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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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nichts weniger als das vollständige Gut des Grundbesitzers sich aneignen. Das
Militär muß stets in Athem sein um Ueberfälle zu verhindern, Raubzüge zu
zerstreuen und dem Gesetze Schutz zu verschaffen. Und doch ist Vorsicht und
Milde, wenn anch ungerechte, bei allen diesen Maßregeln nöthig. Denn hier gilt
es nicht die Aufgabe, das Eigenthum Solcher zu schützen, die von der gesetzlichen
Gewalt Schutz verlangen und zur Aufrechthaltung der Ordnung sich ihr an¬
schließen. Was auch die Adclspartei in Brochüren und französischen Zeitungen
sagen darf, wie oft sie auch behaupten mag, es seien blos wenige Einzelne ge¬
wesen, welche an der vorjährigen Verschwörung sich betheiligten -- wer hier lebt
und die Verhältnisse kennt, der weiß was er von jener Ausrede zu halten hat,
deren Wirksamkeit wir vom Herzen gerne den unglücklichen Männern gönnen, die
um die Opfer eines aus edlen Quellen sprießenden, aber unzeitigen und kopflosen
Patriotismus wurden, der um seiner verkehrten und leichtsinnigen Mittel willen,
zu einem wahren Frevel an der Humanität ward, indem er einen Zustand her¬
aus beschwor den er voraussehe" konnte. Die Regierung operirt nun auf einem
doppelt vulcanischen Boden. Verfolgt sie den Bauer mit aller Strenge des Ge¬
setzes, um den Adel zu schützen, so erbittert sie die Volksmassen gegen sich und
ist ganz sicher der Gefahr ausgesetzt, daß der Adel hinter ihrem Rücken diese Er¬
bitterung, der sie sich für ihn aussetzen soll, benutzt und eine neue Revolution
gegen sie heraufbeschwört. In dieses Dilemma tritt nun der neue Gouverneur,
und bei allem Vertrauen zu ihm, verzweifeln wir fast an dem Glucken seiner
Misston.


G. -
V.
Nom preußische" Landtage.

Auf die gewaltige Anspannung in den ständischen Angelegenheiten ist seit der
Adreß-Abstimmung vom 16. April eine Art Erschlaffung eingetreten. Wir sehen
wohl ein ähnliches Schauspiel alljährlich in Paris, aber dort hat man mit der
Adresse einen unmittelbaren Zweck; das Ministerium wird gestürzt oder steht ge¬
sicherter als früher; mit der Abstimmung ist die Sache zu Ende, die Hauptten¬
denz der Parteien hat ihre bestimmte Wendung erhalten, und wenigstens für den
Augenblick hat der Factionsgcist keine neue Nahrung. Ganz anders ist es hier,
wo eigentlich Alles in Frage steht; nicht allein welchen Eindruck die in der
Adresse niedergelegte Erklärung der Stände auf die Regierung machen wird, son¬
dern wo hauptsächlich die Stände selbst mit sich nicht vollkommen im Klaren sind
was sie eigentlich damit haben sagen wollen.

Die Stände sind mit der neuen Verfassungsform nicht durchaus einverstan¬
den, so viel wenigstens hat sich, mit geringen Ausnahmen, als allgemeines Re¬
sultat der Debatte herausgestellt; denn selbst der Entwurf des Grafen Arnim
trug einen oppositionellen Charakter.

Sie haben sich aber ans die neue Verfassung eingelassen; sie haben an die
Weisheit des Königs appellirt, der, wenn er sich überzeugen sollte, daß das


nichts weniger als das vollständige Gut des Grundbesitzers sich aneignen. Das
Militär muß stets in Athem sein um Ueberfälle zu verhindern, Raubzüge zu
zerstreuen und dem Gesetze Schutz zu verschaffen. Und doch ist Vorsicht und
Milde, wenn anch ungerechte, bei allen diesen Maßregeln nöthig. Denn hier gilt
es nicht die Aufgabe, das Eigenthum Solcher zu schützen, die von der gesetzlichen
Gewalt Schutz verlangen und zur Aufrechthaltung der Ordnung sich ihr an¬
schließen. Was auch die Adclspartei in Brochüren und französischen Zeitungen
sagen darf, wie oft sie auch behaupten mag, es seien blos wenige Einzelne ge¬
wesen, welche an der vorjährigen Verschwörung sich betheiligten — wer hier lebt
und die Verhältnisse kennt, der weiß was er von jener Ausrede zu halten hat,
deren Wirksamkeit wir vom Herzen gerne den unglücklichen Männern gönnen, die
um die Opfer eines aus edlen Quellen sprießenden, aber unzeitigen und kopflosen
Patriotismus wurden, der um seiner verkehrten und leichtsinnigen Mittel willen,
zu einem wahren Frevel an der Humanität ward, indem er einen Zustand her¬
aus beschwor den er voraussehe» konnte. Die Regierung operirt nun auf einem
doppelt vulcanischen Boden. Verfolgt sie den Bauer mit aller Strenge des Ge¬
setzes, um den Adel zu schützen, so erbittert sie die Volksmassen gegen sich und
ist ganz sicher der Gefahr ausgesetzt, daß der Adel hinter ihrem Rücken diese Er¬
bitterung, der sie sich für ihn aussetzen soll, benutzt und eine neue Revolution
gegen sie heraufbeschwört. In dieses Dilemma tritt nun der neue Gouverneur,
und bei allem Vertrauen zu ihm, verzweifeln wir fast an dem Glucken seiner
Misston.


G. -
V.
Nom preußische» Landtage.

Auf die gewaltige Anspannung in den ständischen Angelegenheiten ist seit der
Adreß-Abstimmung vom 16. April eine Art Erschlaffung eingetreten. Wir sehen
wohl ein ähnliches Schauspiel alljährlich in Paris, aber dort hat man mit der
Adresse einen unmittelbaren Zweck; das Ministerium wird gestürzt oder steht ge¬
sicherter als früher; mit der Abstimmung ist die Sache zu Ende, die Hauptten¬
denz der Parteien hat ihre bestimmte Wendung erhalten, und wenigstens für den
Augenblick hat der Factionsgcist keine neue Nahrung. Ganz anders ist es hier,
wo eigentlich Alles in Frage steht; nicht allein welchen Eindruck die in der
Adresse niedergelegte Erklärung der Stände auf die Regierung machen wird, son¬
dern wo hauptsächlich die Stände selbst mit sich nicht vollkommen im Klaren sind
was sie eigentlich damit haben sagen wollen.

Die Stände sind mit der neuen Verfassungsform nicht durchaus einverstan¬
den, so viel wenigstens hat sich, mit geringen Ausnahmen, als allgemeines Re¬
sultat der Debatte herausgestellt; denn selbst der Entwurf des Grafen Arnim
trug einen oppositionellen Charakter.

Sie haben sich aber ans die neue Verfassung eingelassen; sie haben an die
Weisheit des Königs appellirt, der, wenn er sich überzeugen sollte, daß das


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[0184] nichts weniger als das vollständige Gut des Grundbesitzers sich aneignen. Das Militär muß stets in Athem sein um Ueberfälle zu verhindern, Raubzüge zu zerstreuen und dem Gesetze Schutz zu verschaffen. Und doch ist Vorsicht und Milde, wenn anch ungerechte, bei allen diesen Maßregeln nöthig. Denn hier gilt es nicht die Aufgabe, das Eigenthum Solcher zu schützen, die von der gesetzlichen Gewalt Schutz verlangen und zur Aufrechthaltung der Ordnung sich ihr an¬ schließen. Was auch die Adclspartei in Brochüren und französischen Zeitungen sagen darf, wie oft sie auch behaupten mag, es seien blos wenige Einzelne ge¬ wesen, welche an der vorjährigen Verschwörung sich betheiligten — wer hier lebt und die Verhältnisse kennt, der weiß was er von jener Ausrede zu halten hat, deren Wirksamkeit wir vom Herzen gerne den unglücklichen Männern gönnen, die um die Opfer eines aus edlen Quellen sprießenden, aber unzeitigen und kopflosen Patriotismus wurden, der um seiner verkehrten und leichtsinnigen Mittel willen, zu einem wahren Frevel an der Humanität ward, indem er einen Zustand her¬ aus beschwor den er voraussehe» konnte. Die Regierung operirt nun auf einem doppelt vulcanischen Boden. Verfolgt sie den Bauer mit aller Strenge des Ge¬ setzes, um den Adel zu schützen, so erbittert sie die Volksmassen gegen sich und ist ganz sicher der Gefahr ausgesetzt, daß der Adel hinter ihrem Rücken diese Er¬ bitterung, der sie sich für ihn aussetzen soll, benutzt und eine neue Revolution gegen sie heraufbeschwört. In dieses Dilemma tritt nun der neue Gouverneur, und bei allem Vertrauen zu ihm, verzweifeln wir fast an dem Glucken seiner Misston. G. - V. Nom preußische» Landtage. Auf die gewaltige Anspannung in den ständischen Angelegenheiten ist seit der Adreß-Abstimmung vom 16. April eine Art Erschlaffung eingetreten. Wir sehen wohl ein ähnliches Schauspiel alljährlich in Paris, aber dort hat man mit der Adresse einen unmittelbaren Zweck; das Ministerium wird gestürzt oder steht ge¬ sicherter als früher; mit der Abstimmung ist die Sache zu Ende, die Hauptten¬ denz der Parteien hat ihre bestimmte Wendung erhalten, und wenigstens für den Augenblick hat der Factionsgcist keine neue Nahrung. Ganz anders ist es hier, wo eigentlich Alles in Frage steht; nicht allein welchen Eindruck die in der Adresse niedergelegte Erklärung der Stände auf die Regierung machen wird, son¬ dern wo hauptsächlich die Stände selbst mit sich nicht vollkommen im Klaren sind was sie eigentlich damit haben sagen wollen. Die Stände sind mit der neuen Verfassungsform nicht durchaus einverstan¬ den, so viel wenigstens hat sich, mit geringen Ausnahmen, als allgemeines Re¬ sultat der Debatte herausgestellt; denn selbst der Entwurf des Grafen Arnim trug einen oppositionellen Charakter. Sie haben sich aber ans die neue Verfassung eingelassen; sie haben an die Weisheit des Königs appellirt, der, wenn er sich überzeugen sollte, daß das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/184>, abgerufen am 29.06.2024.