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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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hüteten Schleier ihres Geheimnisses höchst unvorsichtig selbst gelüstet. In dem
Buche: "Oesterreich und dessen Zukunft" sei auf eine plumpe Weise offen aus¬
gesprochen, was sie insgeheim bisher angestrebt, was ihr mißlungen, was sie
selbst rin offener Empörung durchzusetzen gesonnen. Der Adelsaufstand in Ga-
lizien sei nur ein anderes Symptom derselben Idee gewesen, und es müsse jedem
Einsichtsvollen klar sein, daß die im Volke gesuchte Gefahr für das monar¬
chische Prinzip ganz allein bei der Adclspartei bestand, noch besteht und fort¬
bestehen wird, so lange der österreichische Staat bestehen wird.

Durch die Herrschaft des Adels sei jene Dienstbarkeit der productiven
Classe, jenes dumpfe Stillschweigen zu erklären, zu dem alle geistige Thätig¬
keit verurtheilt sei; aus diesem die politische Charakterlosigkeit, die Gleich¬
gültigkeit gegen den Staat, der Servilismus neben dem aristokratischen
Hochmuth. Das Volk widerstrebte den bureaukratischen Maßregeln geistiger
Zwangsherrschast nicht, es ließ sich niederbeugen, trat aber gleichgültig in das
Verhältniß gänzlicher Teilnahmlosigkeit an den Interessen des Staats. Der
Volksgeist, der wunderwirkende von 1809, war dahin.

Durch die rein sinnliche Lebensauffassung, der allein freier Spielraum
gelassen wurde, ward der Geschmack verweichlicht, der sittliche Ernst und die
geistige Empfänglichkeit untergraben. "Der Mensch wurde mit all' seineu
Ansprüchen auf das gegebene Wirkliche verwiesen. Uebersinnliches ward zum
Ammenmährchen, und wo etwa noch Geschmack am Idealen sich äußerte, be¬
sudelte man die Phantasie so lange mit dem Schmutze der wirklichen Welt,
bis sie jenem entsagte. Die Weiber wurden gemein, die Männer roh, der
Austand beiden lästig."

"Noch schlimmer als in der Gesellschaft äußerten sich die Folgen dieser
Richtung im Familienleben. Das Außenleben und die Genußsucht entfrem¬
deten die Kinder den Eltern, die überdies das Erziehungsgeschäft als zeit¬
raubende Last ansahen. Nicht Grundsätze, sondern Grundsatzlosigkeit solle
den Kindern eingepflanzt werden nach der ans der Erfahrung geschöpften
Maxime, daß jene dem Fortkommen hinderlich, diese förderlich sei. Nicht
die Bilder von großen Menschen, sondern die Beispiele von rontinirten
Weltlenker sollten dem Jünglinge vorgehalten werden. Es müsse ihm be¬
greiflich gemacht werden, hieß es, daß Religion nichts ist als ein Schemen,
eine Form, verbindlich für die niedrigste Classe, kindisch und lächerlich für
den Mann von Geist, und es sei die Aufgabe rationeller Erziehung, die
Lüge, in höchster Potenz der Verneinung aller sittlichen Wahrheiten ge¬
dacht, im intensivsten Grade in ihm auszubilden."

"Der Wissenschaftsbetrieb hörte ganz auf, weil er nicht geduldet wurde.
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hüteten Schleier ihres Geheimnisses höchst unvorsichtig selbst gelüstet. In dem
Buche: „Oesterreich und dessen Zukunft" sei auf eine plumpe Weise offen aus¬
gesprochen, was sie insgeheim bisher angestrebt, was ihr mißlungen, was sie
selbst rin offener Empörung durchzusetzen gesonnen. Der Adelsaufstand in Ga-
lizien sei nur ein anderes Symptom derselben Idee gewesen, und es müsse jedem
Einsichtsvollen klar sein, daß die im Volke gesuchte Gefahr für das monar¬
chische Prinzip ganz allein bei der Adclspartei bestand, noch besteht und fort¬
bestehen wird, so lange der österreichische Staat bestehen wird.

Durch die Herrschaft des Adels sei jene Dienstbarkeit der productiven
Classe, jenes dumpfe Stillschweigen zu erklären, zu dem alle geistige Thätig¬
keit verurtheilt sei; aus diesem die politische Charakterlosigkeit, die Gleich¬
gültigkeit gegen den Staat, der Servilismus neben dem aristokratischen
Hochmuth. Das Volk widerstrebte den bureaukratischen Maßregeln geistiger
Zwangsherrschast nicht, es ließ sich niederbeugen, trat aber gleichgültig in das
Verhältniß gänzlicher Teilnahmlosigkeit an den Interessen des Staats. Der
Volksgeist, der wunderwirkende von 1809, war dahin.

Durch die rein sinnliche Lebensauffassung, der allein freier Spielraum
gelassen wurde, ward der Geschmack verweichlicht, der sittliche Ernst und die
geistige Empfänglichkeit untergraben. „Der Mensch wurde mit all' seineu
Ansprüchen auf das gegebene Wirkliche verwiesen. Uebersinnliches ward zum
Ammenmährchen, und wo etwa noch Geschmack am Idealen sich äußerte, be¬
sudelte man die Phantasie so lange mit dem Schmutze der wirklichen Welt,
bis sie jenem entsagte. Die Weiber wurden gemein, die Männer roh, der
Austand beiden lästig."

„Noch schlimmer als in der Gesellschaft äußerten sich die Folgen dieser
Richtung im Familienleben. Das Außenleben und die Genußsucht entfrem¬
deten die Kinder den Eltern, die überdies das Erziehungsgeschäft als zeit¬
raubende Last ansahen. Nicht Grundsätze, sondern Grundsatzlosigkeit solle
den Kindern eingepflanzt werden nach der ans der Erfahrung geschöpften
Maxime, daß jene dem Fortkommen hinderlich, diese förderlich sei. Nicht
die Bilder von großen Menschen, sondern die Beispiele von rontinirten
Weltlenker sollten dem Jünglinge vorgehalten werden. Es müsse ihm be¬
greiflich gemacht werden, hieß es, daß Religion nichts ist als ein Schemen,
eine Form, verbindlich für die niedrigste Classe, kindisch und lächerlich für
den Mann von Geist, und es sei die Aufgabe rationeller Erziehung, die
Lüge, in höchster Potenz der Verneinung aller sittlichen Wahrheiten ge¬
dacht, im intensivsten Grade in ihm auszubilden."

„Der Wissenschaftsbetrieb hörte ganz auf, weil er nicht geduldet wurde.
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[0017] hüteten Schleier ihres Geheimnisses höchst unvorsichtig selbst gelüstet. In dem Buche: „Oesterreich und dessen Zukunft" sei auf eine plumpe Weise offen aus¬ gesprochen, was sie insgeheim bisher angestrebt, was ihr mißlungen, was sie selbst rin offener Empörung durchzusetzen gesonnen. Der Adelsaufstand in Ga- lizien sei nur ein anderes Symptom derselben Idee gewesen, und es müsse jedem Einsichtsvollen klar sein, daß die im Volke gesuchte Gefahr für das monar¬ chische Prinzip ganz allein bei der Adclspartei bestand, noch besteht und fort¬ bestehen wird, so lange der österreichische Staat bestehen wird. Durch die Herrschaft des Adels sei jene Dienstbarkeit der productiven Classe, jenes dumpfe Stillschweigen zu erklären, zu dem alle geistige Thätig¬ keit verurtheilt sei; aus diesem die politische Charakterlosigkeit, die Gleich¬ gültigkeit gegen den Staat, der Servilismus neben dem aristokratischen Hochmuth. Das Volk widerstrebte den bureaukratischen Maßregeln geistiger Zwangsherrschast nicht, es ließ sich niederbeugen, trat aber gleichgültig in das Verhältniß gänzlicher Teilnahmlosigkeit an den Interessen des Staats. Der Volksgeist, der wunderwirkende von 1809, war dahin. Durch die rein sinnliche Lebensauffassung, der allein freier Spielraum gelassen wurde, ward der Geschmack verweichlicht, der sittliche Ernst und die geistige Empfänglichkeit untergraben. „Der Mensch wurde mit all' seineu Ansprüchen auf das gegebene Wirkliche verwiesen. Uebersinnliches ward zum Ammenmährchen, und wo etwa noch Geschmack am Idealen sich äußerte, be¬ sudelte man die Phantasie so lange mit dem Schmutze der wirklichen Welt, bis sie jenem entsagte. Die Weiber wurden gemein, die Männer roh, der Austand beiden lästig." „Noch schlimmer als in der Gesellschaft äußerten sich die Folgen dieser Richtung im Familienleben. Das Außenleben und die Genußsucht entfrem¬ deten die Kinder den Eltern, die überdies das Erziehungsgeschäft als zeit¬ raubende Last ansahen. Nicht Grundsätze, sondern Grundsatzlosigkeit solle den Kindern eingepflanzt werden nach der ans der Erfahrung geschöpften Maxime, daß jene dem Fortkommen hinderlich, diese förderlich sei. Nicht die Bilder von großen Menschen, sondern die Beispiele von rontinirten Weltlenker sollten dem Jünglinge vorgehalten werden. Es müsse ihm be¬ greiflich gemacht werden, hieß es, daß Religion nichts ist als ein Schemen, eine Form, verbindlich für die niedrigste Classe, kindisch und lächerlich für den Mann von Geist, und es sei die Aufgabe rationeller Erziehung, die Lüge, in höchster Potenz der Verneinung aller sittlichen Wahrheiten ge¬ dacht, im intensivsten Grade in ihm auszubilden." „Der Wissenschaftsbetrieb hörte ganz auf, weil er nicht geduldet wurde. * S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/17>, abgerufen am 01.09.2024.