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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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lassen, a"f der Streu schlafen läßt u. tgi., aber auf der Bühne gesehen, muß eS
einen kuriosen Eindruck machen. DaS Lied, die Fabel, hat an einem einsanken,
gemüthlichen Zuge genug, also hier: die Mutterliebe überlebt noch den Tod. Das
ist rührend, das spricht an. Was läßt sich aber daraus für ein tragisches Motiv
macheu? Wenn diese Erscheinung -- noch dazu in melodramatischer Recitation --
nach rechts und links hin Belehrungen ertheilt, halb Gespenst, halb wirkliche Mutter
und dazu noch rationalistische Abstraction, denn sie erinnert sich schließlich, daß
sie eigentlich nur ans die Träume wirken kann, daß es nicht gehn will, wenn ein
Gespenst die Kinder zu wiegen unternimmt, u. s. w. -- so ist das alles eine wider¬
liche Coquetterie, die Reflexion scheint überall durch und man sieht recht, wie der
Dichter sich hingesetzt hat, die Ballade vor sich, und nun ausstudirt, wie sie in Scene
zu setzen ist. Sollen wir Gespenster sehen, so müssen wir Grane" empfinden;
wenn es uns nicht grauete, so glauben wir nicht daran. Darin hat es Grillparzer
mit seiner närrischen Ahnfrau und Hoffmann mit seinem Fiebcrsvuk viel besser ge¬
troffen. Gespenster sind nichts als die aus uns hcrausgctrctue Furcht, die halb
bekannte Formen, aber in unheimlichen Combinationen, anzunehmen strebt. Wir
könnten sie überhaupt jetzt wohl aus der Kunst entfernen, wie ans dem Leben;
können wir sie aber nicht entbehren, dann muß aller Leichengeruch, alles Grausen
aller Teufelsspuk, die der Poet irgend aufzubieten versteht, für die Legitimität
ihrer Gespensterschast eintreten.

In unserm Fall ist noch dazu die ganze Erscheinung, wie überhaupt alles was
der Ballade entlehnt ist, eine vollkommen überflüssige Figur. Die Handlung selbst
hat ein ganz anderes Motiv; sie ist das ins Sentimentale übersetzte Kälbchen von
Heilbronn. Ein Fräulein wird dnrch einen Apfel, in welche ein Ritter geheim-
nißvolle "Runen" geschnitten hat, zur Liebe gegen denselben entflammt; er liebt
aber eine andere, verschmäht sie, sie folgt ihm durch Wald und Flur, lagert sich
überall wie ein Hündchen zu seinen Füße", bis sie endlich stirbt, und er jene an¬
dere heirathet. Also wieder Cpnk! Somnambulismus, Sympathie u. s. w. Und
was schlimmer ist, pragmatisch explicirte Hexerei. In den Zeiten des naiven Aber¬
glaubens hieß es: das Fräulein hat einen Licbestrank geschmeckt, nun ist es gut,
sie ist behext. Nun wußte mau, woran man war, und das Gewissen konnte sich
beruhigen. Ein so einfaches Experiment ist aber der modernen Bildung viel zu
trivial, die Hexerei muß motivirt werden.

O ihr wißt nicht, welch' heimliche Macht
In diesen verderblichen Runen wacht!
Die dunkeln, die unerklärlichen Zeichen
Können, wenn euer Auge drauf ruht,
Euer" Will.n, wie die Flamme das Wachs, erweichen,
Und wecken Begierde und heimliche Glut.
In eure Gedanken, ins Blut wird jedes Zeichen
Sich listig, wie der Versucher, schleichen.

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einen kuriosen Eindruck machen. DaS Lied, die Fabel, hat an einem einsanken,
gemüthlichen Zuge genug, also hier: die Mutterliebe überlebt noch den Tod. Das
ist rührend, das spricht an. Was läßt sich aber daraus für ein tragisches Motiv
macheu? Wenn diese Erscheinung — noch dazu in melodramatischer Recitation —
nach rechts und links hin Belehrungen ertheilt, halb Gespenst, halb wirkliche Mutter
und dazu noch rationalistische Abstraction, denn sie erinnert sich schließlich, daß
sie eigentlich nur ans die Träume wirken kann, daß es nicht gehn will, wenn ein
Gespenst die Kinder zu wiegen unternimmt, u. s. w. — so ist das alles eine wider¬
liche Coquetterie, die Reflexion scheint überall durch und man sieht recht, wie der
Dichter sich hingesetzt hat, die Ballade vor sich, und nun ausstudirt, wie sie in Scene
zu setzen ist. Sollen wir Gespenster sehen, so müssen wir Grane» empfinden;
wenn es uns nicht grauete, so glauben wir nicht daran. Darin hat es Grillparzer
mit seiner närrischen Ahnfrau und Hoffmann mit seinem Fiebcrsvuk viel besser ge¬
troffen. Gespenster sind nichts als die aus uns hcrausgctrctue Furcht, die halb
bekannte Formen, aber in unheimlichen Combinationen, anzunehmen strebt. Wir
könnten sie überhaupt jetzt wohl aus der Kunst entfernen, wie ans dem Leben;
können wir sie aber nicht entbehren, dann muß aller Leichengeruch, alles Grausen
aller Teufelsspuk, die der Poet irgend aufzubieten versteht, für die Legitimität
ihrer Gespensterschast eintreten.

In unserm Fall ist noch dazu die ganze Erscheinung, wie überhaupt alles was
der Ballade entlehnt ist, eine vollkommen überflüssige Figur. Die Handlung selbst
hat ein ganz anderes Motiv; sie ist das ins Sentimentale übersetzte Kälbchen von
Heilbronn. Ein Fräulein wird dnrch einen Apfel, in welche ein Ritter geheim-
nißvolle „Runen" geschnitten hat, zur Liebe gegen denselben entflammt; er liebt
aber eine andere, verschmäht sie, sie folgt ihm durch Wald und Flur, lagert sich
überall wie ein Hündchen zu seinen Füße», bis sie endlich stirbt, und er jene an¬
dere heirathet. Also wieder Cpnk! Somnambulismus, Sympathie u. s. w. Und
was schlimmer ist, pragmatisch explicirte Hexerei. In den Zeiten des naiven Aber¬
glaubens hieß es: das Fräulein hat einen Licbestrank geschmeckt, nun ist es gut,
sie ist behext. Nun wußte mau, woran man war, und das Gewissen konnte sich
beruhigen. Ein so einfaches Experiment ist aber der modernen Bildung viel zu
trivial, die Hexerei muß motivirt werden.

O ihr wißt nicht, welch' heimliche Macht
In diesen verderblichen Runen wacht!
Die dunkeln, die unerklärlichen Zeichen
Können, wenn euer Auge drauf ruht,
Euer» Will.n, wie die Flamme das Wachs, erweichen,
Und wecken Begierde und heimliche Glut.
In eure Gedanken, ins Blut wird jedes Zeichen
Sich listig, wie der Versucher, schleichen.

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[0425] lassen, a»f der Streu schlafen läßt u. tgi., aber auf der Bühne gesehen, muß eS einen kuriosen Eindruck machen. DaS Lied, die Fabel, hat an einem einsanken, gemüthlichen Zuge genug, also hier: die Mutterliebe überlebt noch den Tod. Das ist rührend, das spricht an. Was läßt sich aber daraus für ein tragisches Motiv macheu? Wenn diese Erscheinung — noch dazu in melodramatischer Recitation — nach rechts und links hin Belehrungen ertheilt, halb Gespenst, halb wirkliche Mutter und dazu noch rationalistische Abstraction, denn sie erinnert sich schließlich, daß sie eigentlich nur ans die Träume wirken kann, daß es nicht gehn will, wenn ein Gespenst die Kinder zu wiegen unternimmt, u. s. w. — so ist das alles eine wider¬ liche Coquetterie, die Reflexion scheint überall durch und man sieht recht, wie der Dichter sich hingesetzt hat, die Ballade vor sich, und nun ausstudirt, wie sie in Scene zu setzen ist. Sollen wir Gespenster sehen, so müssen wir Grane» empfinden; wenn es uns nicht grauete, so glauben wir nicht daran. Darin hat es Grillparzer mit seiner närrischen Ahnfrau und Hoffmann mit seinem Fiebcrsvuk viel besser ge¬ troffen. Gespenster sind nichts als die aus uns hcrausgctrctue Furcht, die halb bekannte Formen, aber in unheimlichen Combinationen, anzunehmen strebt. Wir könnten sie überhaupt jetzt wohl aus der Kunst entfernen, wie ans dem Leben; können wir sie aber nicht entbehren, dann muß aller Leichengeruch, alles Grausen aller Teufelsspuk, die der Poet irgend aufzubieten versteht, für die Legitimität ihrer Gespensterschast eintreten. In unserm Fall ist noch dazu die ganze Erscheinung, wie überhaupt alles was der Ballade entlehnt ist, eine vollkommen überflüssige Figur. Die Handlung selbst hat ein ganz anderes Motiv; sie ist das ins Sentimentale übersetzte Kälbchen von Heilbronn. Ein Fräulein wird dnrch einen Apfel, in welche ein Ritter geheim- nißvolle „Runen" geschnitten hat, zur Liebe gegen denselben entflammt; er liebt aber eine andere, verschmäht sie, sie folgt ihm durch Wald und Flur, lagert sich überall wie ein Hündchen zu seinen Füße», bis sie endlich stirbt, und er jene an¬ dere heirathet. Also wieder Cpnk! Somnambulismus, Sympathie u. s. w. Und was schlimmer ist, pragmatisch explicirte Hexerei. In den Zeiten des naiven Aber¬ glaubens hieß es: das Fräulein hat einen Licbestrank geschmeckt, nun ist es gut, sie ist behext. Nun wußte mau, woran man war, und das Gewissen konnte sich beruhigen. Ein so einfaches Experiment ist aber der modernen Bildung viel zu trivial, die Hexerei muß motivirt werden. O ihr wißt nicht, welch' heimliche Macht In diesen verderblichen Runen wacht! Die dunkeln, die unerklärlichen Zeichen Können, wenn euer Auge drauf ruht, Euer» Will.n, wie die Flamme das Wachs, erweichen, Und wecken Begierde und heimliche Glut. In eure Gedanken, ins Blut wird jedes Zeichen Sich listig, wie der Versucher, schleichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/425>, abgerufen am 26.06.2024.