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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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an die Möglichkeit eines gewaltsamen Sturzes ihres Systems nicht glauben wollten,
die jede Stimme der Warnung mit Schreibcrhohn erstickten -- wir wollen nicht weitere
Anklage aus sie werfen; wir sind überzeugt, ihr Gewissen muß die furchtbarste der Gei¬
ßeln sür sie sein.




Aus Paris

Die Revolution und das Biirgerthum. -- Die Geldnoth, Louis Blanc und die Eommunisttn. -- T-ische-
reau und Vlanqui, -- Die pis°v5 ,-urieusvs der Kcvue i'vti'aspocUvo. -- Eine Ursache der unzähligen
CorrudtionsMc in Trankrcick?.

Seit dem denkwürdigen Tage, an welchem 200,000 Republikaner auf einem Spa¬
ziergange durch Paris lecto 6" presence machten, haben die Versuche zu einer Reac¬
tion in Paris aufgehört. Man sah diesen Männern an, daß sie von Zeit zu Zeit die
Leibesbeweguug des Schlagens nöthig haben, und daß die Gesammtmasse derselben
weiß, wie diese Leibesbewegung, als Resultat der Bewegung des Geistes, ihr großes
Recht hat. Da durch die Größe der europäischen Bewegung Frankreich im Augenblicke
keinen äußern Feind hat, so ist in den französischen Geschäften kein Posten schwieriger,
als der des Ministers des Innern, und mau könnte es daher naiv nennen, wenn das
Bürgerthum sich über den Radikalismus Lcdru-Rollins beschwert und die Folgen der
Revolution drückend findet. Ich will hiermit keineswegs behaupten, daß so manche
Maßregel nicht hätte vermieden oder gemildert werden können; aber was würde Frank¬
reich, was wurde die Welt dazu gesagt haben, wenn das Volk der Provinzen, nach,
dem alle monarchischen Formen sich in Frankreich als unmöglich erwiesen haben, mo¬
narchische Deputirte in die National-Versammlung geschickt und so, ohne es vielleicht
zu ahnen, den Bürgerkrieg herbeigeführt hätte? Die Propaganda durch Connnissäre für
die Republik war also nothwendig, denn die Provinzen sind im Allgemeinen weit weni¬
ger republikanisch als Paris, und auf dem Lande hält ein großer Theil der Bevölke¬
rung Republik und Kommunismus für identisch und verdammt erstere aus Furcht vor
dem letzter". Die Commissäre mußten also wegen der Gefahr, die dem Lande drohte,
die einflußreichen Beamtenstellen neu und zwar mit solchen Männern besetzen, die Ga¬
rantien für die Republik bieten. Der Einwand, daß die republikanische Regierung in
diesem Falle dasselbe thäte, was mau der monarchischen sonst zum Vorwurfe gemacht
hat: Propaganda für die Wahlen, hat durchaus keinen Halt; denn die Mittel, welche
die jetzige Regierung anwendet, sind nicht wie die der vorigen corrumpirender Natur.
Man verspricht sür das Votum keine Aemter, theilt kein Geld aus u. f. w.,
sondern man sucht nur von den Vortheilen und der Nothwendigkeit der Republik zu
überzeugen*). Auch der Einwand gilt nicht, daß eine Republik ohne Republikaner eine
Lüge sei. Erstens ist die Majorität in Paris republikanisch und da in Frankreich nun
einmal Paris der Siegelbewahrer der öffentlichen Meinung ist und den Provinzen sein
Votum aufdrückt, so kann bei der Wahl zwischen einem Bürgerkriege und einer Bil-



*) Zu diesen Ueberzeugungsgründen scheint eben auch die Drohung mit Bürgerkrieg zu
gehören. D. Red.
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an die Möglichkeit eines gewaltsamen Sturzes ihres Systems nicht glauben wollten,
die jede Stimme der Warnung mit Schreibcrhohn erstickten — wir wollen nicht weitere
Anklage aus sie werfen; wir sind überzeugt, ihr Gewissen muß die furchtbarste der Gei¬
ßeln sür sie sein.




Aus Paris

Die Revolution und das Biirgerthum. — Die Geldnoth, Louis Blanc und die Eommunisttn. — T-ische-
reau und Vlanqui, — Die pis°v5 ,-urieusvs der Kcvue i'vti'aspocUvo. — Eine Ursache der unzähligen
CorrudtionsMc in Trankrcick?.

Seit dem denkwürdigen Tage, an welchem 200,000 Republikaner auf einem Spa¬
ziergange durch Paris lecto 6« presence machten, haben die Versuche zu einer Reac¬
tion in Paris aufgehört. Man sah diesen Männern an, daß sie von Zeit zu Zeit die
Leibesbeweguug des Schlagens nöthig haben, und daß die Gesammtmasse derselben
weiß, wie diese Leibesbewegung, als Resultat der Bewegung des Geistes, ihr großes
Recht hat. Da durch die Größe der europäischen Bewegung Frankreich im Augenblicke
keinen äußern Feind hat, so ist in den französischen Geschäften kein Posten schwieriger,
als der des Ministers des Innern, und mau könnte es daher naiv nennen, wenn das
Bürgerthum sich über den Radikalismus Lcdru-Rollins beschwert und die Folgen der
Revolution drückend findet. Ich will hiermit keineswegs behaupten, daß so manche
Maßregel nicht hätte vermieden oder gemildert werden können; aber was würde Frank¬
reich, was wurde die Welt dazu gesagt haben, wenn das Volk der Provinzen, nach,
dem alle monarchischen Formen sich in Frankreich als unmöglich erwiesen haben, mo¬
narchische Deputirte in die National-Versammlung geschickt und so, ohne es vielleicht
zu ahnen, den Bürgerkrieg herbeigeführt hätte? Die Propaganda durch Connnissäre für
die Republik war also nothwendig, denn die Provinzen sind im Allgemeinen weit weni¬
ger republikanisch als Paris, und auf dem Lande hält ein großer Theil der Bevölke¬
rung Republik und Kommunismus für identisch und verdammt erstere aus Furcht vor
dem letzter». Die Commissäre mußten also wegen der Gefahr, die dem Lande drohte,
die einflußreichen Beamtenstellen neu und zwar mit solchen Männern besetzen, die Ga¬
rantien für die Republik bieten. Der Einwand, daß die republikanische Regierung in
diesem Falle dasselbe thäte, was mau der monarchischen sonst zum Vorwurfe gemacht
hat: Propaganda für die Wahlen, hat durchaus keinen Halt; denn die Mittel, welche
die jetzige Regierung anwendet, sind nicht wie die der vorigen corrumpirender Natur.
Man verspricht sür das Votum keine Aemter, theilt kein Geld aus u. f. w.,
sondern man sucht nur von den Vortheilen und der Nothwendigkeit der Republik zu
überzeugen*). Auch der Einwand gilt nicht, daß eine Republik ohne Republikaner eine
Lüge sei. Erstens ist die Majorität in Paris republikanisch und da in Frankreich nun
einmal Paris der Siegelbewahrer der öffentlichen Meinung ist und den Provinzen sein
Votum aufdrückt, so kann bei der Wahl zwischen einem Bürgerkriege und einer Bil-



*) Zu diesen Ueberzeugungsgründen scheint eben auch die Drohung mit Bürgerkrieg zu
gehören. D. Red.
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[0069] an die Möglichkeit eines gewaltsamen Sturzes ihres Systems nicht glauben wollten, die jede Stimme der Warnung mit Schreibcrhohn erstickten — wir wollen nicht weitere Anklage aus sie werfen; wir sind überzeugt, ihr Gewissen muß die furchtbarste der Gei¬ ßeln sür sie sein. Aus Paris Die Revolution und das Biirgerthum. — Die Geldnoth, Louis Blanc und die Eommunisttn. — T-ische- reau und Vlanqui, — Die pis°v5 ,-urieusvs der Kcvue i'vti'aspocUvo. — Eine Ursache der unzähligen CorrudtionsMc in Trankrcick?. Seit dem denkwürdigen Tage, an welchem 200,000 Republikaner auf einem Spa¬ ziergange durch Paris lecto 6« presence machten, haben die Versuche zu einer Reac¬ tion in Paris aufgehört. Man sah diesen Männern an, daß sie von Zeit zu Zeit die Leibesbeweguug des Schlagens nöthig haben, und daß die Gesammtmasse derselben weiß, wie diese Leibesbewegung, als Resultat der Bewegung des Geistes, ihr großes Recht hat. Da durch die Größe der europäischen Bewegung Frankreich im Augenblicke keinen äußern Feind hat, so ist in den französischen Geschäften kein Posten schwieriger, als der des Ministers des Innern, und mau könnte es daher naiv nennen, wenn das Bürgerthum sich über den Radikalismus Lcdru-Rollins beschwert und die Folgen der Revolution drückend findet. Ich will hiermit keineswegs behaupten, daß so manche Maßregel nicht hätte vermieden oder gemildert werden können; aber was würde Frank¬ reich, was wurde die Welt dazu gesagt haben, wenn das Volk der Provinzen, nach, dem alle monarchischen Formen sich in Frankreich als unmöglich erwiesen haben, mo¬ narchische Deputirte in die National-Versammlung geschickt und so, ohne es vielleicht zu ahnen, den Bürgerkrieg herbeigeführt hätte? Die Propaganda durch Connnissäre für die Republik war also nothwendig, denn die Provinzen sind im Allgemeinen weit weni¬ ger republikanisch als Paris, und auf dem Lande hält ein großer Theil der Bevölke¬ rung Republik und Kommunismus für identisch und verdammt erstere aus Furcht vor dem letzter». Die Commissäre mußten also wegen der Gefahr, die dem Lande drohte, die einflußreichen Beamtenstellen neu und zwar mit solchen Männern besetzen, die Ga¬ rantien für die Republik bieten. Der Einwand, daß die republikanische Regierung in diesem Falle dasselbe thäte, was mau der monarchischen sonst zum Vorwurfe gemacht hat: Propaganda für die Wahlen, hat durchaus keinen Halt; denn die Mittel, welche die jetzige Regierung anwendet, sind nicht wie die der vorigen corrumpirender Natur. Man verspricht sür das Votum keine Aemter, theilt kein Geld aus u. f. w., sondern man sucht nur von den Vortheilen und der Nothwendigkeit der Republik zu überzeugen*). Auch der Einwand gilt nicht, daß eine Republik ohne Republikaner eine Lüge sei. Erstens ist die Majorität in Paris republikanisch und da in Frankreich nun einmal Paris der Siegelbewahrer der öffentlichen Meinung ist und den Provinzen sein Votum aufdrückt, so kann bei der Wahl zwischen einem Bürgerkriege und einer Bil- *) Zu diesen Ueberzeugungsgründen scheint eben auch die Drohung mit Bürgerkrieg zu gehören. D. Red. " 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/69>, abgerufen am 29.06.2024.