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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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(seit 1837), Fortunat Stavnicki (1837), und Leopold Kmietovicz, der
bekannte Geistliche, der vor einigen Monaten wegen Theilnahme an der Revolu¬
tion im Jahre 1846 bereits zum Tode verurtheilt war, und mir durch die Stand-
haftigkeit des Bischofes, der ihn nicht entweihen wollte, dem Strange entgangen
war. Besondere Theilnahme erregte der letztere. Es ist ein sonderbares Gefühl,
einen Menschen am Leben und in Freiheit zu sehen, über den der Stab schon
gebrochen war! Wie wird er in Lemberg empfangen werden, wo die Wunde,
die des edlen Wisniewski's Hinrichtung allen Einwohnern Polens schlug,
noch blutet? Noch wandelte Wisnicwki in der Mitte seiner^ Freunde, frei
und schuldlos kehrte auch er in den Kreis der Seinen zurück, wäre ein System,
dem der Tod schon längst geschworen war, einige Monate früher gefallen. Der
Gedanke ist zum Rasendwerden!

Ich habe Ihnen die Scene zu erzählen nicht unterlassen können, weil ich
kein Prophet bin, und nicht weiß, was die Zukunft bringen wird, und was dann
als historischer Moment von Bedeutung sein könnte! --


2.
Der Czechismus und die deutschen Befürchtungen.

Ehe ich Ihnen meine Ansichten über die jetzt mehr als je kritische Lage der
Dinge in Böhmen entwickle, finde ich es für nöthig, Ihnen vor Allem den Stand¬
punkt anzudeuten, von welchem ich wünsche, daß Sie meine Worte auffassen möch¬
ten. Ich gehöre weder als Czeche noch als Dentschböhme zu den Ultras. Das
unbestreitbare Recht aller Nationalitäten sich neben einander zu entwickeln, ist
die Fahne, zu der ich schwöre! Nur von diesem und keinem andern Gesichtspunkte
möchte ich diese Zeilen beherzigt wissen!

Ehe überhaupt der Streit, oder doch wenigstens das vorhandene Moment
eines Streites zwischen Czechen und Deutschen in Böhmen in Erwägung gezogen
werden kann, frägt es sich vor Allem, ob denn die beiden Factoren dieses Streites
in Böhmen wirklich vorhanden seien. Die Antwort muß eine unbedingt bejahende
sein. Das Deutschthum in Böhmen ist nicht nur eine Thatsache von Außen ge¬
kommenen Einflusses (in Bezug auf die nrslavischen Bewohner des Landes), es ist
Thatsache der Ursprünglichkeit, denn die Bevölkerung der deutschen Kreise Böh¬
mens war nie slavisch, ist daher nie germanisirt worden, sie ist eine eben so ur¬
sprünglich deutsche, als jene Würtembergs und Badens! Was ich aber so eben
von den Deutschen in Böhmen sprach, gilt ohne alle Einschränkung auch vollkom¬
men von den Czechen. Auch ihre Ursprünglichkeit im Lande ist unläugbare That¬
sache, sie waren nie Deutsche, und sind daher nie slavistrt worden; sie sind eben
so Slaven von unverfälschten Schrot und Korn, als die Kroaten, Serben, Po¬
len, u. s. w.


(seit 1837), Fortunat Stavnicki (1837), und Leopold Kmietovicz, der
bekannte Geistliche, der vor einigen Monaten wegen Theilnahme an der Revolu¬
tion im Jahre 1846 bereits zum Tode verurtheilt war, und mir durch die Stand-
haftigkeit des Bischofes, der ihn nicht entweihen wollte, dem Strange entgangen
war. Besondere Theilnahme erregte der letztere. Es ist ein sonderbares Gefühl,
einen Menschen am Leben und in Freiheit zu sehen, über den der Stab schon
gebrochen war! Wie wird er in Lemberg empfangen werden, wo die Wunde,
die des edlen Wisniewski's Hinrichtung allen Einwohnern Polens schlug,
noch blutet? Noch wandelte Wisnicwki in der Mitte seiner^ Freunde, frei
und schuldlos kehrte auch er in den Kreis der Seinen zurück, wäre ein System,
dem der Tod schon längst geschworen war, einige Monate früher gefallen. Der
Gedanke ist zum Rasendwerden!

Ich habe Ihnen die Scene zu erzählen nicht unterlassen können, weil ich
kein Prophet bin, und nicht weiß, was die Zukunft bringen wird, und was dann
als historischer Moment von Bedeutung sein könnte! —


2.
Der Czechismus und die deutschen Befürchtungen.

Ehe ich Ihnen meine Ansichten über die jetzt mehr als je kritische Lage der
Dinge in Böhmen entwickle, finde ich es für nöthig, Ihnen vor Allem den Stand¬
punkt anzudeuten, von welchem ich wünsche, daß Sie meine Worte auffassen möch¬
ten. Ich gehöre weder als Czeche noch als Dentschböhme zu den Ultras. Das
unbestreitbare Recht aller Nationalitäten sich neben einander zu entwickeln, ist
die Fahne, zu der ich schwöre! Nur von diesem und keinem andern Gesichtspunkte
möchte ich diese Zeilen beherzigt wissen!

Ehe überhaupt der Streit, oder doch wenigstens das vorhandene Moment
eines Streites zwischen Czechen und Deutschen in Böhmen in Erwägung gezogen
werden kann, frägt es sich vor Allem, ob denn die beiden Factoren dieses Streites
in Böhmen wirklich vorhanden seien. Die Antwort muß eine unbedingt bejahende
sein. Das Deutschthum in Böhmen ist nicht nur eine Thatsache von Außen ge¬
kommenen Einflusses (in Bezug auf die nrslavischen Bewohner des Landes), es ist
Thatsache der Ursprünglichkeit, denn die Bevölkerung der deutschen Kreise Böh¬
mens war nie slavisch, ist daher nie germanisirt worden, sie ist eine eben so ur¬
sprünglich deutsche, als jene Würtembergs und Badens! Was ich aber so eben
von den Deutschen in Böhmen sprach, gilt ohne alle Einschränkung auch vollkom¬
men von den Czechen. Auch ihre Ursprünglichkeit im Lande ist unläugbare That¬
sache, sie waren nie Deutsche, und sind daher nie slavistrt worden; sie sind eben
so Slaven von unverfälschten Schrot und Korn, als die Kroaten, Serben, Po¬
len, u. s. w.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/93>, abgerufen am 29.06.2024.