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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Der preußische Landtag ).

Stimmungen. -- Die liberale Opposition. -- Zweierlei Richtungen derselben. -- Prak¬
tische Klugheit und Ehrgefühl. -- Worüber man einig ist ! -- Heinrich Simon. --
Die Schrift von Gervinus. -- Der sittliche Conflict.

Es gibt Zeiten, wo der Pulsschlag des Lebens rascher geht; wo man
mit einer gewissen Art banger Erwartung, mit einem Herzklopfen , das halt"
Hoffnung halb Furcht ist, dem Schlage einer jeden Stunde lauscht, was sie
bringen möge. Die Zeit ist aus ihrem Alltagsgeleise getreten; die Geschichte
wird Wahrheit.

Es ist eine fieberhafte Anspannung, die sich gegenwärtig aller Herzen
bemächtigt hat, so viel noch überhaupt für Ideen empfänglich sind. Poeten,
Romantiker, die sollst lieber Tagelang den musikalischen Combinationen lausch¬
ten, welche der Wind in einer Aeolsharfe erregte, die dem Interesse für die
sittliche Entwickelung^ des Geistes ganz abgestorben zu sein schienen, sind mit
ergrissen von dein Hauch der Begeisterung, der plötzlich der Zeit Schwingen
gibt. Diese Begeisterung ist deshalb von nicht geringerer Bedeutung, weil
sie bedingt, weil sie, ich möchte sagen, unsicher ist. Sie ist mit einem dop¬
peltem Mißtrauen zersetzt: Mißtrauen gegen die Macht, in der sie schon
geneigt ist> nur den Widerstand gegen ihre Ideen zusehen; Mißtrauen gegen
die Männer, denen die große Aufgabe zu Theil, wurde, sie zu leiten. Man
ist nicht zweifelhaft über ihre Gesinnung und ihre Einsicht, man hat aber
Bedenken über ihren Charakter.

Die gute Gesinnung reicht ans in den gewöhnlichen Fällen, wo Alles
ungefähr denselben Trab geht, an den man sich nun seit Jahrzehenden ge¬
wöhnt hat. Aber ein außergewöhnlicher Fall, der keine Analogien zuläßt,
erfordert einen festen, harten Muth. Und wie schwer ist es da, auf sittliche
Stärke, ans einen zugleich gebildeten und festen Willen zu rechnen in einer
Zeit, deren eigentlicher Charakter die Halbheit ist, das Schönthun mit guten
Gesinnungen, die Coquetterie mit aller Welt, das Drehen und Wenden
nach den entgegengesetzten Polen sittlicher Magnete? Doch zur Sache.



D. R.
*) Als Einleitung zu dem Bericht im Tagebuch.
Der preußische Landtag ).

Stimmungen. — Die liberale Opposition. — Zweierlei Richtungen derselben. — Prak¬
tische Klugheit und Ehrgefühl. — Worüber man einig ist ! — Heinrich Simon. —
Die Schrift von Gervinus. — Der sittliche Conflict.

Es gibt Zeiten, wo der Pulsschlag des Lebens rascher geht; wo man
mit einer gewissen Art banger Erwartung, mit einem Herzklopfen , das halt»
Hoffnung halb Furcht ist, dem Schlage einer jeden Stunde lauscht, was sie
bringen möge. Die Zeit ist aus ihrem Alltagsgeleise getreten; die Geschichte
wird Wahrheit.

Es ist eine fieberhafte Anspannung, die sich gegenwärtig aller Herzen
bemächtigt hat, so viel noch überhaupt für Ideen empfänglich sind. Poeten,
Romantiker, die sollst lieber Tagelang den musikalischen Combinationen lausch¬
ten, welche der Wind in einer Aeolsharfe erregte, die dem Interesse für die
sittliche Entwickelung^ des Geistes ganz abgestorben zu sein schienen, sind mit
ergrissen von dein Hauch der Begeisterung, der plötzlich der Zeit Schwingen
gibt. Diese Begeisterung ist deshalb von nicht geringerer Bedeutung, weil
sie bedingt, weil sie, ich möchte sagen, unsicher ist. Sie ist mit einem dop¬
peltem Mißtrauen zersetzt: Mißtrauen gegen die Macht, in der sie schon
geneigt ist> nur den Widerstand gegen ihre Ideen zusehen; Mißtrauen gegen
die Männer, denen die große Aufgabe zu Theil, wurde, sie zu leiten. Man
ist nicht zweifelhaft über ihre Gesinnung und ihre Einsicht, man hat aber
Bedenken über ihren Charakter.

Die gute Gesinnung reicht ans in den gewöhnlichen Fällen, wo Alles
ungefähr denselben Trab geht, an den man sich nun seit Jahrzehenden ge¬
wöhnt hat. Aber ein außergewöhnlicher Fall, der keine Analogien zuläßt,
erfordert einen festen, harten Muth. Und wie schwer ist es da, auf sittliche
Stärke, ans einen zugleich gebildeten und festen Willen zu rechnen in einer
Zeit, deren eigentlicher Charakter die Halbheit ist, das Schönthun mit guten
Gesinnungen, die Coquetterie mit aller Welt, das Drehen und Wenden
nach den entgegengesetzten Polen sittlicher Magnete? Doch zur Sache.



D. R.
*) Als Einleitung zu dem Bericht im Tagebuch.
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[0085] Der preußische Landtag ). Stimmungen. — Die liberale Opposition. — Zweierlei Richtungen derselben. — Prak¬ tische Klugheit und Ehrgefühl. — Worüber man einig ist ! — Heinrich Simon. — Die Schrift von Gervinus. — Der sittliche Conflict. Es gibt Zeiten, wo der Pulsschlag des Lebens rascher geht; wo man mit einer gewissen Art banger Erwartung, mit einem Herzklopfen , das halt» Hoffnung halb Furcht ist, dem Schlage einer jeden Stunde lauscht, was sie bringen möge. Die Zeit ist aus ihrem Alltagsgeleise getreten; die Geschichte wird Wahrheit. Es ist eine fieberhafte Anspannung, die sich gegenwärtig aller Herzen bemächtigt hat, so viel noch überhaupt für Ideen empfänglich sind. Poeten, Romantiker, die sollst lieber Tagelang den musikalischen Combinationen lausch¬ ten, welche der Wind in einer Aeolsharfe erregte, die dem Interesse für die sittliche Entwickelung^ des Geistes ganz abgestorben zu sein schienen, sind mit ergrissen von dein Hauch der Begeisterung, der plötzlich der Zeit Schwingen gibt. Diese Begeisterung ist deshalb von nicht geringerer Bedeutung, weil sie bedingt, weil sie, ich möchte sagen, unsicher ist. Sie ist mit einem dop¬ peltem Mißtrauen zersetzt: Mißtrauen gegen die Macht, in der sie schon geneigt ist> nur den Widerstand gegen ihre Ideen zusehen; Mißtrauen gegen die Männer, denen die große Aufgabe zu Theil, wurde, sie zu leiten. Man ist nicht zweifelhaft über ihre Gesinnung und ihre Einsicht, man hat aber Bedenken über ihren Charakter. Die gute Gesinnung reicht ans in den gewöhnlichen Fällen, wo Alles ungefähr denselben Trab geht, an den man sich nun seit Jahrzehenden ge¬ wöhnt hat. Aber ein außergewöhnlicher Fall, der keine Analogien zuläßt, erfordert einen festen, harten Muth. Und wie schwer ist es da, auf sittliche Stärke, ans einen zugleich gebildeten und festen Willen zu rechnen in einer Zeit, deren eigentlicher Charakter die Halbheit ist, das Schönthun mit guten Gesinnungen, die Coquetterie mit aller Welt, das Drehen und Wenden nach den entgegengesetzten Polen sittlicher Magnete? Doch zur Sache. D. R. *) Als Einleitung zu dem Bericht im Tagebuch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/85>, abgerufen am 29.06.2024.