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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Zteue Schriften über Oesterreich.
I.
1) Oesterreichs innere Politik mit Beziehung auf die Verfas¬
Krabbe. sung s frage.

Bei den Zerwürfnissen des österreichischen Staatslebens ist es nicht
wunderbar, daß auch in den Reihen derer, die gegen das gegenwärtige
System ankämpfen, die entgegengesetztesten Tendenzen sich geltend machen.
Vor Allem sind aber zwei Richtungen zu unterscheiden: diejenige, welche
durch Erneuerung des ständischen Wesens die Erhebung Oesterreichs ans
seiner bisherigen Lethargie erwartet, und diejenige, welche Alles in die
Hand einer aufgeklärten Regierung gelegt wissen will.

Zu der letztern gehört der Verfasser der an der Spitze dieses Artikels
genannten Schrift, ein Manu, den Niemand verkennen wird, der einiger¬
maßen mit der österreichischen Publizistik vertraut ist. Nachdem er zuerst
nachgewiesen hat, wie uach der durch die josephinischen Reformen erzeugten
Gährung das sogenannte conservative Prinzip der Kaiser Leopold und Franz
sich wohl erklären ließ, wie dasselbe aber durch längere Fortdauer über die
Gähruugsperiode hinaus zu einer vollkommenen Stagnation sichren mußte,
legt er sich die Frage vor: wer ist eigentlich Schuld an diesem System,
dem Erbübel der österreichischen Verwaltung? Und antwortet darauf kurz
und gut: die Aristokratie! Unter dem Schein, die Sache des Thrones
zu vertreten, habe sie nur ihre eignen Interessen, mit Hintansetzung oder
Unterdrückung aller übrigen Staatsangehörigen wahrgenommen; aus ihr sei
die hohe Bureaukratie gebildet, ihr zu Gunsten werde alles freiere Leben im
Volke unterdrückt.

Aber die Interessen des Throns und des Adels gingen nur scheinbar
Hand in Hand; in unsern Tagen, zunächst beim Tode des Grafen Clam-
Martinitz, den die aristokratische Partei mit Recht für die mächtigste Stütze
ihrer Sache anzusehen gewohnt war, habe sie den lange Zeit sorgfältig ge-


Zteue Schriften über Oesterreich.
I.
1) Oesterreichs innere Politik mit Beziehung auf die Verfas¬
Krabbe. sung s frage.

Bei den Zerwürfnissen des österreichischen Staatslebens ist es nicht
wunderbar, daß auch in den Reihen derer, die gegen das gegenwärtige
System ankämpfen, die entgegengesetztesten Tendenzen sich geltend machen.
Vor Allem sind aber zwei Richtungen zu unterscheiden: diejenige, welche
durch Erneuerung des ständischen Wesens die Erhebung Oesterreichs ans
seiner bisherigen Lethargie erwartet, und diejenige, welche Alles in die
Hand einer aufgeklärten Regierung gelegt wissen will.

Zu der letztern gehört der Verfasser der an der Spitze dieses Artikels
genannten Schrift, ein Manu, den Niemand verkennen wird, der einiger¬
maßen mit der österreichischen Publizistik vertraut ist. Nachdem er zuerst
nachgewiesen hat, wie uach der durch die josephinischen Reformen erzeugten
Gährung das sogenannte conservative Prinzip der Kaiser Leopold und Franz
sich wohl erklären ließ, wie dasselbe aber durch längere Fortdauer über die
Gähruugsperiode hinaus zu einer vollkommenen Stagnation sichren mußte,
legt er sich die Frage vor: wer ist eigentlich Schuld an diesem System,
dem Erbübel der österreichischen Verwaltung? Und antwortet darauf kurz
und gut: die Aristokratie! Unter dem Schein, die Sache des Thrones
zu vertreten, habe sie nur ihre eignen Interessen, mit Hintansetzung oder
Unterdrückung aller übrigen Staatsangehörigen wahrgenommen; aus ihr sei
die hohe Bureaukratie gebildet, ihr zu Gunsten werde alles freiere Leben im
Volke unterdrückt.

Aber die Interessen des Throns und des Adels gingen nur scheinbar
Hand in Hand; in unsern Tagen, zunächst beim Tode des Grafen Clam-
Martinitz, den die aristokratische Partei mit Recht für die mächtigste Stütze
ihrer Sache anzusehen gewohnt war, habe sie den lange Zeit sorgfältig ge-


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[0016] Zteue Schriften über Oesterreich. I. 1) Oesterreichs innere Politik mit Beziehung auf die Verfas¬ Krabbe. sung s frage. Bei den Zerwürfnissen des österreichischen Staatslebens ist es nicht wunderbar, daß auch in den Reihen derer, die gegen das gegenwärtige System ankämpfen, die entgegengesetztesten Tendenzen sich geltend machen. Vor Allem sind aber zwei Richtungen zu unterscheiden: diejenige, welche durch Erneuerung des ständischen Wesens die Erhebung Oesterreichs ans seiner bisherigen Lethargie erwartet, und diejenige, welche Alles in die Hand einer aufgeklärten Regierung gelegt wissen will. Zu der letztern gehört der Verfasser der an der Spitze dieses Artikels genannten Schrift, ein Manu, den Niemand verkennen wird, der einiger¬ maßen mit der österreichischen Publizistik vertraut ist. Nachdem er zuerst nachgewiesen hat, wie uach der durch die josephinischen Reformen erzeugten Gährung das sogenannte conservative Prinzip der Kaiser Leopold und Franz sich wohl erklären ließ, wie dasselbe aber durch längere Fortdauer über die Gähruugsperiode hinaus zu einer vollkommenen Stagnation sichren mußte, legt er sich die Frage vor: wer ist eigentlich Schuld an diesem System, dem Erbübel der österreichischen Verwaltung? Und antwortet darauf kurz und gut: die Aristokratie! Unter dem Schein, die Sache des Thrones zu vertreten, habe sie nur ihre eignen Interessen, mit Hintansetzung oder Unterdrückung aller übrigen Staatsangehörigen wahrgenommen; aus ihr sei die hohe Bureaukratie gebildet, ihr zu Gunsten werde alles freiere Leben im Volke unterdrückt. Aber die Interessen des Throns und des Adels gingen nur scheinbar Hand in Hand; in unsern Tagen, zunächst beim Tode des Grafen Clam- Martinitz, den die aristokratische Partei mit Recht für die mächtigste Stütze ihrer Sache anzusehen gewohnt war, habe sie den lange Zeit sorgfältig ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/16>, abgerufen am 01.09.2024.