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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Dresden im Winter



i.

Die Dresdner haben einen feierlichen Schluß für die kalte Jahreszeit:
das Concert am Palmsonntag. An diesem Tage wird der Winter im eigent¬
lichen Sinne des Wortes heimgegeigt; die Auferstehung Christi ist für die
Stadt nicht blos ein religiöses Auferstehungsfest. Auf der Terrasse werden
die Wege mit braunem Sand bestreut, Bohemia und Germania, die beiden
Elbdampfer, die friedlicher neben einander schiffen, als die Czechen und die
Deutschen, streichen ihre Schlote mit neuem glänzenden Lanke an; ans den
Promenaden werden die Miethszettcl der ljuartiors und ^pu:"kommt8 Aar-
ens -t louer mit goldenen Fremdenhoffnungen, gleich Fischnetzen ausgehängt
und Dresdens Tvrtoui, der hier Torniamenti heißt, abonnirt wieder ans daS
während des Winters abgeschaffte ^ounial <1"8 DvK-des. Die Schwalben
kommen! Nichts geht dem Dresdner über die Schwalben. Der süße Schwär¬
mer! Er liebt die Zugvögel, selbst wenn sie mit vier Pferden und zwei
Reisewagen angefahren kommen, obgleich er sonst kein Vorurtheil auch gegen
Eiseubahnreisende hat und mit gleicher Gastfreundschaft von Allen gern profitirt.

Nicht Jeder kann Alles haben; andere Städte leben nur ein Winter¬
leben. Paris, Wien, Berlin muß man im Sommer nie in Paris, Wien
und Berlin suchen. Dresden dagegen ist nur im Sommer Dresden; diese
stille Blume im Kranz der geräuschvollen deutschen Städte schließt ihren Kelch
beim ersten Schnee und öffnet ihn erst, wenn die Mai- und Goldkäfer kom¬
men. -- Dresden lebt nicht von innen heraus, sondern von außen hinein.
Was die Stadt an agirenden, unternehmenden und producirenden Kräften
hervorbringt, gibt sie alljährlich an Leipzig ab, welches als Hochofen für
ganz Sachsen dient, während Dresden gewissermaßen der Aufbewahrungsort
für das ausgekühlte Eisen ist, für Alles, was den Werdeproceß bereits hin<
ter sich hat!

Innerhalb einer so receptiven Stadt würden die Fremden auch dann
schon ein dominirendes Element bilden, wenn Fe nicht wie hier ein altes


Dresden im Winter



i.

Die Dresdner haben einen feierlichen Schluß für die kalte Jahreszeit:
das Concert am Palmsonntag. An diesem Tage wird der Winter im eigent¬
lichen Sinne des Wortes heimgegeigt; die Auferstehung Christi ist für die
Stadt nicht blos ein religiöses Auferstehungsfest. Auf der Terrasse werden
die Wege mit braunem Sand bestreut, Bohemia und Germania, die beiden
Elbdampfer, die friedlicher neben einander schiffen, als die Czechen und die
Deutschen, streichen ihre Schlote mit neuem glänzenden Lanke an; ans den
Promenaden werden die Miethszettcl der ljuartiors und ^pu:»kommt8 Aar-
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und Dresdens Tvrtoui, der hier Torniamenti heißt, abonnirt wieder ans daS
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kommen! Nichts geht dem Dresdner über die Schwalben. Der süße Schwär¬
mer! Er liebt die Zugvögel, selbst wenn sie mit vier Pferden und zwei
Reisewagen angefahren kommen, obgleich er sonst kein Vorurtheil auch gegen
Eiseubahnreisende hat und mit gleicher Gastfreundschaft von Allen gern profitirt.

Nicht Jeder kann Alles haben; andere Städte leben nur ein Winter¬
leben. Paris, Wien, Berlin muß man im Sommer nie in Paris, Wien
und Berlin suchen. Dresden dagegen ist nur im Sommer Dresden; diese
stille Blume im Kranz der geräuschvollen deutschen Städte schließt ihren Kelch
beim ersten Schnee und öffnet ihn erst, wenn die Mai- und Goldkäfer kom¬
men. — Dresden lebt nicht von innen heraus, sondern von außen hinein.
Was die Stadt an agirenden, unternehmenden und producirenden Kräften
hervorbringt, gibt sie alljährlich an Leipzig ab, welches als Hochofen für
ganz Sachsen dient, während Dresden gewissermaßen der Aufbewahrungsort
für das ausgekühlte Eisen ist, für Alles, was den Werdeproceß bereits hin<
ter sich hat!

Innerhalb einer so receptiven Stadt würden die Fremden auch dann
schon ein dominirendes Element bilden, wenn Fe nicht wie hier ein altes


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[0026] Dresden im Winter i. Die Dresdner haben einen feierlichen Schluß für die kalte Jahreszeit: das Concert am Palmsonntag. An diesem Tage wird der Winter im eigent¬ lichen Sinne des Wortes heimgegeigt; die Auferstehung Christi ist für die Stadt nicht blos ein religiöses Auferstehungsfest. Auf der Terrasse werden die Wege mit braunem Sand bestreut, Bohemia und Germania, die beiden Elbdampfer, die friedlicher neben einander schiffen, als die Czechen und die Deutschen, streichen ihre Schlote mit neuem glänzenden Lanke an; ans den Promenaden werden die Miethszettcl der ljuartiors und ^pu:»kommt8 Aar- ens -t louer mit goldenen Fremdenhoffnungen, gleich Fischnetzen ausgehängt und Dresdens Tvrtoui, der hier Torniamenti heißt, abonnirt wieder ans daS während des Winters abgeschaffte ^ounial <1«8 DvK-des. Die Schwalben kommen! Nichts geht dem Dresdner über die Schwalben. Der süße Schwär¬ mer! Er liebt die Zugvögel, selbst wenn sie mit vier Pferden und zwei Reisewagen angefahren kommen, obgleich er sonst kein Vorurtheil auch gegen Eiseubahnreisende hat und mit gleicher Gastfreundschaft von Allen gern profitirt. Nicht Jeder kann Alles haben; andere Städte leben nur ein Winter¬ leben. Paris, Wien, Berlin muß man im Sommer nie in Paris, Wien und Berlin suchen. Dresden dagegen ist nur im Sommer Dresden; diese stille Blume im Kranz der geräuschvollen deutschen Städte schließt ihren Kelch beim ersten Schnee und öffnet ihn erst, wenn die Mai- und Goldkäfer kom¬ men. — Dresden lebt nicht von innen heraus, sondern von außen hinein. Was die Stadt an agirenden, unternehmenden und producirenden Kräften hervorbringt, gibt sie alljährlich an Leipzig ab, welches als Hochofen für ganz Sachsen dient, während Dresden gewissermaßen der Aufbewahrungsort für das ausgekühlte Eisen ist, für Alles, was den Werdeproceß bereits hin< ter sich hat! Innerhalb einer so receptiven Stadt würden die Fremden auch dann schon ein dominirendes Element bilden, wenn Fe nicht wie hier ein altes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/26>, abgerufen am 29.06.2024.