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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Empfangsfeierlichkeiten.
Ein Genrebild.

Im Gasthofe zum goldnen Löwen war eine lebhafte Gesellschaft ver¬
sammelt. Der Kellner an der Thür empfing die Eintretenden mit diesen
Reverenzen, obwohl er sich nicht erwehren konnte, hinter mancher Gestalt
spöttisch her zu lachen; denn er hatte in einer großen Stadt früher servirt
und dort den vornehmen Ton begriffen. -- Ich glaube kaum, daß Du fragen
wirst, welches Ereigniß diese sehr ehrbare Gesellschaft zusammenführte. Was
anders könnte heutzutage Deutschland, jede Stadtgemeinde, jede Harmonie-
gescllschast zusammenhalten als das Essen, welches andre Band besser die
Herzen zusammenketten als die unter dem Kinn zugebundene Serviette? So
war es auch hier im Gasthof zum goldnen Löwen, unter dessen Aegide -
er hing an der Hinterwand des geräumigen Saales in grimmiger Gestalt
und zerriß mit seinen Vorderklauen ein Stück Fleisch von ziemlicher Große - >
die Schützengesellschaft des Städtchens sich versammelt hatte zum Schmause
nud zur Berathung.

Man erlaube, mir das Amt eines Cicerone zu übernehmen und dein ge¬
neigten Leser die ganze Schützencompagnie vorläufig vorzustellen.

Oben am Tische präsidire der Major und Bierbrauer Wangenkern, ein
gar stattlicher, dicker Herr, dessen volles Gesicht der Barometer war, an
welchem man den Stand nud das jezeitige Schicksal, Freuden und Leiden
der ganzen Compagnie, so gut ermessen konnte, als daß er ein tüchtiger
Kenner seines Gewerbes sei. Spottvögel pflegten ihn deshalb kurzweg "die
Tonne" zu nennen und behauptete", es sei die höchste Zeit einen Reif darum
zu legen. Hüten wir uus, diesen Reif mit der hellgrünen Schärpe, die
stattlich über seine rechte Schulter fällt, zu verwechseln. Der Major blickt
mit unbeschreiblicher Wonne zuweilen auf dieselbe herab, wenn seine Angen
grade nichts besseres zu thun haben, z. B. nicht die vorliegende Speise zu'


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Empfangsfeierlichkeiten.
Ein Genrebild.

Im Gasthofe zum goldnen Löwen war eine lebhafte Gesellschaft ver¬
sammelt. Der Kellner an der Thür empfing die Eintretenden mit diesen
Reverenzen, obwohl er sich nicht erwehren konnte, hinter mancher Gestalt
spöttisch her zu lachen; denn er hatte in einer großen Stadt früher servirt
und dort den vornehmen Ton begriffen. — Ich glaube kaum, daß Du fragen
wirst, welches Ereigniß diese sehr ehrbare Gesellschaft zusammenführte. Was
anders könnte heutzutage Deutschland, jede Stadtgemeinde, jede Harmonie-
gescllschast zusammenhalten als das Essen, welches andre Band besser die
Herzen zusammenketten als die unter dem Kinn zugebundene Serviette? So
war es auch hier im Gasthof zum goldnen Löwen, unter dessen Aegide -
er hing an der Hinterwand des geräumigen Saales in grimmiger Gestalt
und zerriß mit seinen Vorderklauen ein Stück Fleisch von ziemlicher Große - >
die Schützengesellschaft des Städtchens sich versammelt hatte zum Schmause
nud zur Berathung.

Man erlaube, mir das Amt eines Cicerone zu übernehmen und dein ge¬
neigten Leser die ganze Schützencompagnie vorläufig vorzustellen.

Oben am Tische präsidire der Major und Bierbrauer Wangenkern, ein
gar stattlicher, dicker Herr, dessen volles Gesicht der Barometer war, an
welchem man den Stand nud das jezeitige Schicksal, Freuden und Leiden
der ganzen Compagnie, so gut ermessen konnte, als daß er ein tüchtiger
Kenner seines Gewerbes sei. Spottvögel pflegten ihn deshalb kurzweg „die
Tonne" zu nennen und behauptete«, es sei die höchste Zeit einen Reif darum
zu legen. Hüten wir uus, diesen Reif mit der hellgrünen Schärpe, die
stattlich über seine rechte Schulter fällt, zu verwechseln. Der Major blickt
mit unbeschreiblicher Wonne zuweilen auf dieselbe herab, wenn seine Angen
grade nichts besseres zu thun haben, z. B. nicht die vorliegende Speise zu'


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[0109] Empfangsfeierlichkeiten. Ein Genrebild. Im Gasthofe zum goldnen Löwen war eine lebhafte Gesellschaft ver¬ sammelt. Der Kellner an der Thür empfing die Eintretenden mit diesen Reverenzen, obwohl er sich nicht erwehren konnte, hinter mancher Gestalt spöttisch her zu lachen; denn er hatte in einer großen Stadt früher servirt und dort den vornehmen Ton begriffen. — Ich glaube kaum, daß Du fragen wirst, welches Ereigniß diese sehr ehrbare Gesellschaft zusammenführte. Was anders könnte heutzutage Deutschland, jede Stadtgemeinde, jede Harmonie- gescllschast zusammenhalten als das Essen, welches andre Band besser die Herzen zusammenketten als die unter dem Kinn zugebundene Serviette? So war es auch hier im Gasthof zum goldnen Löwen, unter dessen Aegide - er hing an der Hinterwand des geräumigen Saales in grimmiger Gestalt und zerriß mit seinen Vorderklauen ein Stück Fleisch von ziemlicher Große - > die Schützengesellschaft des Städtchens sich versammelt hatte zum Schmause nud zur Berathung. Man erlaube, mir das Amt eines Cicerone zu übernehmen und dein ge¬ neigten Leser die ganze Schützencompagnie vorläufig vorzustellen. Oben am Tische präsidire der Major und Bierbrauer Wangenkern, ein gar stattlicher, dicker Herr, dessen volles Gesicht der Barometer war, an welchem man den Stand nud das jezeitige Schicksal, Freuden und Leiden der ganzen Compagnie, so gut ermessen konnte, als daß er ein tüchtiger Kenner seines Gewerbes sei. Spottvögel pflegten ihn deshalb kurzweg „die Tonne" zu nennen und behauptete«, es sei die höchste Zeit einen Reif darum zu legen. Hüten wir uus, diesen Reif mit der hellgrünen Schärpe, die stattlich über seine rechte Schulter fällt, zu verwechseln. Der Major blickt mit unbeschreiblicher Wonne zuweilen auf dieselbe herab, wenn seine Angen grade nichts besseres zu thun haben, z. B. nicht die vorliegende Speise zu' GrenMm. l«. i«»7. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/109>, abgerufen am 29.06.2024.