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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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seiner wahren Erfüllung beginne. So viel für heute. Nächstens, wenn es Ih¬
nen recht ist, thun wir einmal einen Blick aus den Charakter der Bremischen Ge¬
sellschaft und auf die sociale und politische Physiognomie der braven Stadt, die
ich um so eher loben kann, da ich ihr nur als temporärer Gast angehöre.


Z.
II.
Aus Paris.
I.

Moralische Mattigkeit. -- Die Nation und ihre Vertreter. -- Ein Philister im vir",,,"
ol^mMzuo. -- Die Revolution aä """in clelpliini.

Jemehr ich Paris kennen lerne, jemehr ich umher gehe, beobachte, unter der
Hand deu Lebcnspulscn nachforsche, desto klarer wird es mir: Paris, dieser mäch¬
tige, ungeheure Krater, der mit seinen Ausbrüchen die Erde umschmolz, der seine
traurigen Wurfgeschosse bis in die fernsten, verlorensten Thäler der Civilisation
schleuderte, Paris, dieser ewige Vulkan, ist im Ausbrennen. Dies Leben, so
reich, üppig, betäubend, es ist nur Vegetation; immer kühler wird der Boden,
immer dichter >die Aschenschichten unter den Füßen der wandelnden Geschlechter.
Kaum daß noch von Zeit zu Zeit ein Rauchwirbcl, vou unterirdischem Donner begleitet,
wie ein fernes Erinnern der feurigen Zeit in die Luft schlägt -- um Niemanden
zu schrecken -- eine unsichtbare Hand scheint dieser Stadt ihre Wcltumstaltcndc,
inenschheitsgeschichtlichc Bedeutung für immer entrissen zu haben.

Wieder einmal hatte ich einer Debatte der Deputirtenkammer beigewohnt,
und war enttäuscht, niedergeschlagen davon gegangen. Sind das die Vertreter
der großen französischen Nation, diese Männer, fast durchgängig mit dem rothen
Bändchen im Knopfloch, die wie ungezogene Schulkinder auf ihren Bänken schwa¬
tzen und lärmen, achtlos dessen, was der arme, athemlose Redner ans der Tri¬
büne mit gewaltigen Gestikulationen vorträgt, achtlos des Präsidenten, der sich
da droben nicht zu helfen weiß und alle Minuten aus deu Tisch klopft: 8it"ne<>,
Negiern"! ^ttention, No""ivur"! Kaum hie und da ein Zuhörer auf den Ga¬
lerien und von Theilnahme keine Spur! "Das ist die französische Deputirten¬
kammer!" sagte mein Begleiter, als wir über den Platz no I" e"meo"ä>! hingin¬
gen. "Glauben Sie, daß die Nation sich in ihr vertreten fühlt? Glauben Sie,
daß irgend ein Mensch, der es mit dem Vaterlande und der französischen Sache
redlich meint, noch Antheil nehmen könne an dem ewigen Dilemma: Guizot oder
Thiers? Daß die Kammer abgenutzt ist, darüber täuscht sich Keiner. Guizot's
Gegner und wahrscheinliche Nachfolger haben nicht mehr Achtung vor den Rech¬
ten der Nation, als er selber, und Jeder weiß, was eS von ihnen zu halten hat.
Womit haben sich in all diesen letzten Monaten Ministerium und Kammern be¬
schäftigt? Mit der spanischen Heirath und den daraus entstehenden Verwirrungen.
Klopffechtereien und Verhöhnungen! Endlich kommen Guizot und Normanby
beim österreichischen Botschafter zusammen und schütteln sich die Hände. Indes¬
sen rollen sich, vor den Assisftn der Iitärv die. gräßlichsten Bilder auf. Auch


seiner wahren Erfüllung beginne. So viel für heute. Nächstens, wenn es Ih¬
nen recht ist, thun wir einmal einen Blick aus den Charakter der Bremischen Ge¬
sellschaft und auf die sociale und politische Physiognomie der braven Stadt, die
ich um so eher loben kann, da ich ihr nur als temporärer Gast angehöre.


Z.
II.
Aus Paris.
I.

Moralische Mattigkeit. — Die Nation und ihre Vertreter. — Ein Philister im vir«,,,«
ol^mMzuo. — Die Revolution aä „»»in clelpliini.

Jemehr ich Paris kennen lerne, jemehr ich umher gehe, beobachte, unter der
Hand deu Lebcnspulscn nachforsche, desto klarer wird es mir: Paris, dieser mäch¬
tige, ungeheure Krater, der mit seinen Ausbrüchen die Erde umschmolz, der seine
traurigen Wurfgeschosse bis in die fernsten, verlorensten Thäler der Civilisation
schleuderte, Paris, dieser ewige Vulkan, ist im Ausbrennen. Dies Leben, so
reich, üppig, betäubend, es ist nur Vegetation; immer kühler wird der Boden,
immer dichter >die Aschenschichten unter den Füßen der wandelnden Geschlechter.
Kaum daß noch von Zeit zu Zeit ein Rauchwirbcl, vou unterirdischem Donner begleitet,
wie ein fernes Erinnern der feurigen Zeit in die Luft schlägt — um Niemanden
zu schrecken — eine unsichtbare Hand scheint dieser Stadt ihre Wcltumstaltcndc,
inenschheitsgeschichtlichc Bedeutung für immer entrissen zu haben.

Wieder einmal hatte ich einer Debatte der Deputirtenkammer beigewohnt,
und war enttäuscht, niedergeschlagen davon gegangen. Sind das die Vertreter
der großen französischen Nation, diese Männer, fast durchgängig mit dem rothen
Bändchen im Knopfloch, die wie ungezogene Schulkinder auf ihren Bänken schwa¬
tzen und lärmen, achtlos dessen, was der arme, athemlose Redner ans der Tri¬
büne mit gewaltigen Gestikulationen vorträgt, achtlos des Präsidenten, der sich
da droben nicht zu helfen weiß und alle Minuten aus deu Tisch klopft: 8it«ne<>,
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lerien und von Theilnahme keine Spur! „Das ist die französische Deputirten¬
kammer!" sagte mein Begleiter, als wir über den Platz no I» e»meo»ä>! hingin¬
gen. „Glauben Sie, daß die Nation sich in ihr vertreten fühlt? Glauben Sie,
daß irgend ein Mensch, der es mit dem Vaterlande und der französischen Sache
redlich meint, noch Antheil nehmen könne an dem ewigen Dilemma: Guizot oder
Thiers? Daß die Kammer abgenutzt ist, darüber täuscht sich Keiner. Guizot's
Gegner und wahrscheinliche Nachfolger haben nicht mehr Achtung vor den Rech¬
ten der Nation, als er selber, und Jeder weiß, was eS von ihnen zu halten hat.
Womit haben sich in all diesen letzten Monaten Ministerium und Kammern be¬
schäftigt? Mit der spanischen Heirath und den daraus entstehenden Verwirrungen.
Klopffechtereien und Verhöhnungen! Endlich kommen Guizot und Normanby
beim österreichischen Botschafter zusammen und schütteln sich die Hände. Indes¬
sen rollen sich, vor den Assisftn der Iitärv die. gräßlichsten Bilder auf. Auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/40>, abgerufen am 29.06.2024.