Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.Ein Ausflug nach Dresden. ii. Die häufig gemißbrauchte Redensart, daß durch Deutschlands politische Zer¬ Dresden ist nicht einmal im Königreich Sachsen der eigentliche Mittelpunkt, Der eigentliche Schwerpunkt Sachsens möchte eher nach Leipzig fallen. Die Ein Ausflug nach Dresden. ii. Die häufig gemißbrauchte Redensart, daß durch Deutschlands politische Zer¬ Dresden ist nicht einmal im Königreich Sachsen der eigentliche Mittelpunkt, Der eigentliche Schwerpunkt Sachsens möchte eher nach Leipzig fallen. Die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0576" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184736"/> </div> <div n="1"> <head> Ein Ausflug nach Dresden.</head><lb/> <div n="2"> <head> ii.</head><lb/> <p xml:id="ID_2076"> Die häufig gemißbrauchte Redensart, daß durch Deutschlands politische Zer¬<lb/> splitterung die Mannigfaltigkeit und der Reichthum der Bildung gefördert sei, hat<lb/> doch auch ihre relative Wahrheit. Wenn wir uus einmal in Träumen ergehen<lb/> wollten von dem, was sein könnte, möchte, dürfte, wenn wir uns dem Spiel un¬<lb/> serer Gedanken überlassen, und uns etwa Deutschland als ein politisch Ganzes<lb/> vergegenwärtigen, so würde Dresden in politischer Beziehung allerdings sehr un¬<lb/> bedeutend sein, und dennoch würde es immer seine Stelle in der deutschen Cultur<lb/> behaupten. Ja man kann schon in unsern Tagen sagen, daß der politische Schwer¬<lb/> punkt Deutschlands weit ab von Dresden liegt, und daß es doch eine größere<lb/> Anziehungskraft auf Einheimische und Fremde ausübt, als selbst Wien und Berlin.<lb/> In Staaten, die wie Frankreich und England seit längerer Zeit mit uuablässtger<lb/> Ausdauer auf Centralisation hingearbeitet haben, wo alle Circulation des Bluts<lb/> sich in der Hauptstadt zusammendrängt, wäre so etwas nicht möglich.</p><lb/> <p xml:id="ID_2077"> Dresden ist nicht einmal im Königreich Sachsen der eigentliche Mittelpunkt,<lb/> wenigstens nicht in dem Sinn, wie man es von den Hauptstädten so ziemlich aller<lb/> übrigen Staaten sagen kann. Einerseits ist das bureaukratisch-militärische Element,<lb/> das anderswo die Kräfte des Volks zum großen Theil einsaugt, in Sachsen nicht<lb/> so stark ausgebildet, daß der Mittelpunkt des Verwaltnngs-Mechanismus auch des¬<lb/> halb der Schwerpunkt der eigentlich geistigen Regsamkeit des Volks sein müßte;<lb/> andrerseits steht der Hof, so groß auch die Ehrfurcht und Anhänglichkeit ist, welche<lb/> die Persönlichkeit des Monarchen bei den Bürgern Sachsens genießt, doch schon<lb/> durch die Verschiedenheit der Religion doch in einer gewissen Ausnahmsstellung,<lb/> als daß die Residenz alle geistigen Bestrebungen in sich concentriren könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2078" next="#ID_2079"> Der eigentliche Schwerpunkt Sachsens möchte eher nach Leipzig fallen. Die<lb/> demokratischen Formen, in denen sich diese Stadt der Kaufleute, Literaten und<lb/> Lerchen bewegt, stehen der Natur des sächsischen Volks mehr an, als die gelinde<lb/> aristokratische Färbung der Residenz. Die Universität zieht dort einen großen Theil<lb/> der gebildeten Welt an sich, der Buchhandel versammelt Alles, was sich der Presse</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0576]
Ein Ausflug nach Dresden.
ii.
Die häufig gemißbrauchte Redensart, daß durch Deutschlands politische Zer¬
splitterung die Mannigfaltigkeit und der Reichthum der Bildung gefördert sei, hat
doch auch ihre relative Wahrheit. Wenn wir uus einmal in Träumen ergehen
wollten von dem, was sein könnte, möchte, dürfte, wenn wir uns dem Spiel un¬
serer Gedanken überlassen, und uns etwa Deutschland als ein politisch Ganzes
vergegenwärtigen, so würde Dresden in politischer Beziehung allerdings sehr un¬
bedeutend sein, und dennoch würde es immer seine Stelle in der deutschen Cultur
behaupten. Ja man kann schon in unsern Tagen sagen, daß der politische Schwer¬
punkt Deutschlands weit ab von Dresden liegt, und daß es doch eine größere
Anziehungskraft auf Einheimische und Fremde ausübt, als selbst Wien und Berlin.
In Staaten, die wie Frankreich und England seit längerer Zeit mit uuablässtger
Ausdauer auf Centralisation hingearbeitet haben, wo alle Circulation des Bluts
sich in der Hauptstadt zusammendrängt, wäre so etwas nicht möglich.
Dresden ist nicht einmal im Königreich Sachsen der eigentliche Mittelpunkt,
wenigstens nicht in dem Sinn, wie man es von den Hauptstädten so ziemlich aller
übrigen Staaten sagen kann. Einerseits ist das bureaukratisch-militärische Element,
das anderswo die Kräfte des Volks zum großen Theil einsaugt, in Sachsen nicht
so stark ausgebildet, daß der Mittelpunkt des Verwaltnngs-Mechanismus auch des¬
halb der Schwerpunkt der eigentlich geistigen Regsamkeit des Volks sein müßte;
andrerseits steht der Hof, so groß auch die Ehrfurcht und Anhänglichkeit ist, welche
die Persönlichkeit des Monarchen bei den Bürgern Sachsens genießt, doch schon
durch die Verschiedenheit der Religion doch in einer gewissen Ausnahmsstellung,
als daß die Residenz alle geistigen Bestrebungen in sich concentriren könnte.
Der eigentliche Schwerpunkt Sachsens möchte eher nach Leipzig fallen. Die
demokratischen Formen, in denen sich diese Stadt der Kaufleute, Literaten und
Lerchen bewegt, stehen der Natur des sächsischen Volks mehr an, als die gelinde
aristokratische Färbung der Residenz. Die Universität zieht dort einen großen Theil
der gebildeten Welt an sich, der Buchhandel versammelt Alles, was sich der Presse
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