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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Die gute Sache der Freiheit"

Mau hat so lange von Bewegung, von Fortschritt gesprochen, daß
endlich das Ziel, wohin man strebt, gänzlich aus den Augen gerückt ist.
Die Zeit schreitet allerdings vorwärts und fragt nicht: wohin? aber die Zeit
ist auch das Nichtige, Sinnlose, das nur ist, insoweit wir das Wirkliche
daran messen. Eben so wie die Zeit sich nur im Vergehen geltend macht,
nur an dem, was nicht ist, erscheint, als der Tod, den mau immer uicht
gern hat, wenn man ihn anch in seiner Nothwendigkeit begreift -- so wird
zuletzt auch das aufgefaßt, was mau im Gebiet der sittlichen Welt Bewe¬
gung nenut. So sprechen es wenigstens die Gegner des Fortschritts aus.
Bewegung heißt Revolution; Revolution ist die blinde Gewalt des Fatums,
das wir wohl verstehen, aber nicht gut heißen können. Es ist wohl ein
Naturgesetz in dem Sturm, der die Eiche bricht, wie in ihrem eignen orga¬
nischen Wachsthum; aber dieses Naturgesetz ist dein eignen Leben der Pflanze
feind. So ist es auch in der sittlichen Welt; der Sturm, der die sittliche"
Verhältnisse verwirrt, ist unsittlich. Bedenkt es daher wohl, ihr Mäuner des
Fortschritts! wenn ihr dunkle, trübe Bilder eurer Seele zu einer treibenden
Kraft werden laßt, deren ihr nicht mehr mächtig bleibt. Mit Uebermuth
werft ihr eure Ideen in den wohlgefügten Ban der Sittlichkeit, Ideen, die
keine andere Realität haben als die Kraft der Negation; nun aber treten sie
uns auch heraus, die Geister, die ihr aus ihrer dunkeln Tiefe heraufbeschwo¬
ren habt, und ihr findet keine Formel, sie zurückzubannen. Wenn ihr die
Erscheinung verneint und entstellt, das Gesetz der Natur könnt ihr nicht
aufheben; aus der Anarchie der Elemente entwickelt sich ihre organische Glie¬
derung aufs Neue, aber uach schwere", unfruchtbaren Schmerzen, nach un-
zähligen Opfern, in deren Reihe ihr euch selber werdet gezogen sehen.

Es siud nicht Wenige und nicht Schlechte, die solche Bedenken in der
That ergreifen, die sich betroffen fühlen von Zweifeln, welche sie darum
nicht zu lösen im Stande sind, weil sie sich ihr eignes Prinzip uicht klar
gemacht haben- -- Wir wollen es uns daher näher ansehen dieses Prinzip,


Die gute Sache der Freiheit»

Mau hat so lange von Bewegung, von Fortschritt gesprochen, daß
endlich das Ziel, wohin man strebt, gänzlich aus den Augen gerückt ist.
Die Zeit schreitet allerdings vorwärts und fragt nicht: wohin? aber die Zeit
ist auch das Nichtige, Sinnlose, das nur ist, insoweit wir das Wirkliche
daran messen. Eben so wie die Zeit sich nur im Vergehen geltend macht,
nur an dem, was nicht ist, erscheint, als der Tod, den mau immer uicht
gern hat, wenn man ihn anch in seiner Nothwendigkeit begreift — so wird
zuletzt auch das aufgefaßt, was mau im Gebiet der sittlichen Welt Bewe¬
gung nenut. So sprechen es wenigstens die Gegner des Fortschritts aus.
Bewegung heißt Revolution; Revolution ist die blinde Gewalt des Fatums,
das wir wohl verstehen, aber nicht gut heißen können. Es ist wohl ein
Naturgesetz in dem Sturm, der die Eiche bricht, wie in ihrem eignen orga¬
nischen Wachsthum; aber dieses Naturgesetz ist dein eignen Leben der Pflanze
feind. So ist es auch in der sittlichen Welt; der Sturm, der die sittliche«
Verhältnisse verwirrt, ist unsittlich. Bedenkt es daher wohl, ihr Mäuner des
Fortschritts! wenn ihr dunkle, trübe Bilder eurer Seele zu einer treibenden
Kraft werden laßt, deren ihr nicht mehr mächtig bleibt. Mit Uebermuth
werft ihr eure Ideen in den wohlgefügten Ban der Sittlichkeit, Ideen, die
keine andere Realität haben als die Kraft der Negation; nun aber treten sie
uns auch heraus, die Geister, die ihr aus ihrer dunkeln Tiefe heraufbeschwo¬
ren habt, und ihr findet keine Formel, sie zurückzubannen. Wenn ihr die
Erscheinung verneint und entstellt, das Gesetz der Natur könnt ihr nicht
aufheben; aus der Anarchie der Elemente entwickelt sich ihre organische Glie¬
derung aufs Neue, aber uach schwere», unfruchtbaren Schmerzen, nach un-
zähligen Opfern, in deren Reihe ihr euch selber werdet gezogen sehen.

Es siud nicht Wenige und nicht Schlechte, die solche Bedenken in der
That ergreifen, die sich betroffen fühlen von Zweifeln, welche sie darum
nicht zu lösen im Stande sind, weil sie sich ihr eignes Prinzip uicht klar
gemacht haben- — Wir wollen es uns daher näher ansehen dieses Prinzip,


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[0214] Die gute Sache der Freiheit» Mau hat so lange von Bewegung, von Fortschritt gesprochen, daß endlich das Ziel, wohin man strebt, gänzlich aus den Augen gerückt ist. Die Zeit schreitet allerdings vorwärts und fragt nicht: wohin? aber die Zeit ist auch das Nichtige, Sinnlose, das nur ist, insoweit wir das Wirkliche daran messen. Eben so wie die Zeit sich nur im Vergehen geltend macht, nur an dem, was nicht ist, erscheint, als der Tod, den mau immer uicht gern hat, wenn man ihn anch in seiner Nothwendigkeit begreift — so wird zuletzt auch das aufgefaßt, was mau im Gebiet der sittlichen Welt Bewe¬ gung nenut. So sprechen es wenigstens die Gegner des Fortschritts aus. Bewegung heißt Revolution; Revolution ist die blinde Gewalt des Fatums, das wir wohl verstehen, aber nicht gut heißen können. Es ist wohl ein Naturgesetz in dem Sturm, der die Eiche bricht, wie in ihrem eignen orga¬ nischen Wachsthum; aber dieses Naturgesetz ist dein eignen Leben der Pflanze feind. So ist es auch in der sittlichen Welt; der Sturm, der die sittliche« Verhältnisse verwirrt, ist unsittlich. Bedenkt es daher wohl, ihr Mäuner des Fortschritts! wenn ihr dunkle, trübe Bilder eurer Seele zu einer treibenden Kraft werden laßt, deren ihr nicht mehr mächtig bleibt. Mit Uebermuth werft ihr eure Ideen in den wohlgefügten Ban der Sittlichkeit, Ideen, die keine andere Realität haben als die Kraft der Negation; nun aber treten sie uns auch heraus, die Geister, die ihr aus ihrer dunkeln Tiefe heraufbeschwo¬ ren habt, und ihr findet keine Formel, sie zurückzubannen. Wenn ihr die Erscheinung verneint und entstellt, das Gesetz der Natur könnt ihr nicht aufheben; aus der Anarchie der Elemente entwickelt sich ihre organische Glie¬ derung aufs Neue, aber uach schwere», unfruchtbaren Schmerzen, nach un- zähligen Opfern, in deren Reihe ihr euch selber werdet gezogen sehen. Es siud nicht Wenige und nicht Schlechte, die solche Bedenken in der That ergreifen, die sich betroffen fühlen von Zweifeln, welche sie darum nicht zu lösen im Stande sind, weil sie sich ihr eignes Prinzip uicht klar gemacht haben- — Wir wollen es uns daher näher ansehen dieses Prinzip,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/214>, abgerufen am 29.06.2024.