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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Deutsche Literaturgeschichte in neuester Zeit.

Sie haben, verehrter Freund, einen Bericht über die Behandlung der
deutschen Literaturgeschichte in neuerer Zeit für diejenigen Leser Ihrer Zew
Schrift gewünscht, welche das, wovon sie zeither gehört und gelesen haben,
sich in einer gedrängten Uebersicht zu vergegenwärtigen wünschen. Vielleicht
war es übereilt, daß ich Ihrem Wunsche nachzukommen versprach, nicht als
ob mir der Stoff secat wäre, sondern deshalb, weil eine genügende Ver
arbeitnng des erfaßten Stoffes in so gedrängter Form schwierig ist. Doch
ich will lieber meine eigenen Bedenken beseitigen, als mich der Wort'
brüchigkeit Ihnen gegenüber schuldig machen.

Als ich vor länger als 20 Jahren auf einem sächsischen Gymnasium
war, da wurde in den Unterrichtsstunden vorzugsweise Griechisch und Latein
getrieben. Zwar waren die Lehrer leine Pedanten und hielten auch etwas
auf deutsche Aufsätze und regten zur deutschen Lectüre "u, aber an einen
systematischen Unterricht in der deutschen Literatur war nicht zu denken. Um
Geschichte und Kritik unserer Literatur kümmerten wir uns wenig; dazu
waren wir in der That zu naiv. Desto mehr aber lasen wir die Klassiker
selber und erbauten uus an ihnen, und nicht nur Lessing, Herder, Goethe
und Schiller wurden fleißig getrieben, sondern auch Klopstock und die God
kluger, Hippel und Jean Paul, so wie die Romantiker hatten ihre einzelnen
Verehrer. Eine solche Naivetät war damals in der ganzen politischen und
literarischen Atmosphäre unsers Vaterlandes eine häufig zu bemerkende Er¬
scheinung. Um die öffentlichen Angelegenheiten kümmerte man sich so wenig,
daß von einem politischen Leben nicht die Rede sein konnte. Aber auch ein
ftisches literarisches Leben war nicht vorhanden, da in Folge der allgemeinen
Ermattung nicht viele bedeutende und wirksame poetische Producte zu Tage
gefördert wurden. Nur unter solchen Verhältnissen konnte der Weißenfelser


^---nzbotcn. U, izz?. 4^
Deutsche Literaturgeschichte in neuester Zeit.

Sie haben, verehrter Freund, einen Bericht über die Behandlung der
deutschen Literaturgeschichte in neuerer Zeit für diejenigen Leser Ihrer Zew
Schrift gewünscht, welche das, wovon sie zeither gehört und gelesen haben,
sich in einer gedrängten Uebersicht zu vergegenwärtigen wünschen. Vielleicht
war es übereilt, daß ich Ihrem Wunsche nachzukommen versprach, nicht als
ob mir der Stoff secat wäre, sondern deshalb, weil eine genügende Ver
arbeitnng des erfaßten Stoffes in so gedrängter Form schwierig ist. Doch
ich will lieber meine eigenen Bedenken beseitigen, als mich der Wort'
brüchigkeit Ihnen gegenüber schuldig machen.

Als ich vor länger als 20 Jahren auf einem sächsischen Gymnasium
war, da wurde in den Unterrichtsstunden vorzugsweise Griechisch und Latein
getrieben. Zwar waren die Lehrer leine Pedanten und hielten auch etwas
auf deutsche Aufsätze und regten zur deutschen Lectüre «u, aber an einen
systematischen Unterricht in der deutschen Literatur war nicht zu denken. Um
Geschichte und Kritik unserer Literatur kümmerten wir uns wenig; dazu
waren wir in der That zu naiv. Desto mehr aber lasen wir die Klassiker
selber und erbauten uus an ihnen, und nicht nur Lessing, Herder, Goethe
und Schiller wurden fleißig getrieben, sondern auch Klopstock und die God
kluger, Hippel und Jean Paul, so wie die Romantiker hatten ihre einzelnen
Verehrer. Eine solche Naivetät war damals in der ganzen politischen und
literarischen Atmosphäre unsers Vaterlandes eine häufig zu bemerkende Er¬
scheinung. Um die öffentlichen Angelegenheiten kümmerte man sich so wenig,
daß von einem politischen Leben nicht die Rede sein konnte. Aber auch ein
ftisches literarisches Leben war nicht vorhanden, da in Folge der allgemeinen
Ermattung nicht viele bedeutende und wirksame poetische Producte zu Tage
gefördert wurden. Nur unter solchen Verhältnissen konnte der Weißenfelser


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[0381] Deutsche Literaturgeschichte in neuester Zeit. Sie haben, verehrter Freund, einen Bericht über die Behandlung der deutschen Literaturgeschichte in neuerer Zeit für diejenigen Leser Ihrer Zew Schrift gewünscht, welche das, wovon sie zeither gehört und gelesen haben, sich in einer gedrängten Uebersicht zu vergegenwärtigen wünschen. Vielleicht war es übereilt, daß ich Ihrem Wunsche nachzukommen versprach, nicht als ob mir der Stoff secat wäre, sondern deshalb, weil eine genügende Ver arbeitnng des erfaßten Stoffes in so gedrängter Form schwierig ist. Doch ich will lieber meine eigenen Bedenken beseitigen, als mich der Wort' brüchigkeit Ihnen gegenüber schuldig machen. Als ich vor länger als 20 Jahren auf einem sächsischen Gymnasium war, da wurde in den Unterrichtsstunden vorzugsweise Griechisch und Latein getrieben. Zwar waren die Lehrer leine Pedanten und hielten auch etwas auf deutsche Aufsätze und regten zur deutschen Lectüre «u, aber an einen systematischen Unterricht in der deutschen Literatur war nicht zu denken. Um Geschichte und Kritik unserer Literatur kümmerten wir uns wenig; dazu waren wir in der That zu naiv. Desto mehr aber lasen wir die Klassiker selber und erbauten uus an ihnen, und nicht nur Lessing, Herder, Goethe und Schiller wurden fleißig getrieben, sondern auch Klopstock und die God kluger, Hippel und Jean Paul, so wie die Romantiker hatten ihre einzelnen Verehrer. Eine solche Naivetät war damals in der ganzen politischen und literarischen Atmosphäre unsers Vaterlandes eine häufig zu bemerkende Er¬ scheinung. Um die öffentlichen Angelegenheiten kümmerte man sich so wenig, daß von einem politischen Leben nicht die Rede sein konnte. Aber auch ein ftisches literarisches Leben war nicht vorhanden, da in Folge der allgemeinen Ermattung nicht viele bedeutende und wirksame poetische Producte zu Tage gefördert wurden. Nur unter solchen Verhältnissen konnte der Weißenfelser ^---nzbotcn. U, izz?. 4^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/381>, abgerufen am 29.06.2024.