Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.Die russischen Qstseeprovinzen. n. Setzen wir unsern Spaziergang fort. Ich biege um eine Wohnung herum, Es ist gerade ein schöner Tag, die Sonne spielt mit den Blättern der Bir¬ Ich sehe seitwärts nach der Herrenwohnung, eine junge Dame mit fliegendem Plötzlich wieder Geschrei! sie stutzt, sie sieht uach der Richtung hin -- und Ich erkundige mich, was hier begangen sei. "Gestohlen haben sie," erwidert Es wird überhaupt in Rußland ungeheuer viel geprügelt, und das ist sehr GrenMen. III. 1847. 72
Die russischen Qstseeprovinzen. n. Setzen wir unsern Spaziergang fort. Ich biege um eine Wohnung herum, Es ist gerade ein schöner Tag, die Sonne spielt mit den Blättern der Bir¬ Ich sehe seitwärts nach der Herrenwohnung, eine junge Dame mit fliegendem Plötzlich wieder Geschrei! sie stutzt, sie sieht uach der Richtung hin — und Ich erkundige mich, was hier begangen sei. „Gestohlen haben sie," erwidert Es wird überhaupt in Rußland ungeheuer viel geprügelt, und das ist sehr GrenMen. III. 1847. 72
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Die russischen Qstseeprovinzen.
n.
Setzen wir unsern Spaziergang fort. Ich biege um eine Wohnung herum,
welche man Herberge nennt. Der Amtmann (Verwalter) wohnt darin, der Hofes¬
gärtner, HofeSjäger und einige alte Leute, die im herrschaftlichen Dienste gran
wurden und hier ein Ruheplätzchen fanden. Plötzlich welch' ein Geschrei! Ich
sehe mehrere Leute an einem Bache versammelt. Ich trete herzu. Zwei Bauern
halten einen dritten. Der Amtmann commandirt und in gewissen Zwischenräumen,
welche so lange anhalten, als der Arm zum Ausholen bedarf, fliegen von einem
etwa zwei Zoll breiten Riemen, der mit drei andern, die dasselbe Maaß halten,
zusammengeheftet ist, zehn u. s. w. Hiebe auf den gekrümmten Rücken. Ein Dutzend
Bauern, die dasselbe Schicksal erwartet, stehen mit kläglicher Miene abseits. Nun
kommt der zweite daran. Welch' ein Krümmen, Aechzen, Gejammer!
Es ist gerade ein schöner Tag, die Sonne spielt mit den Blättern der Bir¬
ken, die im Gehöft stehen.
Ich sehe seitwärts nach der Herrenwohnung, eine junge Dame mit fliegendem
Schleier im Reitbahn tritt auf das Balkon, das durch breite Stufen mit dem
Boden verbunden ist. Sie sieht in den Sonnenschein und schlägt mit der Reit¬
gerte den kaum Lüsten ein Schnippchen.
Plötzlich wieder Geschrei! sie stutzt, sie sieht uach der Richtung hin — und
wie zugehaltenen Ohren stürzt sie in'S Hans zurück. — O weh! und der gewöhn--
liebe Spazierritt führt an diesem ominösen Bache vorüber.
Ich erkundige mich, was hier begangen sei. „Gestohlen haben sie," erwidert
der Amtmann, „ein Loch in'S Magazin gebohrt, acht Los herausgeholt." I'n
lonxs (du Vieh) ale tu lolipu ^bbels (ach, dn Viehstück) und die Prügelei geht
von Neuem los.
Es wird überhaupt in Rußland ungeheuer viel geprügelt, und das ist sehr
erklärlich. Nach altgermanischen Recht beruhten alle Strafen, zum Theil selbst
Todtschlag auf Verlusten, die mit dem Eigenthum des Beschädigers bestritten
wurden. Das Wesen einer freien Persönlichkeit war von dem Begriffe des Ei¬
genthumes, des Grundbesitzes, unzertrennlich. Demnach hatte man etwas, woran
GrenMen. III. 1847. 72
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