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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Historische Stände oder Volksrepräsentanten
in Oesterreich.

Seit der König von Preußen in seiner Thronrede bei Eröffnung des vereinig¬
ten Landtages es hervorhob, daß er zwischen "Volksvertretung" und "ständischen:
Wesen" -- zwischen "Landstand" und "Volksrepräscutant" einen Unterschied mache,
und daß er von seinen Reichsständen erwarte, sie würden historisch germanische
Stände sein und bleiben, durchaus aber kein Gelüste darnach tragen, auch Volks¬
repräsentanten zu werden, seit dieser Zeit tauchten auch bei den österreichischen
Ständen") nud namentlich bei den böhmischen die Fragen auf: "Sind wir Volks¬
repräsentanten oder historische Stände, oder beides? als was fleht uns die Re¬
gierung? -- als was die Nation an? -- als was sollen wir uns künftig selbst
"ansehen?"

Als es vor ungefähr 6 Jahren der allmächtigen Zeit endlich gelang, auch die
österreichischen Stände aus ihrem todtenähnlichen starren Schlafe zu erwecken,
erwachten sie mit der Ueberzeugung, historische Stände, gerade aber als solche
"geborene" Volksrepräsentanten, Volksrepräsentanten "von Gottes Gnaden," zu
sein. Die Regierung hat sie bis heute in diesem Glauben gelassen, ihnen wenig¬
stens nie widersprochen, wenn sie sich des Ausdruckes "wir als Repräsentanten
des Laudes und der Nation," auch ofstciell bedienten.

Seit dem Tode des Kaiser Franz sind in Oesterreich die Worte "Negierung
und Bureaukratie" vollkommen synonim geworden, und beiläufig sei es gesagt,
man würde der Bureaukratie Unrecht thun, wollte man ihr den Vorwurf machen,
daß sie den Scepter an sich gerissen, erschlichen, usurpirt habe. Die Ursache, daß
er ihr zufiel, liegt in dem bedauerlichen Mangel an Vertrauen in sich selbst, bei
den einzelnen Gliedern des Kaiserhauses, und in der allzu großen Rücksicht und
Gewissenhaftigkeit, welche die Mitglieder der kaiserlichen Familie sich gegen einan¬
der als Pflicht auferlegen. Dadurch habe" sie der Bureaukratie den Vortritt
gestattet, und so sich selbst sammt ihrem Oberhaupte unter Vormundschaft gestellt;



*) Von Ungarn, dessen Verfassung von der aller anderen österreichischen Provinzen (wenn
wan Ungarn überhaupt eine solche nennen kann) so sehr verschieden ist, kann hier nicht die
Rede sein.
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Historische Stände oder Volksrepräsentanten
in Oesterreich.

Seit der König von Preußen in seiner Thronrede bei Eröffnung des vereinig¬
ten Landtages es hervorhob, daß er zwischen „Volksvertretung" und „ständischen:
Wesen" — zwischen „Landstand" und „Volksrepräscutant" einen Unterschied mache,
und daß er von seinen Reichsständen erwarte, sie würden historisch germanische
Stände sein und bleiben, durchaus aber kein Gelüste darnach tragen, auch Volks¬
repräsentanten zu werden, seit dieser Zeit tauchten auch bei den österreichischen
Ständen") nud namentlich bei den böhmischen die Fragen auf: „Sind wir Volks¬
repräsentanten oder historische Stände, oder beides? als was fleht uns die Re¬
gierung? — als was die Nation an? — als was sollen wir uns künftig selbst
„ansehen?"

Als es vor ungefähr 6 Jahren der allmächtigen Zeit endlich gelang, auch die
österreichischen Stände aus ihrem todtenähnlichen starren Schlafe zu erwecken,
erwachten sie mit der Ueberzeugung, historische Stände, gerade aber als solche
„geborene" Volksrepräsentanten, Volksrepräsentanten „von Gottes Gnaden," zu
sein. Die Regierung hat sie bis heute in diesem Glauben gelassen, ihnen wenig¬
stens nie widersprochen, wenn sie sich des Ausdruckes „wir als Repräsentanten
des Laudes und der Nation," auch ofstciell bedienten.

Seit dem Tode des Kaiser Franz sind in Oesterreich die Worte „Negierung
und Bureaukratie" vollkommen synonim geworden, und beiläufig sei es gesagt,
man würde der Bureaukratie Unrecht thun, wollte man ihr den Vorwurf machen,
daß sie den Scepter an sich gerissen, erschlichen, usurpirt habe. Die Ursache, daß
er ihr zufiel, liegt in dem bedauerlichen Mangel an Vertrauen in sich selbst, bei
den einzelnen Gliedern des Kaiserhauses, und in der allzu großen Rücksicht und
Gewissenhaftigkeit, welche die Mitglieder der kaiserlichen Familie sich gegen einan¬
der als Pflicht auferlegen. Dadurch habe» sie der Bureaukratie den Vortritt
gestattet, und so sich selbst sammt ihrem Oberhaupte unter Vormundschaft gestellt;



*) Von Ungarn, dessen Verfassung von der aller anderen österreichischen Provinzen (wenn
wan Ungarn überhaupt eine solche nennen kann) so sehr verschieden ist, kann hier nicht die
Rede sein.
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[0565] Historische Stände oder Volksrepräsentanten in Oesterreich. Seit der König von Preußen in seiner Thronrede bei Eröffnung des vereinig¬ ten Landtages es hervorhob, daß er zwischen „Volksvertretung" und „ständischen: Wesen" — zwischen „Landstand" und „Volksrepräscutant" einen Unterschied mache, und daß er von seinen Reichsständen erwarte, sie würden historisch germanische Stände sein und bleiben, durchaus aber kein Gelüste darnach tragen, auch Volks¬ repräsentanten zu werden, seit dieser Zeit tauchten auch bei den österreichischen Ständen") nud namentlich bei den böhmischen die Fragen auf: „Sind wir Volks¬ repräsentanten oder historische Stände, oder beides? als was fleht uns die Re¬ gierung? — als was die Nation an? — als was sollen wir uns künftig selbst „ansehen?" Als es vor ungefähr 6 Jahren der allmächtigen Zeit endlich gelang, auch die österreichischen Stände aus ihrem todtenähnlichen starren Schlafe zu erwecken, erwachten sie mit der Ueberzeugung, historische Stände, gerade aber als solche „geborene" Volksrepräsentanten, Volksrepräsentanten „von Gottes Gnaden," zu sein. Die Regierung hat sie bis heute in diesem Glauben gelassen, ihnen wenig¬ stens nie widersprochen, wenn sie sich des Ausdruckes „wir als Repräsentanten des Laudes und der Nation," auch ofstciell bedienten. Seit dem Tode des Kaiser Franz sind in Oesterreich die Worte „Negierung und Bureaukratie" vollkommen synonim geworden, und beiläufig sei es gesagt, man würde der Bureaukratie Unrecht thun, wollte man ihr den Vorwurf machen, daß sie den Scepter an sich gerissen, erschlichen, usurpirt habe. Die Ursache, daß er ihr zufiel, liegt in dem bedauerlichen Mangel an Vertrauen in sich selbst, bei den einzelnen Gliedern des Kaiserhauses, und in der allzu großen Rücksicht und Gewissenhaftigkeit, welche die Mitglieder der kaiserlichen Familie sich gegen einan¬ der als Pflicht auferlegen. Dadurch habe» sie der Bureaukratie den Vortritt gestattet, und so sich selbst sammt ihrem Oberhaupte unter Vormundschaft gestellt; *) Von Ungarn, dessen Verfassung von der aller anderen österreichischen Provinzen (wenn wan Ungarn überhaupt eine solche nennen kann) so sehr verschieden ist, kann hier nicht die Rede sein. 737

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/565>, abgerufen am 01.09.2024.