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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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sofortige Druck der Rede, die Vertheilung an die Abgeordneten und die Verta¬
gung der Berathung bis zur nächsten Sitzung (die heute stattfindet) beantragt
und von dem Marschall auch genehmigt.'

Der Abgeordnete v. Vincke, der Krautseits halber zehn Tage hindurch den
Sitzungen des Landtags nicht beiwohnen konnte, war bereits am 29. wieder da¬
selbst anwesend, und es ist zu hoffen, daß er sich insoweit hergestellt suhlen wird,
um in der vorliegenden Frage das Wort zu ergreifen.

Ueber die Verlängerung der Session, welche bereits mit dem letzten Tage
dieser Woche, dem 5. Juni abläuft, verlautet noch nichts Bestimmtes. Es ist
anzunehmen, daß die Regierung hierüber selbst noch nicht zu einem Entschlüsse
gekommen ist, sondern den Ausgang der gegenwärtigen Berathung erst abwarten
will. Besonders ist es die Wahl der Ausschüsse, die doch, wenn sie überhaupt
vorgenommen werden soll, demnächst stattfinden müßte, die sie in Verlegenheit
setzt. Sie will daher dies der bevorstehenden Abstimmung ansehen, auf wie viel
Mitglieder der zweiten Curie für Vornahme dieser Wahlen gerechnet werden kann.


D.
2.
Die Judenfrage.

Der dem preußischen Landtag vorgelegte Entwurf einer Verordnung
über die Verhältnisse der Juden in Preußen hat eine Brochüre von
Herr M. Veit (Stadtverordneten in Berlin) veranlaßt, die so eben bei Brock¬
haus erschienen ist. Die Wichtigkeit des Gegenstandes veranlaßt uns, mit einigen
Worten darauf einzugehen.

Der Versasser stellt völlige Rechtsgleichheit der Jude" mit den Christen als
einen vom Zeitgeist begründeten Anspruch dar; daß die Juden auf das Patronat
über christliche Kirchen, auf das Lehramt der christlichen Theologie keinen Anspruch
machen würden, verstände sich von selbst. Als die Nir^iiir ^lurrtn der Juden
bezeichnet er das Edict vom l>. März 1812, welches zuerst die mittelalterliche
Absonderung der Juden aufhob. Dieses Edict zerfiel in 3 Theile: die bürgerli¬
chen Rechte, die privatrechtlichen Verhältnisse, deu kirchliche" Zustand der Jude".
Im 1. Theil war das Anerkenntniß ausgesprochen, daß dem Grundsatz nach die
Juden als solche von den Staatsämtern nicht auszuschließen seien, wie weit aber
diese Berechtigung gehen sollte, hatte sich der Gesetzgeber vorbehalten, näher zu
bestimmen. Eine Verschiedenheit der privatrechtlichen Verhältnisse der Juden ge¬
stattet der Gesetzgeber nnr bei solchen Handlungen, welche wegen der Verschieden¬
heit der Religionsbegriffe und des Cultus an besondere gesetzliche Bestimmungen
und Formen nothwendig gebunden sind. Die Anordnung der kirchlichen Zu¬
stände blieb einer künftigen Gesetzgebung anheimgestellt.

Dieses Edict blieb aber auf das Preußen des Tilsiter Friedens beschränkt,
während in den übrigen Theilen der Monarchie ,!7 verschiedene Gesetzgebungen
Geltung hatten, und selbst auch jene Bestimmungen wußte die Reaction der letzten
25 Jahre in mehren Punkten empfindlich zu verletzen.

Die Aufgabe der Gesetzgebung war nun, das Edict MM zu vervollständigen.


sofortige Druck der Rede, die Vertheilung an die Abgeordneten und die Verta¬
gung der Berathung bis zur nächsten Sitzung (die heute stattfindet) beantragt
und von dem Marschall auch genehmigt.'

Der Abgeordnete v. Vincke, der Krautseits halber zehn Tage hindurch den
Sitzungen des Landtags nicht beiwohnen konnte, war bereits am 29. wieder da¬
selbst anwesend, und es ist zu hoffen, daß er sich insoweit hergestellt suhlen wird,
um in der vorliegenden Frage das Wort zu ergreifen.

Ueber die Verlängerung der Session, welche bereits mit dem letzten Tage
dieser Woche, dem 5. Juni abläuft, verlautet noch nichts Bestimmtes. Es ist
anzunehmen, daß die Regierung hierüber selbst noch nicht zu einem Entschlüsse
gekommen ist, sondern den Ausgang der gegenwärtigen Berathung erst abwarten
will. Besonders ist es die Wahl der Ausschüsse, die doch, wenn sie überhaupt
vorgenommen werden soll, demnächst stattfinden müßte, die sie in Verlegenheit
setzt. Sie will daher dies der bevorstehenden Abstimmung ansehen, auf wie viel
Mitglieder der zweiten Curie für Vornahme dieser Wahlen gerechnet werden kann.


D.
2.
Die Judenfrage.

Der dem preußischen Landtag vorgelegte Entwurf einer Verordnung
über die Verhältnisse der Juden in Preußen hat eine Brochüre von
Herr M. Veit (Stadtverordneten in Berlin) veranlaßt, die so eben bei Brock¬
haus erschienen ist. Die Wichtigkeit des Gegenstandes veranlaßt uns, mit einigen
Worten darauf einzugehen.

Der Versasser stellt völlige Rechtsgleichheit der Jude» mit den Christen als
einen vom Zeitgeist begründeten Anspruch dar; daß die Juden auf das Patronat
über christliche Kirchen, auf das Lehramt der christlichen Theologie keinen Anspruch
machen würden, verstände sich von selbst. Als die Nir^iiir ^lurrtn der Juden
bezeichnet er das Edict vom l>. März 1812, welches zuerst die mittelalterliche
Absonderung der Juden aufhob. Dieses Edict zerfiel in 3 Theile: die bürgerli¬
chen Rechte, die privatrechtlichen Verhältnisse, deu kirchliche» Zustand der Jude».
Im 1. Theil war das Anerkenntniß ausgesprochen, daß dem Grundsatz nach die
Juden als solche von den Staatsämtern nicht auszuschließen seien, wie weit aber
diese Berechtigung gehen sollte, hatte sich der Gesetzgeber vorbehalten, näher zu
bestimmen. Eine Verschiedenheit der privatrechtlichen Verhältnisse der Juden ge¬
stattet der Gesetzgeber nnr bei solchen Handlungen, welche wegen der Verschieden¬
heit der Religionsbegriffe und des Cultus an besondere gesetzliche Bestimmungen
und Formen nothwendig gebunden sind. Die Anordnung der kirchlichen Zu¬
stände blieb einer künftigen Gesetzgebung anheimgestellt.

Dieses Edict blieb aber auf das Preußen des Tilsiter Friedens beschränkt,
während in den übrigen Theilen der Monarchie ,!7 verschiedene Gesetzgebungen
Geltung hatten, und selbst auch jene Bestimmungen wußte die Reaction der letzten
25 Jahre in mehren Punkten empfindlich zu verletzen.

Die Aufgabe der Gesetzgebung war nun, das Edict MM zu vervollständigen.


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[0408] sofortige Druck der Rede, die Vertheilung an die Abgeordneten und die Verta¬ gung der Berathung bis zur nächsten Sitzung (die heute stattfindet) beantragt und von dem Marschall auch genehmigt.' Der Abgeordnete v. Vincke, der Krautseits halber zehn Tage hindurch den Sitzungen des Landtags nicht beiwohnen konnte, war bereits am 29. wieder da¬ selbst anwesend, und es ist zu hoffen, daß er sich insoweit hergestellt suhlen wird, um in der vorliegenden Frage das Wort zu ergreifen. Ueber die Verlängerung der Session, welche bereits mit dem letzten Tage dieser Woche, dem 5. Juni abläuft, verlautet noch nichts Bestimmtes. Es ist anzunehmen, daß die Regierung hierüber selbst noch nicht zu einem Entschlüsse gekommen ist, sondern den Ausgang der gegenwärtigen Berathung erst abwarten will. Besonders ist es die Wahl der Ausschüsse, die doch, wenn sie überhaupt vorgenommen werden soll, demnächst stattfinden müßte, die sie in Verlegenheit setzt. Sie will daher dies der bevorstehenden Abstimmung ansehen, auf wie viel Mitglieder der zweiten Curie für Vornahme dieser Wahlen gerechnet werden kann. D. 2. Die Judenfrage. Der dem preußischen Landtag vorgelegte Entwurf einer Verordnung über die Verhältnisse der Juden in Preußen hat eine Brochüre von Herr M. Veit (Stadtverordneten in Berlin) veranlaßt, die so eben bei Brock¬ haus erschienen ist. Die Wichtigkeit des Gegenstandes veranlaßt uns, mit einigen Worten darauf einzugehen. Der Versasser stellt völlige Rechtsgleichheit der Jude» mit den Christen als einen vom Zeitgeist begründeten Anspruch dar; daß die Juden auf das Patronat über christliche Kirchen, auf das Lehramt der christlichen Theologie keinen Anspruch machen würden, verstände sich von selbst. Als die Nir^iiir ^lurrtn der Juden bezeichnet er das Edict vom l>. März 1812, welches zuerst die mittelalterliche Absonderung der Juden aufhob. Dieses Edict zerfiel in 3 Theile: die bürgerli¬ chen Rechte, die privatrechtlichen Verhältnisse, deu kirchliche» Zustand der Jude». Im 1. Theil war das Anerkenntniß ausgesprochen, daß dem Grundsatz nach die Juden als solche von den Staatsämtern nicht auszuschließen seien, wie weit aber diese Berechtigung gehen sollte, hatte sich der Gesetzgeber vorbehalten, näher zu bestimmen. Eine Verschiedenheit der privatrechtlichen Verhältnisse der Juden ge¬ stattet der Gesetzgeber nnr bei solchen Handlungen, welche wegen der Verschieden¬ heit der Religionsbegriffe und des Cultus an besondere gesetzliche Bestimmungen und Formen nothwendig gebunden sind. Die Anordnung der kirchlichen Zu¬ stände blieb einer künftigen Gesetzgebung anheimgestellt. Dieses Edict blieb aber auf das Preußen des Tilsiter Friedens beschränkt, während in den übrigen Theilen der Monarchie ,!7 verschiedene Gesetzgebungen Geltung hatten, und selbst auch jene Bestimmungen wußte die Reaction der letzten 25 Jahre in mehren Punkten empfindlich zu verletzen. Die Aufgabe der Gesetzgebung war nun, das Edict MM zu vervollständigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/408>, abgerufen am 29.06.2024.