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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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IV.

Die Folge" der Hinrichtungen. -- Eine sah-irfrichterstellc. -- Bodenkultur. -- Graf Stadion und
seine Umgebung, -- Der Verfasser des wcstgalizischcn Tagebuchs.

Daß die Vollziehung dreier Todesurtheile in dem großen Polcnprozeß von
184ö im Rathe zu Wien für nothwendig befunden ward, zeigt nur, daß die
Regierung den hier herrschenden Geist noch immer nicht Vollständig kennt und
mit blutigen Justizschauspiclen ans die Bevölkerung ciusthüchternd zu wirken hofft.
Die Wirkung dieser grauenvollen Strafjustiz ans die polnischen Massen ist eine
ganz andere gewesen, als wohl erwartet werden mochte, lind wenn die Behörden
Lembergs es für zweckmäßig halten sollte", in ihren Berichten an die Staats¬
regierung die ganze Wahrheit dieses lehrreichen Eindrucks nicht an's Licht kommen
zu lassen, so ist es destomehr die Pflicht der Presse, den Schleier zu lüften, der
so häufig offizielle Papiere beschattet. -- Seit dem letzten Julitag scheint ein
ganz neuer Geist der Brüderlichkeit und fanatischen Hingebung an das Vaterland
über das Volk gekommen zu sein, es ist wie eine am hellen Tage, vor den Augen
der bewaffneten Macht durch einen einzigen Zauberschlag entstandene offene Ver¬
schwörung, die gerade durch diese Gchcimuißlvsigkeit eine moralische Wirkung
übt, wie sie den Bestrebungen brütender Gcheimbündelci nimmermehr zu Theil
wird. Ein großer Schmerz hat die Freunde des Vaterlandes einander genähert,
und es fehlen nur noch einige ähnliche Schritte der Regierung, um die zum
Sprüchwort gewordene Uneinigkeit lind Zersplitterung der Polen zum Mähr¬
chen zu machen. Man muß die schwärmerischen Ausbrüche des Volksschmerzes
am Tage der Hinrichtung des Advocaten WiSniowsky, der vorzüglich als Mär¬
tyrer galt, gesehen haben, "in die unbegrenzte Hingebung der polnischen Vater¬
landsliebe zu begreifen. Die Population Lembergs ist, wie die jeder Hauptstadt,
aus so mancherlei Elementen zusammengewürfelt, daß mir dieselbe stets im Ver¬
gleich mit andern Theilen des Landes ziemlich kalt und gleichgültig gegolten hat;
dieser Tag hat mich eines Andern belehrt, und nie hätte ich geglaubt, daß die
Lemberger eines solchen Enthusiasmus sähig sein sollten. Die edle und würde¬
volle Haltung des männlich-schönen Wisniowsky riß, zumal die Frauen, zur
Bewunderung hin, und seine Fahrt zur Richtstätte war ein wahrer Triumphzug;
seine wahnsinnig gewordene Gattin und seine vier kleinen verwaisten Kinder ver¬
liehen freilich dem 4vjährigcn Manne eine Folie, die dem 29jährigen unbeweib¬
ten Magistratsbeamten Kapuseinsty mangelt, dessen Hände überdies vom Blute
des ermordeten Bürgermeisters Markt rauchten. In Bezug auf den dritten Ver-
urtheilten, einen katholischen Priester, hat es der clericale Einfluß durchgesetzt,
daß die Hinrichtung aufgeschoben ward, und der Bischof von Tarnow eilte selbst
"ach Wien, um daselbst die Begnadigung des Verurtheilten zu erwirken. Obschon
nun demselben die bei Sr. Majestät dem Kaiser erbetene - Audienz verweigert
worden, so ist es ihm doch gelungen, aus anderen Wege seinen Zweck zu er¬
reichen. Nachdem einmal Graf Stadion den Aufschub der Hinrichtung bewilligte,
war ein solches Resultat auch mit Bestimmtheit zu erwarten, und eS muß sich


IV.

Die Folge» der Hinrichtungen. — Eine sah-irfrichterstellc. — Bodenkultur. — Graf Stadion und
seine Umgebung, — Der Verfasser des wcstgalizischcn Tagebuchs.

Daß die Vollziehung dreier Todesurtheile in dem großen Polcnprozeß von
184ö im Rathe zu Wien für nothwendig befunden ward, zeigt nur, daß die
Regierung den hier herrschenden Geist noch immer nicht Vollständig kennt und
mit blutigen Justizschauspiclen ans die Bevölkerung ciusthüchternd zu wirken hofft.
Die Wirkung dieser grauenvollen Strafjustiz ans die polnischen Massen ist eine
ganz andere gewesen, als wohl erwartet werden mochte, lind wenn die Behörden
Lembergs es für zweckmäßig halten sollte», in ihren Berichten an die Staats¬
regierung die ganze Wahrheit dieses lehrreichen Eindrucks nicht an's Licht kommen
zu lassen, so ist es destomehr die Pflicht der Presse, den Schleier zu lüften, der
so häufig offizielle Papiere beschattet. — Seit dem letzten Julitag scheint ein
ganz neuer Geist der Brüderlichkeit und fanatischen Hingebung an das Vaterland
über das Volk gekommen zu sein, es ist wie eine am hellen Tage, vor den Augen
der bewaffneten Macht durch einen einzigen Zauberschlag entstandene offene Ver¬
schwörung, die gerade durch diese Gchcimuißlvsigkeit eine moralische Wirkung
übt, wie sie den Bestrebungen brütender Gcheimbündelci nimmermehr zu Theil
wird. Ein großer Schmerz hat die Freunde des Vaterlandes einander genähert,
und es fehlen nur noch einige ähnliche Schritte der Regierung, um die zum
Sprüchwort gewordene Uneinigkeit lind Zersplitterung der Polen zum Mähr¬
chen zu machen. Man muß die schwärmerischen Ausbrüche des Volksschmerzes
am Tage der Hinrichtung des Advocaten WiSniowsky, der vorzüglich als Mär¬
tyrer galt, gesehen haben, »in die unbegrenzte Hingebung der polnischen Vater¬
landsliebe zu begreifen. Die Population Lembergs ist, wie die jeder Hauptstadt,
aus so mancherlei Elementen zusammengewürfelt, daß mir dieselbe stets im Ver¬
gleich mit andern Theilen des Landes ziemlich kalt und gleichgültig gegolten hat;
dieser Tag hat mich eines Andern belehrt, und nie hätte ich geglaubt, daß die
Lemberger eines solchen Enthusiasmus sähig sein sollten. Die edle und würde¬
volle Haltung des männlich-schönen Wisniowsky riß, zumal die Frauen, zur
Bewunderung hin, und seine Fahrt zur Richtstätte war ein wahrer Triumphzug;
seine wahnsinnig gewordene Gattin und seine vier kleinen verwaisten Kinder ver¬
liehen freilich dem 4vjährigcn Manne eine Folie, die dem 29jährigen unbeweib¬
ten Magistratsbeamten Kapuseinsty mangelt, dessen Hände überdies vom Blute
des ermordeten Bürgermeisters Markt rauchten. In Bezug auf den dritten Ver-
urtheilten, einen katholischen Priester, hat es der clericale Einfluß durchgesetzt,
daß die Hinrichtung aufgeschoben ward, und der Bischof von Tarnow eilte selbst
„ach Wien, um daselbst die Begnadigung des Verurtheilten zu erwirken. Obschon
nun demselben die bei Sr. Majestät dem Kaiser erbetene - Audienz verweigert
worden, so ist es ihm doch gelungen, aus anderen Wege seinen Zweck zu er¬
reichen. Nachdem einmal Graf Stadion den Aufschub der Hinrichtung bewilligte,
war ein solches Resultat auch mit Bestimmtheit zu erwarten, und eS muß sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/305>, abgerufen am 27.07.2024.