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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Ausgang zum Sturz der Demokratie führen müsse. Robespierre betrachtete
die Revolution als eine strenge Anwendung der philosophischen Grundsätze
auf die Gesellschaft. Ueberzengtcr und leidenschaftlicher Anhänger Rousseau's
war ihm der (üontract snciill ein Evangelium; ein Krieg, der mit dem Blut
des Volks geführt wird, war nach den Lehren dieser Philosophie, wie er
es stets in den Angen der Weisen sein wird, ein Gemetzel für den Ehrgeiz
Einzelner. Robespierre glaubte Frankreich nicht in der Nothwendigkeit, zum
Schwert zu greifen. Ueberzeugt von der Allmacht der neuen Ideen, deren
gläubigen Fanatismus er in seiner Seele trug, die gegen alle Intrigue ver¬
schlossen war, konnte er an eine äußere Gefahr nicht glauben. Er glaubte,
daß in der Gerechtigkeit einer Sache eine unbesiegliche Kraft liege, das Gott
und die Menschen für das Volk wären n. s. w."; die schönen Phrasen des
Sophisten werden ohne Weiteres als baare Münze angenommen.

Mehr einverstanden kann man sich mit dem Urtheil erklären, welches
Lamartine über die legislative Versammlung fällt. "Ans ihrer Schwäche
ging die Wuth des Volkes hervor; sie war der Krisis uicht gewachsen. Sie
hatte das Talent, die Einsicht, den Patriotismus, selbst die Tugenden,
welche den Begründern der Freiheit nothwendig sind; aber ihr fehlte der
Charakter, der Charakter ist der Genius der That. Diese Männer hatten
nur den Genius des Wortes und den Genius des Todes; schön sprechen
und schön sterben das war ihre Bestimmung/'

Ein vollständiges Urtheil über ein historisches Werk abzugeben, von dem
noch nicht die Hälfte erschienen ist*), scheint allerdings gewagt; doch ist die
ganze Färbung der Handlungen und Reflexionen schon in diesen drei Bän¬
den zu bestimmt ausgeführt, als daß man in den folgenden noch eine we¬
sentliche Verschiedenheit erwarten sollte. Für die Kritik ohne Werth, selbst
als abgeschlossenes Geschichtswerk unklassisch, da es eine furchtbar erhabene
Zeit, die uus durch ihre Bedeutung erschüttern sollte, dazu benutzt, uns durch
Detail zu rühren, wird es sich doch in den größeren Kreisen volle Geltung
verschaffen, und wir wünschten nur, daß mehr derartige Werke geschrieben
würden, die schlechte Lectüre zu verdrängen, die jetzt dem abstracten Lese¬
bedürfniß dienen muß.





*) In Paris ist bereits das ganze Werk erschienen, und es heißt, Lamartine wolle
in ähnlicher Art die übrigen Theile der Revolution, die Geschichte der Constituante und
bei Direktoriums behandeln. Wir kommen wohl noch einmal darauf zurück.

Ausgang zum Sturz der Demokratie führen müsse. Robespierre betrachtete
die Revolution als eine strenge Anwendung der philosophischen Grundsätze
auf die Gesellschaft. Ueberzengtcr und leidenschaftlicher Anhänger Rousseau's
war ihm der (üontract snciill ein Evangelium; ein Krieg, der mit dem Blut
des Volks geführt wird, war nach den Lehren dieser Philosophie, wie er
es stets in den Angen der Weisen sein wird, ein Gemetzel für den Ehrgeiz
Einzelner. Robespierre glaubte Frankreich nicht in der Nothwendigkeit, zum
Schwert zu greifen. Ueberzeugt von der Allmacht der neuen Ideen, deren
gläubigen Fanatismus er in seiner Seele trug, die gegen alle Intrigue ver¬
schlossen war, konnte er an eine äußere Gefahr nicht glauben. Er glaubte,
daß in der Gerechtigkeit einer Sache eine unbesiegliche Kraft liege, das Gott
und die Menschen für das Volk wären n. s. w."; die schönen Phrasen des
Sophisten werden ohne Weiteres als baare Münze angenommen.

Mehr einverstanden kann man sich mit dem Urtheil erklären, welches
Lamartine über die legislative Versammlung fällt. „Ans ihrer Schwäche
ging die Wuth des Volkes hervor; sie war der Krisis uicht gewachsen. Sie
hatte das Talent, die Einsicht, den Patriotismus, selbst die Tugenden,
welche den Begründern der Freiheit nothwendig sind; aber ihr fehlte der
Charakter, der Charakter ist der Genius der That. Diese Männer hatten
nur den Genius des Wortes und den Genius des Todes; schön sprechen
und schön sterben das war ihre Bestimmung/'

Ein vollständiges Urtheil über ein historisches Werk abzugeben, von dem
noch nicht die Hälfte erschienen ist*), scheint allerdings gewagt; doch ist die
ganze Färbung der Handlungen und Reflexionen schon in diesen drei Bän¬
den zu bestimmt ausgeführt, als daß man in den folgenden noch eine we¬
sentliche Verschiedenheit erwarten sollte. Für die Kritik ohne Werth, selbst
als abgeschlossenes Geschichtswerk unklassisch, da es eine furchtbar erhabene
Zeit, die uus durch ihre Bedeutung erschüttern sollte, dazu benutzt, uns durch
Detail zu rühren, wird es sich doch in den größeren Kreisen volle Geltung
verschaffen, und wir wünschten nur, daß mehr derartige Werke geschrieben
würden, die schlechte Lectüre zu verdrängen, die jetzt dem abstracten Lese¬
bedürfniß dienen muß.





*) In Paris ist bereits das ganze Werk erschienen, und es heißt, Lamartine wolle
in ähnlicher Art die übrigen Theile der Revolution, die Geschichte der Constituante und
bei Direktoriums behandeln. Wir kommen wohl noch einmal darauf zurück.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/582>, abgerufen am 01.07.2024.