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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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ist -- ohne sich selbst oder die verbündeten Staaten irgend über ihre Ansicht
aufzuklären, mit jener gefährlichen Waffe blos gespielt haben würde. Und doch
ist es so. Nachdem die Wahlen vollzogen, erklärt sie plötzlich heiter und gemüth¬
lich ihren getreuen Ständen: es ist brav von euch, daß ihr gehorsam seid; aber
wir haben andere Nachrichten vom Bundestag (in dem doch wohl die Ver¬
treter Preußens auch eineStimme gehabt haben werden!), die Sache
ist nun ungesetzlich, wir kassiren daher die Wahlen und werden nächstens neue anordnen.

Und nachdem sie auf diese Weise dem alten Institut deu letzten Gnadenstoß
versetzt, nachdem sie es erst vor den Augen der Nation auf das schrecklichste com-
promittirt, dann, nachdem es sich für sie geopfert, desavouirt hat -- nach dieser
Einleitung nimmt sie von ihm ein Vertrauensvotum in Anspruch! ein Vertrauens¬
votum in Geldangelegenheiten! Und der Landtag, moralisch völlig vernichtet,
gibt sich auch dazu her, um nur einmal fertig zu werden, um einmal nach
Hause gehn zu können.

Es ist der schlimmste Stoß, den die konstitutionelle Sache bisher erlitten hat;
ein Stoß, von dem sich Preußen als solches kaum erheben kann. Die Wahlen,
die unter diesen Umständen vollzogen werden, werden gewiß keine Deputirte her¬
vorbringen, die für den preußischen Staat noch einiges Interesse haben. Es mag
so gut sein! Obgleich ich gestehen muß, daß unter den gegenwärtigen Umständen
der Banquerout des preußischen Staates mir auch für Deutschland gefährlich er¬
scheint. In einem Augenblick, wo drei Feinde zugleich drohen, läßt sich das Gou¬
vernement die Zügel aus den Händen reißen, und übergibt sie einer demokrati¬
schen Versammlung, die man noch gar nicht übersehen kann.

Aber wir wollen darum den Muth nicht verlieren. Es kommt nur darauf
an, diese Demokratie so fest als möglich zu consolidiren, ihr so viel konservative,
d. h. liberale Elemente, denn beides ist jetzt identisch, zuzuführen als möglich.
Die Wahlen sind jetzt der Schauplatz der Entscheidung.


Julian Schmidt.


N ach er a g.

Bei dem wunderbaren Drange der Ereignisse muß man erwarten, seine eigenen
Ansichten in jedem Augenblick widerlegt zu sehen. So eben erscheint das neue
preußische Wahlgesetz und der stenographische Bericht über die letzte Sitzung des
vereinigten Landtages. Da gleichzeitig das sächsische Wahlgesetz herausgegeben
wurde, hoffte ich einen gemeinsamen Plan der beiden Regierungen. Leider finde
ich nach näherer Einsicht keine Veranlassung, die in dem Aufsatz selbst ausgedrückte
Meinung aufzugeben. Die Rede des Freiherrn v. Vincke appellirt an den preu¬
ßischen Patriotismus, sie athmet die ganze Kraft des ausgezeichneten Mannes,
und man darf sich über den Jubel, der ihr folgte, nicht wundern; aber sie thut


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ist — ohne sich selbst oder die verbündeten Staaten irgend über ihre Ansicht
aufzuklären, mit jener gefährlichen Waffe blos gespielt haben würde. Und doch
ist es so. Nachdem die Wahlen vollzogen, erklärt sie plötzlich heiter und gemüth¬
lich ihren getreuen Ständen: es ist brav von euch, daß ihr gehorsam seid; aber
wir haben andere Nachrichten vom Bundestag (in dem doch wohl die Ver¬
treter Preußens auch eineStimme gehabt haben werden!), die Sache
ist nun ungesetzlich, wir kassiren daher die Wahlen und werden nächstens neue anordnen.

Und nachdem sie auf diese Weise dem alten Institut deu letzten Gnadenstoß
versetzt, nachdem sie es erst vor den Augen der Nation auf das schrecklichste com-
promittirt, dann, nachdem es sich für sie geopfert, desavouirt hat — nach dieser
Einleitung nimmt sie von ihm ein Vertrauensvotum in Anspruch! ein Vertrauens¬
votum in Geldangelegenheiten! Und der Landtag, moralisch völlig vernichtet,
gibt sich auch dazu her, um nur einmal fertig zu werden, um einmal nach
Hause gehn zu können.

Es ist der schlimmste Stoß, den die konstitutionelle Sache bisher erlitten hat;
ein Stoß, von dem sich Preußen als solches kaum erheben kann. Die Wahlen,
die unter diesen Umständen vollzogen werden, werden gewiß keine Deputirte her¬
vorbringen, die für den preußischen Staat noch einiges Interesse haben. Es mag
so gut sein! Obgleich ich gestehen muß, daß unter den gegenwärtigen Umständen
der Banquerout des preußischen Staates mir auch für Deutschland gefährlich er¬
scheint. In einem Augenblick, wo drei Feinde zugleich drohen, läßt sich das Gou¬
vernement die Zügel aus den Händen reißen, und übergibt sie einer demokrati¬
schen Versammlung, die man noch gar nicht übersehen kann.

Aber wir wollen darum den Muth nicht verlieren. Es kommt nur darauf
an, diese Demokratie so fest als möglich zu consolidiren, ihr so viel konservative,
d. h. liberale Elemente, denn beides ist jetzt identisch, zuzuführen als möglich.
Die Wahlen sind jetzt der Schauplatz der Entscheidung.


Julian Schmidt.


N ach er a g.

Bei dem wunderbaren Drange der Ereignisse muß man erwarten, seine eigenen
Ansichten in jedem Augenblick widerlegt zu sehen. So eben erscheint das neue
preußische Wahlgesetz und der stenographische Bericht über die letzte Sitzung des
vereinigten Landtages. Da gleichzeitig das sächsische Wahlgesetz herausgegeben
wurde, hoffte ich einen gemeinsamen Plan der beiden Regierungen. Leider finde
ich nach näherer Einsicht keine Veranlassung, die in dem Aufsatz selbst ausgedrückte
Meinung aufzugeben. Die Rede des Freiherrn v. Vincke appellirt an den preu¬
ßischen Patriotismus, sie athmet die ganze Kraft des ausgezeichneten Mannes,
und man darf sich über den Jubel, der ihr folgte, nicht wundern; aber sie thut


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[0077] ist — ohne sich selbst oder die verbündeten Staaten irgend über ihre Ansicht aufzuklären, mit jener gefährlichen Waffe blos gespielt haben würde. Und doch ist es so. Nachdem die Wahlen vollzogen, erklärt sie plötzlich heiter und gemüth¬ lich ihren getreuen Ständen: es ist brav von euch, daß ihr gehorsam seid; aber wir haben andere Nachrichten vom Bundestag (in dem doch wohl die Ver¬ treter Preußens auch eineStimme gehabt haben werden!), die Sache ist nun ungesetzlich, wir kassiren daher die Wahlen und werden nächstens neue anordnen. Und nachdem sie auf diese Weise dem alten Institut deu letzten Gnadenstoß versetzt, nachdem sie es erst vor den Augen der Nation auf das schrecklichste com- promittirt, dann, nachdem es sich für sie geopfert, desavouirt hat — nach dieser Einleitung nimmt sie von ihm ein Vertrauensvotum in Anspruch! ein Vertrauens¬ votum in Geldangelegenheiten! Und der Landtag, moralisch völlig vernichtet, gibt sich auch dazu her, um nur einmal fertig zu werden, um einmal nach Hause gehn zu können. Es ist der schlimmste Stoß, den die konstitutionelle Sache bisher erlitten hat; ein Stoß, von dem sich Preußen als solches kaum erheben kann. Die Wahlen, die unter diesen Umständen vollzogen werden, werden gewiß keine Deputirte her¬ vorbringen, die für den preußischen Staat noch einiges Interesse haben. Es mag so gut sein! Obgleich ich gestehen muß, daß unter den gegenwärtigen Umständen der Banquerout des preußischen Staates mir auch für Deutschland gefährlich er¬ scheint. In einem Augenblick, wo drei Feinde zugleich drohen, läßt sich das Gou¬ vernement die Zügel aus den Händen reißen, und übergibt sie einer demokrati¬ schen Versammlung, die man noch gar nicht übersehen kann. Aber wir wollen darum den Muth nicht verlieren. Es kommt nur darauf an, diese Demokratie so fest als möglich zu consolidiren, ihr so viel konservative, d. h. liberale Elemente, denn beides ist jetzt identisch, zuzuführen als möglich. Die Wahlen sind jetzt der Schauplatz der Entscheidung. Julian Schmidt. N ach er a g. Bei dem wunderbaren Drange der Ereignisse muß man erwarten, seine eigenen Ansichten in jedem Augenblick widerlegt zu sehen. So eben erscheint das neue preußische Wahlgesetz und der stenographische Bericht über die letzte Sitzung des vereinigten Landtages. Da gleichzeitig das sächsische Wahlgesetz herausgegeben wurde, hoffte ich einen gemeinsamen Plan der beiden Regierungen. Leider finde ich nach näherer Einsicht keine Veranlassung, die in dem Aufsatz selbst ausgedrückte Meinung aufzugeben. Die Rede des Freiherrn v. Vincke appellirt an den preu¬ ßischen Patriotismus, sie athmet die ganze Kraft des ausgezeichneten Mannes, und man darf sich über den Jubel, der ihr folgte, nicht wundern; aber sie thut 9"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/77>, abgerufen am 29.06.2024.