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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Politische Skizzen.
Das österreichisch-kaiserliche Bewußtsein. --Mailand.



"Das österreichisch-kaiserliche Bewußtsein" heißt eine so eben
(Leipzig, bei Otto Spamer) erschienene Flugschrift, von der wir wünschen, daß
sie in Wien viel gelesen und ehrlich beherzigt werden möge. Der Verf. (Bern¬
hard Friedemann) ist selbst ein Oestreicher, welchem wahrer Patriotismus die
Feder geführt hat und wir sind überzeugt, seine Worte werden allen Freigesinnten
an der Donau ans der Seele geschrieben sein, aber leider schweigen diese Freien
noch, trotz der Preßfreiheit, entweder aus Scheu vor dem prot-drum ont^us, das
mit nichtssagenden Jubel jede männliche Stimme übertönt, oder aus -- Gewohn¬
heit. ES ist daher gut, daß ein Oestreicher, der schon vor der Revolution deutsche
Lust geschöpft hat, ihnen das rechte Wort auf die Zunge legt.

Das österreichisch - kaiserliche Bewußtsein ist dieselbe büreaukratische und diplo¬
matische Fiction, die am 13. März in Luft zerrann; es ist mit andern Worten
der Servilismus der alten Zeit. Wer kein Herz für sein schönes Oestreich oder
Böhmen oder Tyrol hatte, wer kein Herz besaß für die Freiheit, für die geistige
Zukunft der hochbegabten Völker seiner Heimath, sondern alles edlere Streben den
Zwecken und Bedürfnissen der k. k. Gesammtberrschaft opferte, nannte sich sonst "ei¬
nen guten Unterthan, einen guten Oestreicher." Er war weder deutsch, noch un-
deutsch, sondern kaiserlich und seine frömmsten Wünsche verstiegen sich nicht weit
über sein materielles Wohl. Diese Gefühl- und Gesinnungslosigkeit hätten die
Bureaukraten gern zu einem positiven Gefühl, zu einer positiven Gesinnung um¬
gestempelt. Wie Schreiber dieses schon im vorigen Heft andeutete, hätte ein solches
positives Gefühl sich erst aus der faulen Gährung entwickeln können, durch welche
allein die Völkerschaften der Monarchie zu einer compacten Unterthanenmasse
zusammenschmelzen konnten. Dieser Prozeß war eine Unmöglichkeit, so war
auch jenes Gefühl eine Heuchelei, eine Fiction. Seltsamer Weise fand, durch eine
grausame Ironie des Schicksals, Herr Dr. I. Perthaler erst kurz vor jenen März¬
tagen, in denen es wie eine Luftblase zerplatzen sollte, das bezeichnende Wort da¬
für: "österreichisch-kaiserliches Bewußtsein." Ein selbstmörderisches Wort! Die


Politische Skizzen.
Das österreichisch-kaiserliche Bewußtsein. —Mailand.



„Das österreichisch-kaiserliche Bewußtsein" heißt eine so eben
(Leipzig, bei Otto Spamer) erschienene Flugschrift, von der wir wünschen, daß
sie in Wien viel gelesen und ehrlich beherzigt werden möge. Der Verf. (Bern¬
hard Friedemann) ist selbst ein Oestreicher, welchem wahrer Patriotismus die
Feder geführt hat und wir sind überzeugt, seine Worte werden allen Freigesinnten
an der Donau ans der Seele geschrieben sein, aber leider schweigen diese Freien
noch, trotz der Preßfreiheit, entweder aus Scheu vor dem prot-drum ont^us, das
mit nichtssagenden Jubel jede männliche Stimme übertönt, oder aus — Gewohn¬
heit. ES ist daher gut, daß ein Oestreicher, der schon vor der Revolution deutsche
Lust geschöpft hat, ihnen das rechte Wort auf die Zunge legt.

Das österreichisch - kaiserliche Bewußtsein ist dieselbe büreaukratische und diplo¬
matische Fiction, die am 13. März in Luft zerrann; es ist mit andern Worten
der Servilismus der alten Zeit. Wer kein Herz für sein schönes Oestreich oder
Böhmen oder Tyrol hatte, wer kein Herz besaß für die Freiheit, für die geistige
Zukunft der hochbegabten Völker seiner Heimath, sondern alles edlere Streben den
Zwecken und Bedürfnissen der k. k. Gesammtberrschaft opferte, nannte sich sonst „ei¬
nen guten Unterthan, einen guten Oestreicher." Er war weder deutsch, noch un-
deutsch, sondern kaiserlich und seine frömmsten Wünsche verstiegen sich nicht weit
über sein materielles Wohl. Diese Gefühl- und Gesinnungslosigkeit hätten die
Bureaukraten gern zu einem positiven Gefühl, zu einer positiven Gesinnung um¬
gestempelt. Wie Schreiber dieses schon im vorigen Heft andeutete, hätte ein solches
positives Gefühl sich erst aus der faulen Gährung entwickeln können, durch welche
allein die Völkerschaften der Monarchie zu einer compacten Unterthanenmasse
zusammenschmelzen konnten. Dieser Prozeß war eine Unmöglichkeit, so war
auch jenes Gefühl eine Heuchelei, eine Fiction. Seltsamer Weise fand, durch eine
grausame Ironie des Schicksals, Herr Dr. I. Perthaler erst kurz vor jenen März¬
tagen, in denen es wie eine Luftblase zerplatzen sollte, das bezeichnende Wort da¬
für: „österreichisch-kaiserliches Bewußtsein." Ein selbstmörderisches Wort! Die


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[0079] Politische Skizzen. Das österreichisch-kaiserliche Bewußtsein. —Mailand. „Das österreichisch-kaiserliche Bewußtsein" heißt eine so eben (Leipzig, bei Otto Spamer) erschienene Flugschrift, von der wir wünschen, daß sie in Wien viel gelesen und ehrlich beherzigt werden möge. Der Verf. (Bern¬ hard Friedemann) ist selbst ein Oestreicher, welchem wahrer Patriotismus die Feder geführt hat und wir sind überzeugt, seine Worte werden allen Freigesinnten an der Donau ans der Seele geschrieben sein, aber leider schweigen diese Freien noch, trotz der Preßfreiheit, entweder aus Scheu vor dem prot-drum ont^us, das mit nichtssagenden Jubel jede männliche Stimme übertönt, oder aus — Gewohn¬ heit. ES ist daher gut, daß ein Oestreicher, der schon vor der Revolution deutsche Lust geschöpft hat, ihnen das rechte Wort auf die Zunge legt. Das österreichisch - kaiserliche Bewußtsein ist dieselbe büreaukratische und diplo¬ matische Fiction, die am 13. März in Luft zerrann; es ist mit andern Worten der Servilismus der alten Zeit. Wer kein Herz für sein schönes Oestreich oder Böhmen oder Tyrol hatte, wer kein Herz besaß für die Freiheit, für die geistige Zukunft der hochbegabten Völker seiner Heimath, sondern alles edlere Streben den Zwecken und Bedürfnissen der k. k. Gesammtberrschaft opferte, nannte sich sonst „ei¬ nen guten Unterthan, einen guten Oestreicher." Er war weder deutsch, noch un- deutsch, sondern kaiserlich und seine frömmsten Wünsche verstiegen sich nicht weit über sein materielles Wohl. Diese Gefühl- und Gesinnungslosigkeit hätten die Bureaukraten gern zu einem positiven Gefühl, zu einer positiven Gesinnung um¬ gestempelt. Wie Schreiber dieses schon im vorigen Heft andeutete, hätte ein solches positives Gefühl sich erst aus der faulen Gährung entwickeln können, durch welche allein die Völkerschaften der Monarchie zu einer compacten Unterthanenmasse zusammenschmelzen konnten. Dieser Prozeß war eine Unmöglichkeit, so war auch jenes Gefühl eine Heuchelei, eine Fiction. Seltsamer Weise fand, durch eine grausame Ironie des Schicksals, Herr Dr. I. Perthaler erst kurz vor jenen März¬ tagen, in denen es wie eine Luftblase zerplatzen sollte, das bezeichnende Wort da¬ für: „österreichisch-kaiserliches Bewußtsein." Ein selbstmörderisches Wort! Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/79>, abgerufen am 29.06.2024.