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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Viel wird jetzt in England für die Musik gethan und dennoch -- wie
wenig ist der Geschmack gebildet. Der komische Sänger, John Parry, ist
eigentlich doch derjenige, der ihnen am Besten gefällt. Gestern sang er im
Concert des Herrn Lindsay Sloper, eines jungen Mannes, der eben vom
Continente zurückgekehrt, ein sehr hübsch ausgebildetes Talent für das Piano
mitgebracht hat, und trug Lalla Rook travestirt vor -- eine bloße Burleske, für
eine Opera (?vini"jre passend -- doch mußte er dieselbe wiederholen und erfreute
sich des allgemeinsten und begeistertesten Beifalls. Er sang oder declamirte zum
zweiten Male ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter, wovon die erstere
schlecht französisch spricht und die zweite corrigirt. Die Mutter nennt z. B.
eine NöLs-lAoi-i" eine AIvu-lAviio u. s. w., und diese dummen Scherze gel¬
ten für passend in einem Concert. -- Donnerstag den 24. Juni faud Ma¬
dame d'Eichthal's "nmtinvo um8in!Üo" statt, wobei die Elite der Aristokratie
gegenwärtig war und unter dieser die schonen Töchter der Herzogin v. Such er¬
laub. Prinz Louis Napoleon hatte am obern Ende des Zimmers Platz ge¬
nommen und starrte träumend die Versammlung an. Er sieht ganz wie
ein alter Mann aus. Seine kleinen grauen Augen sind tief gesunken und
leuchten matt; feinen großen Mund bedeckt ein ungeheurer brauner Schurr¬
bart; seine Nase ist groß und scharf. Das ganze seiner Physiognomie macht
keinen Eindruck; es liegt nichts Bedeutendes darin. Seine Gesichtsfarbe ist
brann und falbe. Vor ihm trat der natürliche Sohn Napoleon's, Herr
Emiliani, auf und spielte ein sehr schönes Violiucvncert. Die Aehnlichkeit
mit seinem Vater ist merkwürdig. Dasselbe glatt anliegende schwarze Haar,
die breitgewölbte Stirn, der ernst gedankenvolle Blick, der fein gekniffene
Mund, die reine blaßgelbe Farbe! -- Es thut einem nur weh, daß der
Sohn eiues solchen Mannes eine Violine handhaben mußte. -- Wenn in
seinem Kopfe keine großen Gedanken und bedeutende Anlagen Raum gefun¬
den, so trügt alle Lehre der Physiognomik und der Phroeuologie. -- Madame
d'Eichthal spielte die Harfe sehr schön. Sie ist allgemein höchst geachtet, weil
sie den Wechsel ihres Schicksals mit so viel Würde hingenommen hat und
ihren Kindern durch ihren Fleiß eine anständige Erziehung angedeihen läßt.


Ämely.


<Yrcn,l>ol-n. NI. 1847.2

Viel wird jetzt in England für die Musik gethan und dennoch — wie
wenig ist der Geschmack gebildet. Der komische Sänger, John Parry, ist
eigentlich doch derjenige, der ihnen am Besten gefällt. Gestern sang er im
Concert des Herrn Lindsay Sloper, eines jungen Mannes, der eben vom
Continente zurückgekehrt, ein sehr hübsch ausgebildetes Talent für das Piano
mitgebracht hat, und trug Lalla Rook travestirt vor — eine bloße Burleske, für
eine Opera (?vini«jre passend — doch mußte er dieselbe wiederholen und erfreute
sich des allgemeinsten und begeistertesten Beifalls. Er sang oder declamirte zum
zweiten Male ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter, wovon die erstere
schlecht französisch spricht und die zweite corrigirt. Die Mutter nennt z. B.
eine NöLs-lAoi-i« eine AIvu-lAviio u. s. w., und diese dummen Scherze gel¬
ten für passend in einem Concert. — Donnerstag den 24. Juni faud Ma¬
dame d'Eichthal's „nmtinvo um8in!Üo" statt, wobei die Elite der Aristokratie
gegenwärtig war und unter dieser die schonen Töchter der Herzogin v. Such er¬
laub. Prinz Louis Napoleon hatte am obern Ende des Zimmers Platz ge¬
nommen und starrte träumend die Versammlung an. Er sieht ganz wie
ein alter Mann aus. Seine kleinen grauen Augen sind tief gesunken und
leuchten matt; feinen großen Mund bedeckt ein ungeheurer brauner Schurr¬
bart; seine Nase ist groß und scharf. Das ganze seiner Physiognomie macht
keinen Eindruck; es liegt nichts Bedeutendes darin. Seine Gesichtsfarbe ist
brann und falbe. Vor ihm trat der natürliche Sohn Napoleon's, Herr
Emiliani, auf und spielte ein sehr schönes Violiucvncert. Die Aehnlichkeit
mit seinem Vater ist merkwürdig. Dasselbe glatt anliegende schwarze Haar,
die breitgewölbte Stirn, der ernst gedankenvolle Blick, der fein gekniffene
Mund, die reine blaßgelbe Farbe! — Es thut einem nur weh, daß der
Sohn eiues solchen Mannes eine Violine handhaben mußte. — Wenn in
seinem Kopfe keine großen Gedanken und bedeutende Anlagen Raum gefun¬
den, so trügt alle Lehre der Physiognomik und der Phroeuologie. — Madame
d'Eichthal spielte die Harfe sehr schön. Sie ist allgemein höchst geachtet, weil
sie den Wechsel ihres Schicksals mit so viel Würde hingenommen hat und
ihren Kindern durch ihren Fleiß eine anständige Erziehung angedeihen läßt.


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[0015] Viel wird jetzt in England für die Musik gethan und dennoch — wie wenig ist der Geschmack gebildet. Der komische Sänger, John Parry, ist eigentlich doch derjenige, der ihnen am Besten gefällt. Gestern sang er im Concert des Herrn Lindsay Sloper, eines jungen Mannes, der eben vom Continente zurückgekehrt, ein sehr hübsch ausgebildetes Talent für das Piano mitgebracht hat, und trug Lalla Rook travestirt vor — eine bloße Burleske, für eine Opera (?vini«jre passend — doch mußte er dieselbe wiederholen und erfreute sich des allgemeinsten und begeistertesten Beifalls. Er sang oder declamirte zum zweiten Male ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter, wovon die erstere schlecht französisch spricht und die zweite corrigirt. Die Mutter nennt z. B. eine NöLs-lAoi-i« eine AIvu-lAviio u. s. w., und diese dummen Scherze gel¬ ten für passend in einem Concert. — Donnerstag den 24. Juni faud Ma¬ dame d'Eichthal's „nmtinvo um8in!Üo" statt, wobei die Elite der Aristokratie gegenwärtig war und unter dieser die schonen Töchter der Herzogin v. Such er¬ laub. Prinz Louis Napoleon hatte am obern Ende des Zimmers Platz ge¬ nommen und starrte träumend die Versammlung an. Er sieht ganz wie ein alter Mann aus. Seine kleinen grauen Augen sind tief gesunken und leuchten matt; feinen großen Mund bedeckt ein ungeheurer brauner Schurr¬ bart; seine Nase ist groß und scharf. Das ganze seiner Physiognomie macht keinen Eindruck; es liegt nichts Bedeutendes darin. Seine Gesichtsfarbe ist brann und falbe. Vor ihm trat der natürliche Sohn Napoleon's, Herr Emiliani, auf und spielte ein sehr schönes Violiucvncert. Die Aehnlichkeit mit seinem Vater ist merkwürdig. Dasselbe glatt anliegende schwarze Haar, die breitgewölbte Stirn, der ernst gedankenvolle Blick, der fein gekniffene Mund, die reine blaßgelbe Farbe! — Es thut einem nur weh, daß der Sohn eiues solchen Mannes eine Violine handhaben mußte. — Wenn in seinem Kopfe keine großen Gedanken und bedeutende Anlagen Raum gefun¬ den, so trügt alle Lehre der Physiognomik und der Phroeuologie. — Madame d'Eichthal spielte die Harfe sehr schön. Sie ist allgemein höchst geachtet, weil sie den Wechsel ihres Schicksals mit so viel Würde hingenommen hat und ihren Kindern durch ihren Fleiß eine anständige Erziehung angedeihen läßt. Ämely. <Yrcn,l>ol-n. NI. 1847.2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/15>, abgerufen am 01.09.2024.