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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Staaten, auf ihre Wünsche die Wahl anzuordnen. Sie hatten nicht den Muth,
ihre Ansicht über das "Vorparlament" zu erklären: sie hätte seine Beschlüsse ent¬
weder adoptiren, oder cassiren müssen, denn daß sie da waren, konnten sie nicht
mehr nach alt diplomatischem Styl übersehen. Sie wählten, wie es die Halb¬
heit immer thut, den gefährlichsten Ausweg: sie dachten die Sache im Stillen zu
vertuschen, sie dachten ohne offene Erklärung die einzelnen Staaten eben so zu
einem lait "acompli zu veranlassen, wie es von dem "Vorparlament" ausgegangen
war. Der Fünfziger Ausschuß ist nicht so zaghaft; sobald er von diesen Intriguen
unterrichtet wird, rückt er sofort dem Bundestag auf den Pelz und droht, und
der Bundestag murmelt ein ?"dei- peccavi, und befiehlt den Staaten, den von dein
"Vorparlament" ausgeschriebenen Wahlmodus zu befolgen; er compromittirt nicht
nnr sich selbst, -- daran war nicht mehr viel gelegen -- sondern auch die Regie¬
rungen, die seinem ersten Gebot gefolgt waren.

O ihr Fürsten, Minister n. f. w.! nicht die Radikalen machen die Revolution,
nicht sie bauen die Republik! ihr selbst beschwört sie herauf, indem ihr durch eure
Halbheit und Ratlosigkeit euch unmöglich macht.

Was thut mittlerweile die preußische Regierung, sie, die im vorigen Jahr
als Vertreter des extremsten Liberalismus sich gebärdet hatte? Sie überträgt die
Wahlen dem alten Landtag, der auch nicht einen Schein von Recht hatte, in
dieser Sache zu wählen; den alten Privilegien Provinzialständen, die alles Ver¬
trauen im Volk verloren hatten. Die Stände sind selber bestürzt; aber sie" sehen
ein, daß eine Weigerung ihrerseits den Sturz des Ministeriums, das sie schützen
sollten, nach sich ziehen müßte, sie wagen also zu Gunsten dieses Ministerium" eine
Usurpation der schlimmsten Art, sie vollzieh" die Wahlen.

Diese Wahlen fielen -- so weit sie bekannt sind -- so aus, daß die Depu¬
taten das alte, rechtlich zu Grabe getragene, specifische Preußenthum vertreten
hätten. Man hatte die Kühnheit gehabt, Männer, wie Stahl und Keller, die Dok¬
trinärs des Systems, auf dem der Fluch der ganzen Nation lastet, zu wählen.

Ich naunte diesen Entschluß der Minister vor einer Woche eine Hundes¬
tagsraserei; denn er gab nicht nur den Radikalen neuen Stoff, er mußte auch
die Freunde des Rechts und der Freiheit zweifelhaft machen. Wenn sich das ge-
sammte Volk nicht schnell erhob und laut protestirte, so geschah es nur, um die
letzte Regierung, auf die man seine Hoffnung setzte, zu schonen. Ich glaubte,
die Negierung werfe der Revolution den Handschuh hin und wolle die ganze con-
servativ - constitutionelle Partei um sich schaaren, um -- vielleicht im Einver-
ständniß mit den andern liberalen Regierungen -- die Decrete der Frankfurter
Versammlung zu cmnulliren. Ein gefährlicher Schritt, aber es war doch irgend
eine Tendenz. Aber ich war allerdings nicht darauf gefaßt, daß diese Regierung
ohne allen Plan gehandelt haben würde. Ich war nicht darauf gesaßt, daß sie in
kindischem Leichtsinn -- der unter diesen Umständen ein Verrath an der Nation


Staaten, auf ihre Wünsche die Wahl anzuordnen. Sie hatten nicht den Muth,
ihre Ansicht über das „Vorparlament" zu erklären: sie hätte seine Beschlüsse ent¬
weder adoptiren, oder cassiren müssen, denn daß sie da waren, konnten sie nicht
mehr nach alt diplomatischem Styl übersehen. Sie wählten, wie es die Halb¬
heit immer thut, den gefährlichsten Ausweg: sie dachten die Sache im Stillen zu
vertuschen, sie dachten ohne offene Erklärung die einzelnen Staaten eben so zu
einem lait »acompli zu veranlassen, wie es von dem „Vorparlament" ausgegangen
war. Der Fünfziger Ausschuß ist nicht so zaghaft; sobald er von diesen Intriguen
unterrichtet wird, rückt er sofort dem Bundestag auf den Pelz und droht, und
der Bundestag murmelt ein ?»dei- peccavi, und befiehlt den Staaten, den von dein
„Vorparlament" ausgeschriebenen Wahlmodus zu befolgen; er compromittirt nicht
nnr sich selbst, — daran war nicht mehr viel gelegen — sondern auch die Regie¬
rungen, die seinem ersten Gebot gefolgt waren.

O ihr Fürsten, Minister n. f. w.! nicht die Radikalen machen die Revolution,
nicht sie bauen die Republik! ihr selbst beschwört sie herauf, indem ihr durch eure
Halbheit und Ratlosigkeit euch unmöglich macht.

Was thut mittlerweile die preußische Regierung, sie, die im vorigen Jahr
als Vertreter des extremsten Liberalismus sich gebärdet hatte? Sie überträgt die
Wahlen dem alten Landtag, der auch nicht einen Schein von Recht hatte, in
dieser Sache zu wählen; den alten Privilegien Provinzialständen, die alles Ver¬
trauen im Volk verloren hatten. Die Stände sind selber bestürzt; aber sie» sehen
ein, daß eine Weigerung ihrerseits den Sturz des Ministeriums, das sie schützen
sollten, nach sich ziehen müßte, sie wagen also zu Gunsten dieses Ministerium« eine
Usurpation der schlimmsten Art, sie vollzieh» die Wahlen.

Diese Wahlen fielen — so weit sie bekannt sind — so aus, daß die Depu¬
taten das alte, rechtlich zu Grabe getragene, specifische Preußenthum vertreten
hätten. Man hatte die Kühnheit gehabt, Männer, wie Stahl und Keller, die Dok¬
trinärs des Systems, auf dem der Fluch der ganzen Nation lastet, zu wählen.

Ich naunte diesen Entschluß der Minister vor einer Woche eine Hundes¬
tagsraserei; denn er gab nicht nur den Radikalen neuen Stoff, er mußte auch
die Freunde des Rechts und der Freiheit zweifelhaft machen. Wenn sich das ge-
sammte Volk nicht schnell erhob und laut protestirte, so geschah es nur, um die
letzte Regierung, auf die man seine Hoffnung setzte, zu schonen. Ich glaubte,
die Negierung werfe der Revolution den Handschuh hin und wolle die ganze con-
servativ - constitutionelle Partei um sich schaaren, um — vielleicht im Einver-
ständniß mit den andern liberalen Regierungen — die Decrete der Frankfurter
Versammlung zu cmnulliren. Ein gefährlicher Schritt, aber es war doch irgend
eine Tendenz. Aber ich war allerdings nicht darauf gefaßt, daß diese Regierung
ohne allen Plan gehandelt haben würde. Ich war nicht darauf gesaßt, daß sie in
kindischem Leichtsinn — der unter diesen Umständen ein Verrath an der Nation


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/76>, abgerufen am 01.07.2024.