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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Die Militärhospitale nach der Leipziger Schlacht.



In Ur. 4 der "Grenzboten" d. I. befindet sich ein Aussatz, "die Verwun¬
deten nach der Leipziger Schlacht; Erinnerungen an I. C. Reil," in welchem nach
einer kurzen Biographie desselben ein von ihm an den Münster Freiherrn v. Stein
erstatteter Bericht vom 26. October 1813 abgedruckt ist, nach dessen Inhalt man
sowohl bei den Behörden als bei der gesammten Einwohnerschaft Leipzigs die
größte Gefühllosigkeit und Unmenschlichkeit gegen die in der Stadt befindlichen
kranken und verwundeten Soldaten voraussetzen müßte. Reil sagt darin, daß er
ungefähr 20,000 Kranke und Verwundete von allen Nationen vorgefunden, die in
dumpfen Spelunken, in welchen selbst das Amphibienleben nicht Sauerstoff genug
finden würde, oder in scheibenleeren Schulen und wölbischen Kirchen untergebracht
wären, und von denen nicht ein Einziger ein Hemde, Betttuch, Decke, Strohsack
oder Bettstelle erhalten habe, statt dessen die Stuben nur mit Heckerling aus den
Bivvuacs ausgestreut wären, und wobei es an Wärtern völlig fehle, und macht
am Ende den menschenfreundlichen Vorschlag, ein Schock kranker Baschkiren in die
Betten der Banquierfrauen zu legen, und in jedes Krankenzimmer einen Kosaken
mit zu geben, der für Aufrechthaltung der Ordnung verantwortlich sei. Ohne
die großen Verdienste Reil's im geringsten herabsetzen und seinen wohl erworbenen
Ruhm schmälern zu wollen, sollte ich doch glauben, daß die nach 34 Jahren er¬
folgte Veröffentlichung dieses Berichts nicht gerade viel zur Vergrößerung dieses
Ruhms beitragen möchte, und ich fühle mich verpflichtet, meine Vaterstadt gegen
die ihr gemachten harten Vorwürfe zu vertheidigen, da ich als damaliges Mitglied
der städtischen Behörde mit den Verhältnissen bekannt genug war, um beurtheilen
zu können, daß die Schilderung Reil's theils in hohem Grade übertrieben ist,
theils die wirklich vorhandenen Mängel ihren Grund nicht in der Schlaffheit,
Indolenz oder bösem Willen der Leipziger, wie Reil behauptet, sondern in der
zeitweiligen Unmöglichkeit der Abhilfe fanden. Auch hat der damals mit der
obern Leitung aller Militärlazarethe in der Stadt und Umgegend beauftragte
Herr Geheime Medicinalrath Dr. Clarus mir seiue Ansichten über den Neit'schen
Bericht und Notizen über den Zustand'der Spitale zu jener Zeit freundlichst mit¬
getheilt, welche bei der gegenwärtigen Darstellung benutzt worden sind.


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Die Militärhospitale nach der Leipziger Schlacht.



In Ur. 4 der „Grenzboten" d. I. befindet sich ein Aussatz, „die Verwun¬
deten nach der Leipziger Schlacht; Erinnerungen an I. C. Reil," in welchem nach
einer kurzen Biographie desselben ein von ihm an den Münster Freiherrn v. Stein
erstatteter Bericht vom 26. October 1813 abgedruckt ist, nach dessen Inhalt man
sowohl bei den Behörden als bei der gesammten Einwohnerschaft Leipzigs die
größte Gefühllosigkeit und Unmenschlichkeit gegen die in der Stadt befindlichen
kranken und verwundeten Soldaten voraussetzen müßte. Reil sagt darin, daß er
ungefähr 20,000 Kranke und Verwundete von allen Nationen vorgefunden, die in
dumpfen Spelunken, in welchen selbst das Amphibienleben nicht Sauerstoff genug
finden würde, oder in scheibenleeren Schulen und wölbischen Kirchen untergebracht
wären, und von denen nicht ein Einziger ein Hemde, Betttuch, Decke, Strohsack
oder Bettstelle erhalten habe, statt dessen die Stuben nur mit Heckerling aus den
Bivvuacs ausgestreut wären, und wobei es an Wärtern völlig fehle, und macht
am Ende den menschenfreundlichen Vorschlag, ein Schock kranker Baschkiren in die
Betten der Banquierfrauen zu legen, und in jedes Krankenzimmer einen Kosaken
mit zu geben, der für Aufrechthaltung der Ordnung verantwortlich sei. Ohne
die großen Verdienste Reil's im geringsten herabsetzen und seinen wohl erworbenen
Ruhm schmälern zu wollen, sollte ich doch glauben, daß die nach 34 Jahren er¬
folgte Veröffentlichung dieses Berichts nicht gerade viel zur Vergrößerung dieses
Ruhms beitragen möchte, und ich fühle mich verpflichtet, meine Vaterstadt gegen
die ihr gemachten harten Vorwürfe zu vertheidigen, da ich als damaliges Mitglied
der städtischen Behörde mit den Verhältnissen bekannt genug war, um beurtheilen
zu können, daß die Schilderung Reil's theils in hohem Grade übertrieben ist,
theils die wirklich vorhandenen Mängel ihren Grund nicht in der Schlaffheit,
Indolenz oder bösem Willen der Leipziger, wie Reil behauptet, sondern in der
zeitweiligen Unmöglichkeit der Abhilfe fanden. Auch hat der damals mit der
obern Leitung aller Militärlazarethe in der Stadt und Umgegend beauftragte
Herr Geheime Medicinalrath Dr. Clarus mir seiue Ansichten über den Neit'schen
Bericht und Notizen über den Zustand'der Spitale zu jener Zeit freundlichst mit¬
getheilt, welche bei der gegenwärtigen Darstellung benutzt worden sind.


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[0051] Die Militärhospitale nach der Leipziger Schlacht. In Ur. 4 der „Grenzboten" d. I. befindet sich ein Aussatz, „die Verwun¬ deten nach der Leipziger Schlacht; Erinnerungen an I. C. Reil," in welchem nach einer kurzen Biographie desselben ein von ihm an den Münster Freiherrn v. Stein erstatteter Bericht vom 26. October 1813 abgedruckt ist, nach dessen Inhalt man sowohl bei den Behörden als bei der gesammten Einwohnerschaft Leipzigs die größte Gefühllosigkeit und Unmenschlichkeit gegen die in der Stadt befindlichen kranken und verwundeten Soldaten voraussetzen müßte. Reil sagt darin, daß er ungefähr 20,000 Kranke und Verwundete von allen Nationen vorgefunden, die in dumpfen Spelunken, in welchen selbst das Amphibienleben nicht Sauerstoff genug finden würde, oder in scheibenleeren Schulen und wölbischen Kirchen untergebracht wären, und von denen nicht ein Einziger ein Hemde, Betttuch, Decke, Strohsack oder Bettstelle erhalten habe, statt dessen die Stuben nur mit Heckerling aus den Bivvuacs ausgestreut wären, und wobei es an Wärtern völlig fehle, und macht am Ende den menschenfreundlichen Vorschlag, ein Schock kranker Baschkiren in die Betten der Banquierfrauen zu legen, und in jedes Krankenzimmer einen Kosaken mit zu geben, der für Aufrechthaltung der Ordnung verantwortlich sei. Ohne die großen Verdienste Reil's im geringsten herabsetzen und seinen wohl erworbenen Ruhm schmälern zu wollen, sollte ich doch glauben, daß die nach 34 Jahren er¬ folgte Veröffentlichung dieses Berichts nicht gerade viel zur Vergrößerung dieses Ruhms beitragen möchte, und ich fühle mich verpflichtet, meine Vaterstadt gegen die ihr gemachten harten Vorwürfe zu vertheidigen, da ich als damaliges Mitglied der städtischen Behörde mit den Verhältnissen bekannt genug war, um beurtheilen zu können, daß die Schilderung Reil's theils in hohem Grade übertrieben ist, theils die wirklich vorhandenen Mängel ihren Grund nicht in der Schlaffheit, Indolenz oder bösem Willen der Leipziger, wie Reil behauptet, sondern in der zeitweiligen Unmöglichkeit der Abhilfe fanden. Auch hat der damals mit der obern Leitung aller Militärlazarethe in der Stadt und Umgegend beauftragte Herr Geheime Medicinalrath Dr. Clarus mir seiue Ansichten über den Neit'schen Bericht und Notizen über den Zustand'der Spitale zu jener Zeit freundlichst mit¬ getheilt, welche bei der gegenwärtigen Darstellung benutzt worden sind. Grenzbüt-n. it. l»»s. ß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/51>, abgerufen am 28.09.2024.