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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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i.
Münchener Zustände.

München ist ohnstreitig eine der interessantesten Städte Deutschlands. Ganz
abgesehen von seinen reichen Kunstschätzen, bietet auch das innere Leben viele
der näheren Beobachtung werthe Seiten. Das Volkstümliche hat sich hier bei
dem Kern der Einwohnerschaft noch ziemlich unverfälscht erhalten - wie vor
50 Jahren.

Nirgends weniger aus der Welt stimmen diese hohen Paläste und Kuust-
hallen, diese goldglänzenden Standbilder und Säulen und Triumphbogen, die
man überall in Baierns Hauptstadt findet, mit dem Charakter des Volkes.
Selbst der Eindruck aller dieser reichen Schöpfungen, zu denen ganz Deutsch¬
land mit Recht wallfahrtet, ging bisher bei den Einwohnern selbst fast gänzlich
verloren. Es wird zu den Seltenheiten gehören, wenn man einen rechten Mün¬
chener einmal bei der Betrachtung irgend eines Kunstwerkes finden sollte. Die
Hallen seines klassischen Gerstensaftes find ihm weit lieber als alle Pynakothckcn
und Glypthoteken und er würdigt die herrlichen Freskomalereien von Nottmann
in den Arkaden des Hosgartens keines nähern Blickes, um ja nur recht schnell
nach den Belustigungsgarten, wo Genüsse ganz andrer Art seiner warten, zu
kommen. Höchstens wird sein Stolz auf seine Baterstadt befriedigt, wenn er
hört, daß diese ihrer Kunstschätze wegen so weit und breit berühmt ist, und all¬
jährlich immer größere Schaaren von Fremden aller Nationen dahin wallfahrten.
Dennoch haben diese ungeheuren Bauten den Wohlstand der Stadt selbst in hohem
Grade vermehrt, und zahlreichen Bürgern des Handwerkstandes reichen Erwerb
zugewiesen, wie auch die --600 Künstler, die sich beständig hier aushalten, viel
schönes Geld verbreiten. Wenn daher das übrige Königreich bisweilen über die zu
große Kunstliebe seines Monarchen seufzt, so ist man in München selbst vollkommen
mit dieser Vorliebe einverstanden. Daß trotzdem den Münchenern der Kunstsinn noch
sehr wenig in's Fleisch und Blut gedrungen, zeigt besser als alle Worte der ge¬
ringe Geschmack den sie in allen Dingen an den Tag legen. Nirgends wird im
Allgemeinen schlechter von allen Handwerkern gearbeitet, trifft man nnconfvrtablere


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Münchener Zustände.

München ist ohnstreitig eine der interessantesten Städte Deutschlands. Ganz
abgesehen von seinen reichen Kunstschätzen, bietet auch das innere Leben viele
der näheren Beobachtung werthe Seiten. Das Volkstümliche hat sich hier bei
dem Kern der Einwohnerschaft noch ziemlich unverfälscht erhalten - wie vor
50 Jahren.

Nirgends weniger aus der Welt stimmen diese hohen Paläste und Kuust-
hallen, diese goldglänzenden Standbilder und Säulen und Triumphbogen, die
man überall in Baierns Hauptstadt findet, mit dem Charakter des Volkes.
Selbst der Eindruck aller dieser reichen Schöpfungen, zu denen ganz Deutsch¬
land mit Recht wallfahrtet, ging bisher bei den Einwohnern selbst fast gänzlich
verloren. Es wird zu den Seltenheiten gehören, wenn man einen rechten Mün¬
chener einmal bei der Betrachtung irgend eines Kunstwerkes finden sollte. Die
Hallen seines klassischen Gerstensaftes find ihm weit lieber als alle Pynakothckcn
und Glypthoteken und er würdigt die herrlichen Freskomalereien von Nottmann
in den Arkaden des Hosgartens keines nähern Blickes, um ja nur recht schnell
nach den Belustigungsgarten, wo Genüsse ganz andrer Art seiner warten, zu
kommen. Höchstens wird sein Stolz auf seine Baterstadt befriedigt, wenn er
hört, daß diese ihrer Kunstschätze wegen so weit und breit berühmt ist, und all¬
jährlich immer größere Schaaren von Fremden aller Nationen dahin wallfahrten.
Dennoch haben diese ungeheuren Bauten den Wohlstand der Stadt selbst in hohem
Grade vermehrt, und zahlreichen Bürgern des Handwerkstandes reichen Erwerb
zugewiesen, wie auch die —600 Künstler, die sich beständig hier aushalten, viel
schönes Geld verbreiten. Wenn daher das übrige Königreich bisweilen über die zu
große Kunstliebe seines Monarchen seufzt, so ist man in München selbst vollkommen
mit dieser Vorliebe einverstanden. Daß trotzdem den Münchenern der Kunstsinn noch
sehr wenig in's Fleisch und Blut gedrungen, zeigt besser als alle Worte der ge¬
ringe Geschmack den sie in allen Dingen an den Tag legen. Nirgends wird im
Allgemeinen schlechter von allen Handwerkern gearbeitet, trifft man nnconfvrtablere


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[0583] T a g e b u es. i. Münchener Zustände. München ist ohnstreitig eine der interessantesten Städte Deutschlands. Ganz abgesehen von seinen reichen Kunstschätzen, bietet auch das innere Leben viele der näheren Beobachtung werthe Seiten. Das Volkstümliche hat sich hier bei dem Kern der Einwohnerschaft noch ziemlich unverfälscht erhalten - wie vor 50 Jahren. Nirgends weniger aus der Welt stimmen diese hohen Paläste und Kuust- hallen, diese goldglänzenden Standbilder und Säulen und Triumphbogen, die man überall in Baierns Hauptstadt findet, mit dem Charakter des Volkes. Selbst der Eindruck aller dieser reichen Schöpfungen, zu denen ganz Deutsch¬ land mit Recht wallfahrtet, ging bisher bei den Einwohnern selbst fast gänzlich verloren. Es wird zu den Seltenheiten gehören, wenn man einen rechten Mün¬ chener einmal bei der Betrachtung irgend eines Kunstwerkes finden sollte. Die Hallen seines klassischen Gerstensaftes find ihm weit lieber als alle Pynakothckcn und Glypthoteken und er würdigt die herrlichen Freskomalereien von Nottmann in den Arkaden des Hosgartens keines nähern Blickes, um ja nur recht schnell nach den Belustigungsgarten, wo Genüsse ganz andrer Art seiner warten, zu kommen. Höchstens wird sein Stolz auf seine Baterstadt befriedigt, wenn er hört, daß diese ihrer Kunstschätze wegen so weit und breit berühmt ist, und all¬ jährlich immer größere Schaaren von Fremden aller Nationen dahin wallfahrten. Dennoch haben diese ungeheuren Bauten den Wohlstand der Stadt selbst in hohem Grade vermehrt, und zahlreichen Bürgern des Handwerkstandes reichen Erwerb zugewiesen, wie auch die —600 Künstler, die sich beständig hier aushalten, viel schönes Geld verbreiten. Wenn daher das übrige Königreich bisweilen über die zu große Kunstliebe seines Monarchen seufzt, so ist man in München selbst vollkommen mit dieser Vorliebe einverstanden. Daß trotzdem den Münchenern der Kunstsinn noch sehr wenig in's Fleisch und Blut gedrungen, zeigt besser als alle Worte der ge¬ ringe Geschmack den sie in allen Dingen an den Tag legen. Nirgends wird im Allgemeinen schlechter von allen Handwerkern gearbeitet, trifft man nnconfvrtablere 75 "

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/583>, abgerufen am 29.06.2024.