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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Die Aufgabe der deutschen Constituante.



Die beiden wesentlichen Gesichtspunkte, von denen man die deutsche Bewegung
unserer Tage betrachten muß, sind die Ideen der Freiheit und der Nationalität.
Der philosophische Idealismus hat die letztere oft genug angefochten und sie ein
romantisches Erbstück der Freiheitskriege und des Tugendbundes genannt; mit
Unrecht, denn der Ruf nach der Einheit Deutschlands ging keineswegs von einem
sentimentalen Herzensbedürfniß aus, sondern von der sehr klaren Einsicht, daß
Freiheit ohne Macht ein bloßes Spiel sei, daß die deutschen Staaten, bei aller
Freiheit, die sie ihren Bürgern gewährten, nur dann ein geeignetes Vaterland
sein konnten, wenn sie auf einer größern Grundlage aufgerichtet wären, als der
Gütercomplex des Hauses Habsburg oder des Hauses Hohenzollern sie gewährte.

Wenn sich der alte Arndt nach "des Deutschen Vaterland" erkundigte, wo man
es zu suchen habe, und wie weit es sich erstrecke, so war freilich die Antwort:
"so weit die deutsche Zunge klingt," sehr einfach und bequem; aber von einem
Vaterland im höhern Sinne kann nur da die Rede sein, wo die Gesammtheit der
Nation sich als Staat consolidirt. Das Bestreben, die deutsche Nation zu einer
Staatseinheit zu erheben, war also gar nicht romantisch, wenn man an seiner
Ausführbarkeit auch zunächst zweifeln mochte, und die Forderung, welche gleich
nach dem letzten Eindruck der französischen Umwälzung einstimmig von fast allen
Ständen an die Regierungen gestellt wurde: den Fürstenbund, der bisher der
alleinige Träger der deutschen Einheit gewesen, in einen Völkerbund zu verwan¬
deln, zeugte wenigstens von dem richtigen Instinkt der liberalen Partei, wenn auch
noch nicht von ihrer Einsicht. Denn in jener Forderung war das Bedürfniß richtig
constatirt; über die Art und Weise, wie ihm zu genügen sei, konnte man natürlich
nicht sofort im Reinen sein.

Zwar erschienen gleich zu Anfang von geachteten Männern Flugschriften, in
denen die neue deutsche Verfassung bis in's kleinste Detail hinein ausgearbeitet
war. Es ist aber bekanntlich viel leichter, Verfassungen zu Papier zu bringen,
als sie in die Wirklichkeit einzuführen. Man konnte über dasjenige, was man er¬
reichen wollte, sehr viel leichter einig werden, als über das Wie.

Die allgemeine Meinung betrachtete die Cabinetspolitik der Fürsten -- und


Die Aufgabe der deutschen Constituante.



Die beiden wesentlichen Gesichtspunkte, von denen man die deutsche Bewegung
unserer Tage betrachten muß, sind die Ideen der Freiheit und der Nationalität.
Der philosophische Idealismus hat die letztere oft genug angefochten und sie ein
romantisches Erbstück der Freiheitskriege und des Tugendbundes genannt; mit
Unrecht, denn der Ruf nach der Einheit Deutschlands ging keineswegs von einem
sentimentalen Herzensbedürfniß aus, sondern von der sehr klaren Einsicht, daß
Freiheit ohne Macht ein bloßes Spiel sei, daß die deutschen Staaten, bei aller
Freiheit, die sie ihren Bürgern gewährten, nur dann ein geeignetes Vaterland
sein konnten, wenn sie auf einer größern Grundlage aufgerichtet wären, als der
Gütercomplex des Hauses Habsburg oder des Hauses Hohenzollern sie gewährte.

Wenn sich der alte Arndt nach „des Deutschen Vaterland" erkundigte, wo man
es zu suchen habe, und wie weit es sich erstrecke, so war freilich die Antwort:
„so weit die deutsche Zunge klingt," sehr einfach und bequem; aber von einem
Vaterland im höhern Sinne kann nur da die Rede sein, wo die Gesammtheit der
Nation sich als Staat consolidirt. Das Bestreben, die deutsche Nation zu einer
Staatseinheit zu erheben, war also gar nicht romantisch, wenn man an seiner
Ausführbarkeit auch zunächst zweifeln mochte, und die Forderung, welche gleich
nach dem letzten Eindruck der französischen Umwälzung einstimmig von fast allen
Ständen an die Regierungen gestellt wurde: den Fürstenbund, der bisher der
alleinige Träger der deutschen Einheit gewesen, in einen Völkerbund zu verwan¬
deln, zeugte wenigstens von dem richtigen Instinkt der liberalen Partei, wenn auch
noch nicht von ihrer Einsicht. Denn in jener Forderung war das Bedürfniß richtig
constatirt; über die Art und Weise, wie ihm zu genügen sei, konnte man natürlich
nicht sofort im Reinen sein.

Zwar erschienen gleich zu Anfang von geachteten Männern Flugschriften, in
denen die neue deutsche Verfassung bis in's kleinste Detail hinein ausgearbeitet
war. Es ist aber bekanntlich viel leichter, Verfassungen zu Papier zu bringen,
als sie in die Wirklichkeit einzuführen. Man konnte über dasjenige, was man er¬
reichen wollte, sehr viel leichter einig werden, als über das Wie.

Die allgemeine Meinung betrachtete die Cabinetspolitik der Fürsten — und


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[0138] Die Aufgabe der deutschen Constituante. Die beiden wesentlichen Gesichtspunkte, von denen man die deutsche Bewegung unserer Tage betrachten muß, sind die Ideen der Freiheit und der Nationalität. Der philosophische Idealismus hat die letztere oft genug angefochten und sie ein romantisches Erbstück der Freiheitskriege und des Tugendbundes genannt; mit Unrecht, denn der Ruf nach der Einheit Deutschlands ging keineswegs von einem sentimentalen Herzensbedürfniß aus, sondern von der sehr klaren Einsicht, daß Freiheit ohne Macht ein bloßes Spiel sei, daß die deutschen Staaten, bei aller Freiheit, die sie ihren Bürgern gewährten, nur dann ein geeignetes Vaterland sein konnten, wenn sie auf einer größern Grundlage aufgerichtet wären, als der Gütercomplex des Hauses Habsburg oder des Hauses Hohenzollern sie gewährte. Wenn sich der alte Arndt nach „des Deutschen Vaterland" erkundigte, wo man es zu suchen habe, und wie weit es sich erstrecke, so war freilich die Antwort: „so weit die deutsche Zunge klingt," sehr einfach und bequem; aber von einem Vaterland im höhern Sinne kann nur da die Rede sein, wo die Gesammtheit der Nation sich als Staat consolidirt. Das Bestreben, die deutsche Nation zu einer Staatseinheit zu erheben, war also gar nicht romantisch, wenn man an seiner Ausführbarkeit auch zunächst zweifeln mochte, und die Forderung, welche gleich nach dem letzten Eindruck der französischen Umwälzung einstimmig von fast allen Ständen an die Regierungen gestellt wurde: den Fürstenbund, der bisher der alleinige Träger der deutschen Einheit gewesen, in einen Völkerbund zu verwan¬ deln, zeugte wenigstens von dem richtigen Instinkt der liberalen Partei, wenn auch noch nicht von ihrer Einsicht. Denn in jener Forderung war das Bedürfniß richtig constatirt; über die Art und Weise, wie ihm zu genügen sei, konnte man natürlich nicht sofort im Reinen sein. Zwar erschienen gleich zu Anfang von geachteten Männern Flugschriften, in denen die neue deutsche Verfassung bis in's kleinste Detail hinein ausgearbeitet war. Es ist aber bekanntlich viel leichter, Verfassungen zu Papier zu bringen, als sie in die Wirklichkeit einzuführen. Man konnte über dasjenige, was man er¬ reichen wollte, sehr viel leichter einig werden, als über das Wie. Die allgemeine Meinung betrachtete die Cabinetspolitik der Fürsten — und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/138>, abgerufen am 29.06.2024.