sagenstoff, der in der leichten, luf¬
tigen Behandlung der Volksweise sich'artig genug ausnimmt, in ein ausgeführtes
poetisches Will auszuspinnen. So etwas muß man nicht malen, sondern nnr so
hinwerfen. Wenn man von den hundertarmigcn Giganten spricht, so klingt das
erträglich genug; auf die Leinwand geworfen, wird diese Idee lächerlich. So
sieht es in der Ballade naiv genug aus, wenn die todte Frau ihrem Manne Vor¬
stellungen darüber macht, daß er die Kinder, für welche sie seidne Bettchen hinter-



*) G cnzborcn ,848, Ur. 5. Bei dieser Gelegenheit empfehle ich eine neue,, höchst elegant
ausgestattete WcihnachtSausgabe der in jener Recension besprochenen reizenden Märchen An¬
dersen's, Mit Illustrationen von B. Petersen. Leipzig, Lorcr,
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[0424] Zur dänischen Literatur. Von Henrik Hertz, dessen „König Remo's Tochter" ans der deutschen Bühne so viel Glück gemacht, ist so eben ein zweites Drama: Svend Dyring's H aus, in deutscher Uebersetzung erschienen (Leipzig, Lvrck; von F. A. Leo, dem¬ selben vortrefflichen Uebersetzer, dem wir auch die Jolanthe verdanke»), und außer¬ dem noch ein Bändchen lyrischer Gedichte. Von den letzteren ist nicht viel zu sagen; Stimmung, Melodie, Rhythmus — die Hauptsache im Lyrischen — verwischt sich doch in der Uebersetzung und der Stoff kommt ziemlich bei allen Völkern auf das¬ selbe heraus. Wenn Herder „Stimmen der Völker" sammelte, so entsprang es ans dem Bedürfniß einer trocknen, an ursprünglicher Poesie höchst armen Zeit; hentzutage hat dergleichen nur noch ein reflectirtes, etwa ethnographisches Interesse. In was für Rhythmen man den Mond ansinge, oder die schönen Angen der Liebsten, oder welche Artigkeiten man den Blumen, Kräutern und Bäumen sagt, oder wie mau das patriotische Gefühl in Reime bringt, ist am Ende ziemlich gleichartig. Anders ist es mit dem Drama. „Svend DyringS Hans" hat in Dänemark ein ge¬ wisses Aufsehn erregt; ein berühmter Kritiker, Heiberg, hat eine eigne vortreff¬ liche Abhandlung darüber geschrieben, die uns der Uebersetzer auszugsweise mit¬ theilt. Was uns Deutschen zunächst in diesen Producten der dänischen Muse auf¬ stößt, ist die innige Verwandschaft derselben mit unserer, nnn allmälig verscholle¬ nen romantischen Schule. Ohne damit über den relativen Werth dieser Dichter etwas ausmachen zu wollen, sehe ich mich veranlaßt, Hertz in die Mitte zu stellen zwischen L. Tieck und Houwald: die reflectirte Phantastik und die gewissermaßen wieder zum naiven bekehrte Sentimentalität. „Svend Dyrings Haus" beruht seiner Fabel nach auf der bekannten Ballade von der verstorbenen Mutter, die ihre in einer zweiten Ehe vernachlässigten Kin¬ der pflegt. In meiner Kritik über Andersen *) habe ich mich bereits über das Mißliche solcher Versuche ausgesprochen, den Sagenstoff, der in der leichten, luf¬ tigen Behandlung der Volksweise sich'artig genug ausnimmt, in ein ausgeführtes poetisches Will auszuspinnen. So etwas muß man nicht malen, sondern nnr so hinwerfen. Wenn man von den hundertarmigcn Giganten spricht, so klingt das erträglich genug; auf die Leinwand geworfen, wird diese Idee lächerlich. So sieht es in der Ballade naiv genug aus, wenn die todte Frau ihrem Manne Vor¬ stellungen darüber macht, daß er die Kinder, für welche sie seidne Bettchen hinter- *) G cnzborcn ,848, Ur. 5. Bei dieser Gelegenheit empfehle ich eine neue,, höchst elegant ausgestattete WcihnachtSausgabe der in jener Recension besprochenen reizenden Märchen An¬ dersen's, Mit Illustrationen von B. Petersen. Leipzig, Lorcr,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/424>, abgerufen am 03.07.2024.