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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Nachschrift
zum ersten Artikel dieses Heftes.

Es stellt sich heraus, das, die ersten Berichte ans Mailand in der That übertrie¬
ben waren. Die Kroaten hatten keine Zeit, Gräuel zu verüben, sie mußten im Sturm¬
schritt abziehen 'und Radctzku ist weder gefangen, noch hat er Mailand wieder erobert'
Die östreichische Regierung scheint auf den Verlust Italiens gefaßt zu sein und wird
dafür den Kaiserstaat um so leichter in Deutschland aufgehen lassen. Sie hätte freilich
schon am Tage von Metternich's Sturz Italien unter die Rubrik: Ausland, setzen
sollen, denn Italien ist nicht auf eine Stufe mit Böhmen, Mähren und Schlesien zu
stellen, welche Länder seit Jahrhunderten von deutscher Cultur getragen wurden und auch
jetzt dem magnetischen Zug der deutschen Wahlverwandtschaft folgen werden. So lange
das alte Gleichgewicht Europas galt, wäre eine Freigebung Mailands nur eine Be¬
reicherung Frankreichs oder Sardiniens gewesen, wir geben es aber nicht Herrn Mar-
rast und nicht Alberto la spada, sondern dem vereinigten Italien zurück. Dies mag
ein Verlust an äußerer Macht sein, es ist ein Gewinn an innerer Einheit und natür¬
licher Gestaltung. Wer der Revolution nur das verdanken will, was ihm an ihr
gefällt, den vernichtet sie. Man kann nicht immer Eines gewinnen und das Andere
behalten. Das künftige Gleichgewicht Europas wird nicht mehr ein diplomatisches
Kartenhaus sein. Eine festere und würdigere Ordnung wird erstehen, die auf dem
Gleichgewicht großer Nationalitäten beruhen soll. Die deutsche, italienische und pol¬
nische Nationalität sind die Pfeiler dieser neuen Ordnung.

Krampfhaft an den abgerissenen Sparren Polens und Italiens festhalten, hätte nur
dann einen Sinn, wenn Oestreich eine Trennung von Deutschland im Schilde führte;
wenn es, seinen Schwerpunkt auch ferner in nichtdeutschen Besitzungen suchend, dem
Bunde in Frankfurt sagen wollte: Seht, wir sind immer noch europäische Macht, im¬
mer noch selbstständig und brauchen euch nicht. Protegircn wollen wir euch, aber nach
unserer Weise. >-- Davor möge der Himmel uus und Oestreich bewahren.

Der Wiener Zeitung sind aber die Schuppen noch nicht von den Augen gefallen
und sie fährt fort, wie wahnsinnig Sturm zu läuten gegen die "hochverrätheri¬
sche Rebellion" Italiens. Sie glaubt mit ihrem Kaiserthum in der Welt allein
zu sein und den 13. März sieht sie als eine isolirte Bewegung an, deren Zweck der
Sturz Metternich's, Scdlinizkv's und I. Gabriel Seidl's gewesen ist. Das Kaiserthum
wird sich jetzt bessern, meint sie, es wird sich zu Reformen bequemen, die Anno 1790
zeitgemäß gewesen wären -- sonst bleibt Alles beim Alten. Europa ist dann entzückt über
diese Bekehrung des Kaiserthums und garantirt ihm den ewigen Besitz von seinem Stück
Polen und Italien mit den Menschen darauf. Was der Absolutismus gewonnen hat,
wird der Constitutionalismus schon zu vertheidigen wissen. Ganz Europa mag die
Erschütterung neugestalten, Oestreich aber bleibt das alte und die klaffendsten Risse
des baufälligen Hauses wird man mit einer Charte vortrefflich überkleben. -- Diese
Anschauung ist zu naiv, um einer Widerlegung zu bedürfen.




VMag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur: I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
Nachschrift
zum ersten Artikel dieses Heftes.

Es stellt sich heraus, das, die ersten Berichte ans Mailand in der That übertrie¬
ben waren. Die Kroaten hatten keine Zeit, Gräuel zu verüben, sie mußten im Sturm¬
schritt abziehen 'und Radctzku ist weder gefangen, noch hat er Mailand wieder erobert'
Die östreichische Regierung scheint auf den Verlust Italiens gefaßt zu sein und wird
dafür den Kaiserstaat um so leichter in Deutschland aufgehen lassen. Sie hätte freilich
schon am Tage von Metternich's Sturz Italien unter die Rubrik: Ausland, setzen
sollen, denn Italien ist nicht auf eine Stufe mit Böhmen, Mähren und Schlesien zu
stellen, welche Länder seit Jahrhunderten von deutscher Cultur getragen wurden und auch
jetzt dem magnetischen Zug der deutschen Wahlverwandtschaft folgen werden. So lange
das alte Gleichgewicht Europas galt, wäre eine Freigebung Mailands nur eine Be¬
reicherung Frankreichs oder Sardiniens gewesen, wir geben es aber nicht Herrn Mar-
rast und nicht Alberto la spada, sondern dem vereinigten Italien zurück. Dies mag
ein Verlust an äußerer Macht sein, es ist ein Gewinn an innerer Einheit und natür¬
licher Gestaltung. Wer der Revolution nur das verdanken will, was ihm an ihr
gefällt, den vernichtet sie. Man kann nicht immer Eines gewinnen und das Andere
behalten. Das künftige Gleichgewicht Europas wird nicht mehr ein diplomatisches
Kartenhaus sein. Eine festere und würdigere Ordnung wird erstehen, die auf dem
Gleichgewicht großer Nationalitäten beruhen soll. Die deutsche, italienische und pol¬
nische Nationalität sind die Pfeiler dieser neuen Ordnung.

Krampfhaft an den abgerissenen Sparren Polens und Italiens festhalten, hätte nur
dann einen Sinn, wenn Oestreich eine Trennung von Deutschland im Schilde führte;
wenn es, seinen Schwerpunkt auch ferner in nichtdeutschen Besitzungen suchend, dem
Bunde in Frankfurt sagen wollte: Seht, wir sind immer noch europäische Macht, im¬
mer noch selbstständig und brauchen euch nicht. Protegircn wollen wir euch, aber nach
unserer Weise. >— Davor möge der Himmel uus und Oestreich bewahren.

Der Wiener Zeitung sind aber die Schuppen noch nicht von den Augen gefallen
und sie fährt fort, wie wahnsinnig Sturm zu läuten gegen die „hochverrätheri¬
sche Rebellion" Italiens. Sie glaubt mit ihrem Kaiserthum in der Welt allein
zu sein und den 13. März sieht sie als eine isolirte Bewegung an, deren Zweck der
Sturz Metternich's, Scdlinizkv's und I. Gabriel Seidl's gewesen ist. Das Kaiserthum
wird sich jetzt bessern, meint sie, es wird sich zu Reformen bequemen, die Anno 1790
zeitgemäß gewesen wären — sonst bleibt Alles beim Alten. Europa ist dann entzückt über
diese Bekehrung des Kaiserthums und garantirt ihm den ewigen Besitz von seinem Stück
Polen und Italien mit den Menschen darauf. Was der Absolutismus gewonnen hat,
wird der Constitutionalismus schon zu vertheidigen wissen. Ganz Europa mag die
Erschütterung neugestalten, Oestreich aber bleibt das alte und die klaffendsten Risse
des baufälligen Hauses wird man mit einer Charte vortrefflich überkleben. — Diese
Anschauung ist zu naiv, um einer Widerlegung zu bedürfen.




VMag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur: I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/50>, abgerufen am 26.06.2024.