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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Aus Wien.



Die alte Herrschaft >ab ihre Nachwehen. -- PillerSdvrf und da" Preßgesctz. -- Fickelmont und die Kosa¬
ken. -- Böhmen und der SlaviSmuS. -- Abmarsch der Liguorianer. -- Die Pfaffe" in "oller Reaction. --
Veit'S Predigten. -- Katzenmusiken und Ministerredcn. -- Die Nalionalaardc als Polizei.

Die Stimmung der Oeffentlichkeit gestaltete sich im Laufe der letzten Woche immer
trüber und drückender. Der beinahe sichere und unwiederbringliche Verlust Italiens,
die drohende Stellung Rußlands wirken erschreckend und niederdrückend. Dazu kommt
die von Tag zu Tag allgemeiner und verbreiteter werdende Ueberzeugung, daß wir
gar keinen Mann besitzen, der den gegenwärtigen Verhältnissen gewachsen wäre, der
die neue Zeit, ihre Hoffnungen und Wünsche eben so auf seine Schultern nehmen
könnte, wie Metternich das "iicio" reximo; die Freiheit und der Fortschritt hat eine
Menge guter Köpfe, tüchtige Männer, aber keinen einzigen Staatsmann und es wäre
ein großes Unglück für unsere Sache, und ein unendlicher Vorsprung für die Reaction,
wenn das lange so bliebe. In Folge davon haben unsere Zustände eine gewisse anar¬
chische Gestaltung erhalten, die nur durch ein Mittel zu heben wäre -- durch unge¬
säumte Eröffnung und Zusammenberufung des Landtages. Aus seiner Mitte würden
vielleicht auch jene Staatsmänner aufstehn, die wir brauchen.-

Unser jetziges Cabinet ist durchaus ein Kind des nncien i^ime; es kann seine
alten Gewohnheiten aus der früheren Zeit nicht los werden, so manches Wort, so
manche Phrase, so mancher Schritt erinnert an jene Zeit, die es uns gerne vergessen
machen möchte, es ist der Zopfbcamtc mit der Feder hinterm Ohr, der mit einem
Male die Volkstribune betreten soll. Pillersdorf, der tüchtigste und erleuchtetste von
Allen, ist durch das schlechte Preßgcsctz unpopulär geworden, hat sich überdies unbe¬
greiflicher Weise bei der Rügung eines Straßencxcesscö zu dem Ausdruck "verbrecherisch"
hinreißen lassen, der alle alten Erinnerungen an Sedlinitzky mit einem Male wieder
wach rief und begeht einen nnconstitutioncllen Schritt nach dem andern. Taasc hat
das Cabinet mit sich selbst in Zwiespalt und Widerspruch gebracht, denn während Pil¬
lersdorf den Studenten versprach, er wolle ihre Wünsche und Ansichten in Bezug aus
das Preßgesetz gehörig berücksichtigen, macht unerwartet Taafe bekannt, daß dasselbe in
Kraft und Wirkung bestehe, und verzuckert in echt diplomatischer Weise diese bittere
Pille mit den Versprechungen, daß es recht mild gehandhabt werden solle, daß es kei¬
neswegs eine würdige Besprechung und Rüge der Staatsverwaltung ausschließe, daß
man späterhin Geschwornengerichte einzuführen gedenke, daß die Ausnahme von der
Regel, es sollen nnr eigentliche Ncchtsfreunde Vertheidiger sein, in allen Fällen, wo
keine Ursache zur Verweigerung vorliegt, stattfinden soll u. s. w. aber das Preßgesetz --


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Aus Wien.



Die alte Herrschaft >ab ihre Nachwehen. — PillerSdvrf und da« Preßgesctz. — Fickelmont und die Kosa¬
ken. — Böhmen und der SlaviSmuS. — Abmarsch der Liguorianer. — Die Pfaffe» in «oller Reaction. —
Veit'S Predigten. — Katzenmusiken und Ministerredcn. — Die Nalionalaardc als Polizei.

Die Stimmung der Oeffentlichkeit gestaltete sich im Laufe der letzten Woche immer
trüber und drückender. Der beinahe sichere und unwiederbringliche Verlust Italiens,
die drohende Stellung Rußlands wirken erschreckend und niederdrückend. Dazu kommt
die von Tag zu Tag allgemeiner und verbreiteter werdende Ueberzeugung, daß wir
gar keinen Mann besitzen, der den gegenwärtigen Verhältnissen gewachsen wäre, der
die neue Zeit, ihre Hoffnungen und Wünsche eben so auf seine Schultern nehmen
könnte, wie Metternich das »iicio» reximo; die Freiheit und der Fortschritt hat eine
Menge guter Köpfe, tüchtige Männer, aber keinen einzigen Staatsmann und es wäre
ein großes Unglück für unsere Sache, und ein unendlicher Vorsprung für die Reaction,
wenn das lange so bliebe. In Folge davon haben unsere Zustände eine gewisse anar¬
chische Gestaltung erhalten, die nur durch ein Mittel zu heben wäre — durch unge¬
säumte Eröffnung und Zusammenberufung des Landtages. Aus seiner Mitte würden
vielleicht auch jene Staatsmänner aufstehn, die wir brauchen.-

Unser jetziges Cabinet ist durchaus ein Kind des nncien i^ime; es kann seine
alten Gewohnheiten aus der früheren Zeit nicht los werden, so manches Wort, so
manche Phrase, so mancher Schritt erinnert an jene Zeit, die es uns gerne vergessen
machen möchte, es ist der Zopfbcamtc mit der Feder hinterm Ohr, der mit einem
Male die Volkstribune betreten soll. Pillersdorf, der tüchtigste und erleuchtetste von
Allen, ist durch das schlechte Preßgcsctz unpopulär geworden, hat sich überdies unbe¬
greiflicher Weise bei der Rügung eines Straßencxcesscö zu dem Ausdruck „verbrecherisch"
hinreißen lassen, der alle alten Erinnerungen an Sedlinitzky mit einem Male wieder
wach rief und begeht einen nnconstitutioncllen Schritt nach dem andern. Taasc hat
das Cabinet mit sich selbst in Zwiespalt und Widerspruch gebracht, denn während Pil¬
lersdorf den Studenten versprach, er wolle ihre Wünsche und Ansichten in Bezug aus
das Preßgesetz gehörig berücksichtigen, macht unerwartet Taafe bekannt, daß dasselbe in
Kraft und Wirkung bestehe, und verzuckert in echt diplomatischer Weise diese bittere
Pille mit den Versprechungen, daß es recht mild gehandhabt werden solle, daß es kei¬
neswegs eine würdige Besprechung und Rüge der Staatsverwaltung ausschließe, daß
man späterhin Geschwornengerichte einzuführen gedenke, daß die Ausnahme von der
Regel, es sollen nnr eigentliche Ncchtsfreunde Vertheidiger sein, in allen Fällen, wo
keine Ursache zur Verweigerung vorliegt, stattfinden soll u. s. w. aber das Preßgesetz —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/85>, abgerufen am 29.06.2024.