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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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i.
Aus Paris.
I.

Die griechische Schuld. -- Die politische Bildung in England und in Frankreich. --
Die Wahlcorruption. -- Der Socialismus. -- Rothschild und das russische Änlehen.

Das war einmal eine volle Woche. Die äußere, die innere Politik, Feste
und Prozesse, Scandale und Mordgeschichten, Wettrennen und Cvmmunisteuver-
nrtheiluug, -- was wollen Sie mehr? Man könnte ein Buch darüber schreiben,
und Sie wollen nur einen Brief haben. Wir armen Tagelöhner der Presse sind
geplagte Leute; geschieht Nichts, so müssen wir an der Feder kauen, und ge¬
schieht Etwas, so schlägt uns gleich die Welle über dem Kopfe zusammen. Von
Rechtswegen will ich mit der äußern Politik anfangen. Wir haben stillschwei¬
gend die Prozente für die griechische Schuld bezahlt. Sonst ist unsere Oppo¬
sition gleich bei der Hand, um Protest gegen jede unnöthige Ausgabe einzulegen.
Hier erhob sich nicht Eine Stimme. Es ist nicht grade Großmuth daran Schuld,
sondern ein klares Gefühl, daß Frankreich ein Interesse hat, Griechenland zu
schonen. Solche klaren Gefühle i" der Politik sind durchgreifend und allge¬
mein nur in constitutionellen Staaten zu Hanse, nur in Staaten, wo die öf¬
fentlichen Interessen so öffentlich als möglich verhandelt und nach allen Seiten
hin besprochen werden. In England gibt es hundert politische Fragen, in de¬
nen alle Stimmführer des öffentlichen Lebens wie Ein Mann denken, sprechen
oder auch schweigen. Es hat oft das Ansehen, als ob sich alle Zeitungen aller
Farben das Wort gegeben hätten, die Sachen nur von Einer Seite zu sehen;
die Leute der Politik, die ihre geheimen Staats-, geheimen Hof-, gehei¬
men Lcgativnsräthc hat, sind oft ganz verblüfft über diese Einstimmigkeit, und
begreisen gar nicht, wie die Opposition eine so gute Gelegenheit vorbeigehen
lassen kann, der Regierung eine Schlappe beizubringen. Die Franzosen haben
auch erst nach und nach und erst in einzelnen Fragen den Tact der Oeffent-
lichkeit erlangt; aber sie werden schon weiter auf diesem Felde kommen, und


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i.
Aus Paris.
I.

Die griechische Schuld. — Die politische Bildung in England und in Frankreich. —
Die Wahlcorruption. — Der Socialismus. — Rothschild und das russische Änlehen.

Das war einmal eine volle Woche. Die äußere, die innere Politik, Feste
und Prozesse, Scandale und Mordgeschichten, Wettrennen und Cvmmunisteuver-
nrtheiluug, — was wollen Sie mehr? Man könnte ein Buch darüber schreiben,
und Sie wollen nur einen Brief haben. Wir armen Tagelöhner der Presse sind
geplagte Leute; geschieht Nichts, so müssen wir an der Feder kauen, und ge¬
schieht Etwas, so schlägt uns gleich die Welle über dem Kopfe zusammen. Von
Rechtswegen will ich mit der äußern Politik anfangen. Wir haben stillschwei¬
gend die Prozente für die griechische Schuld bezahlt. Sonst ist unsere Oppo¬
sition gleich bei der Hand, um Protest gegen jede unnöthige Ausgabe einzulegen.
Hier erhob sich nicht Eine Stimme. Es ist nicht grade Großmuth daran Schuld,
sondern ein klares Gefühl, daß Frankreich ein Interesse hat, Griechenland zu
schonen. Solche klaren Gefühle i» der Politik sind durchgreifend und allge¬
mein nur in constitutionellen Staaten zu Hanse, nur in Staaten, wo die öf¬
fentlichen Interessen so öffentlich als möglich verhandelt und nach allen Seiten
hin besprochen werden. In England gibt es hundert politische Fragen, in de¬
nen alle Stimmführer des öffentlichen Lebens wie Ein Mann denken, sprechen
oder auch schweigen. Es hat oft das Ansehen, als ob sich alle Zeitungen aller
Farben das Wort gegeben hätten, die Sachen nur von Einer Seite zu sehen;
die Leute der Politik, die ihre geheimen Staats-, geheimen Hof-, gehei¬
men Lcgativnsräthc hat, sind oft ganz verblüfft über diese Einstimmigkeit, und
begreisen gar nicht, wie die Opposition eine so gute Gelegenheit vorbeigehen
lassen kann, der Regierung eine Schlappe beizubringen. Die Franzosen haben
auch erst nach und nach und erst in einzelnen Fragen den Tact der Oeffent-
lichkeit erlangt; aber sie werden schon weiter auf diesem Felde kommen, und


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[0264] T a g e b u c!j. i. Aus Paris. I. Die griechische Schuld. — Die politische Bildung in England und in Frankreich. — Die Wahlcorruption. — Der Socialismus. — Rothschild und das russische Änlehen. Das war einmal eine volle Woche. Die äußere, die innere Politik, Feste und Prozesse, Scandale und Mordgeschichten, Wettrennen und Cvmmunisteuver- nrtheiluug, — was wollen Sie mehr? Man könnte ein Buch darüber schreiben, und Sie wollen nur einen Brief haben. Wir armen Tagelöhner der Presse sind geplagte Leute; geschieht Nichts, so müssen wir an der Feder kauen, und ge¬ schieht Etwas, so schlägt uns gleich die Welle über dem Kopfe zusammen. Von Rechtswegen will ich mit der äußern Politik anfangen. Wir haben stillschwei¬ gend die Prozente für die griechische Schuld bezahlt. Sonst ist unsere Oppo¬ sition gleich bei der Hand, um Protest gegen jede unnöthige Ausgabe einzulegen. Hier erhob sich nicht Eine Stimme. Es ist nicht grade Großmuth daran Schuld, sondern ein klares Gefühl, daß Frankreich ein Interesse hat, Griechenland zu schonen. Solche klaren Gefühle i» der Politik sind durchgreifend und allge¬ mein nur in constitutionellen Staaten zu Hanse, nur in Staaten, wo die öf¬ fentlichen Interessen so öffentlich als möglich verhandelt und nach allen Seiten hin besprochen werden. In England gibt es hundert politische Fragen, in de¬ nen alle Stimmführer des öffentlichen Lebens wie Ein Mann denken, sprechen oder auch schweigen. Es hat oft das Ansehen, als ob sich alle Zeitungen aller Farben das Wort gegeben hätten, die Sachen nur von Einer Seite zu sehen; die Leute der Politik, die ihre geheimen Staats-, geheimen Hof-, gehei¬ men Lcgativnsräthc hat, sind oft ganz verblüfft über diese Einstimmigkeit, und begreisen gar nicht, wie die Opposition eine so gute Gelegenheit vorbeigehen lassen kann, der Regierung eine Schlappe beizubringen. Die Franzosen haben auch erst nach und nach und erst in einzelnen Fragen den Tact der Oeffent- lichkeit erlangt; aber sie werden schon weiter auf diesem Felde kommen, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/264>, abgerufen am 29.06.2024.