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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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i.
Aus Berlin.
1.

Die Saison. -- Was Berlin fehlt. -- Elemente l>er Bevölkerung. --- Die beiden Theater. -- .l>rv". --
Der Courier frau^als und der Pvleupre'zcs", -- Die 'Ausschüsse.

Das närrische Etwas, welches die Berliner ihre Saison zu nennen belieben, hat
nnn begonnen und es ist dabei besonders komisch, mit welcher Wichtigihucrei davon ge¬
sprochen wird. Die preußische Hauptstadt ist trotz ihrer 400,000 Einwohner und ihrer
fünf großen Eisenbahnen immer noch nicht viel mehr, als eine erträgliche Mittel¬
stadt; diese Inferiorität im vergleich zu den centralen Städten Paris, London wird
uns bleiben, und sollte sich die Einwohnerzahl verdoppeln, falls unser öffentliches Le¬
ben nicht die Bedeutung erhält, um eine mächtige Rückwirkung auf die socialen Ver¬
hältnisse ausüben zu können. Ehe wir nicht einen Reichstag haben, der regelmäßig
alle Jahre die Wintermonate hindurch seine Sitzungen hier hält, ehe uicht eine freie
Prcßgesetzgebung eine großartige journalistische Thätigkeit sich entfalten läßt, wird das
Berliner Leben den Charakter der Spießbürgerlichkeit, welcher ihm jetzt anhaftet, nicht
ablegen. Wie groß der Aufschwung ist, welchen freie politische Institutionell einer Ge¬
sellschaft geben, sehen wir an dem Uebergewichte, das London und Paris über Wien
und Petersburg behaupten? Berlin ermangelt nun aber uoch aller der Vorzüge, welche
den beiden letzteren Städten ihren Glanz verleihen. Abgesehen davon, daß diese die Haupt¬
städte drei bis vier Mal so bevölkerter Reiche sind, gibt es dort eine zahlreiche und
begüterte Aristokratie, welche, durch hundertjährige Bande an die herrschenden Dyna¬
stien gefesselt, durch ihre Anwesenheit den Glanz des Hofes erhöht. Anders in Preu¬
ßen. Grade in den alten Provinzen ist der Adel arm und unbedeutend, in den neuen
lebt er, der bei weitem größten Zahl nach, auf seineu Gütern; der schlesische, einer der
reichsten der Monarchie und außerdem auch gut preußisch gesinnt, hat Breslau, zu seinem
Sammelpunkte gemacht. In Berlin haben wir nur Beamte, einige ukermärkischc Gran¬
den, von sehr mäßigem Besitz und noch mäßigeren Geist, einige Banquiers, die sich in
der Masse verlieren, und im Uebrigen die große Masse der Spießbürger, kleiner Ren¬
tiers u. s. w. Aus diesen Elementen kann sich kein großstädtisches Gesellschaftsleben
entwickeln. Eine zahlreiche jährlich zusammeiitrctcudc reichsständische Versammlung würde
einen bedeutenden Theil der höheren Klassen aus den Provinzen nach der Hauptstadt,
als einem großen Brennpunkt, ziehen, der Aufschwung des geistigen Lebens auf dem
Felde der politischen Literatur die bedeutendsten Talente von ganz Deutschland in Ber¬
lin vereinigen, dieses somit geistig und materiell die erste Stadt Deutschlands werden,


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Aus Berlin.
1.

Die Saison. — Was Berlin fehlt. — Elemente l>er Bevölkerung. —- Die beiden Theater. — .l>rv». —
Der Courier frau^als und der Pvleupre'zcs«, — Die 'Ausschüsse.

Das närrische Etwas, welches die Berliner ihre Saison zu nennen belieben, hat
nnn begonnen und es ist dabei besonders komisch, mit welcher Wichtigihucrei davon ge¬
sprochen wird. Die preußische Hauptstadt ist trotz ihrer 400,000 Einwohner und ihrer
fünf großen Eisenbahnen immer noch nicht viel mehr, als eine erträgliche Mittel¬
stadt; diese Inferiorität im vergleich zu den centralen Städten Paris, London wird
uns bleiben, und sollte sich die Einwohnerzahl verdoppeln, falls unser öffentliches Le¬
ben nicht die Bedeutung erhält, um eine mächtige Rückwirkung auf die socialen Ver¬
hältnisse ausüben zu können. Ehe wir nicht einen Reichstag haben, der regelmäßig
alle Jahre die Wintermonate hindurch seine Sitzungen hier hält, ehe uicht eine freie
Prcßgesetzgebung eine großartige journalistische Thätigkeit sich entfalten läßt, wird das
Berliner Leben den Charakter der Spießbürgerlichkeit, welcher ihm jetzt anhaftet, nicht
ablegen. Wie groß der Aufschwung ist, welchen freie politische Institutionell einer Ge¬
sellschaft geben, sehen wir an dem Uebergewichte, das London und Paris über Wien
und Petersburg behaupten? Berlin ermangelt nun aber uoch aller der Vorzüge, welche
den beiden letzteren Städten ihren Glanz verleihen. Abgesehen davon, daß diese die Haupt¬
städte drei bis vier Mal so bevölkerter Reiche sind, gibt es dort eine zahlreiche und
begüterte Aristokratie, welche, durch hundertjährige Bande an die herrschenden Dyna¬
stien gefesselt, durch ihre Anwesenheit den Glanz des Hofes erhöht. Anders in Preu¬
ßen. Grade in den alten Provinzen ist der Adel arm und unbedeutend, in den neuen
lebt er, der bei weitem größten Zahl nach, auf seineu Gütern; der schlesische, einer der
reichsten der Monarchie und außerdem auch gut preußisch gesinnt, hat Breslau, zu seinem
Sammelpunkte gemacht. In Berlin haben wir nur Beamte, einige ukermärkischc Gran¬
den, von sehr mäßigem Besitz und noch mäßigeren Geist, einige Banquiers, die sich in
der Masse verlieren, und im Uebrigen die große Masse der Spießbürger, kleiner Ren¬
tiers u. s. w. Aus diesen Elementen kann sich kein großstädtisches Gesellschaftsleben
entwickeln. Eine zahlreiche jährlich zusammeiitrctcudc reichsständische Versammlung würde
einen bedeutenden Theil der höheren Klassen aus den Provinzen nach der Hauptstadt,
als einem großen Brennpunkt, ziehen, der Aufschwung des geistigen Lebens auf dem
Felde der politischen Literatur die bedeutendsten Talente von ganz Deutschland in Ber¬
lin vereinigen, dieses somit geistig und materiell die erste Stadt Deutschlands werden,


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[0445] T a g e u et). i. Aus Berlin. 1. Die Saison. — Was Berlin fehlt. — Elemente l>er Bevölkerung. —- Die beiden Theater. — .l>rv». — Der Courier frau^als und der Pvleupre'zcs«, — Die 'Ausschüsse. Das närrische Etwas, welches die Berliner ihre Saison zu nennen belieben, hat nnn begonnen und es ist dabei besonders komisch, mit welcher Wichtigihucrei davon ge¬ sprochen wird. Die preußische Hauptstadt ist trotz ihrer 400,000 Einwohner und ihrer fünf großen Eisenbahnen immer noch nicht viel mehr, als eine erträgliche Mittel¬ stadt; diese Inferiorität im vergleich zu den centralen Städten Paris, London wird uns bleiben, und sollte sich die Einwohnerzahl verdoppeln, falls unser öffentliches Le¬ ben nicht die Bedeutung erhält, um eine mächtige Rückwirkung auf die socialen Ver¬ hältnisse ausüben zu können. Ehe wir nicht einen Reichstag haben, der regelmäßig alle Jahre die Wintermonate hindurch seine Sitzungen hier hält, ehe uicht eine freie Prcßgesetzgebung eine großartige journalistische Thätigkeit sich entfalten läßt, wird das Berliner Leben den Charakter der Spießbürgerlichkeit, welcher ihm jetzt anhaftet, nicht ablegen. Wie groß der Aufschwung ist, welchen freie politische Institutionell einer Ge¬ sellschaft geben, sehen wir an dem Uebergewichte, das London und Paris über Wien und Petersburg behaupten? Berlin ermangelt nun aber uoch aller der Vorzüge, welche den beiden letzteren Städten ihren Glanz verleihen. Abgesehen davon, daß diese die Haupt¬ städte drei bis vier Mal so bevölkerter Reiche sind, gibt es dort eine zahlreiche und begüterte Aristokratie, welche, durch hundertjährige Bande an die herrschenden Dyna¬ stien gefesselt, durch ihre Anwesenheit den Glanz des Hofes erhöht. Anders in Preu¬ ßen. Grade in den alten Provinzen ist der Adel arm und unbedeutend, in den neuen lebt er, der bei weitem größten Zahl nach, auf seineu Gütern; der schlesische, einer der reichsten der Monarchie und außerdem auch gut preußisch gesinnt, hat Breslau, zu seinem Sammelpunkte gemacht. In Berlin haben wir nur Beamte, einige ukermärkischc Gran¬ den, von sehr mäßigem Besitz und noch mäßigeren Geist, einige Banquiers, die sich in der Masse verlieren, und im Uebrigen die große Masse der Spießbürger, kleiner Ren¬ tiers u. s. w. Aus diesen Elementen kann sich kein großstädtisches Gesellschaftsleben entwickeln. Eine zahlreiche jährlich zusammeiitrctcudc reichsständische Versammlung würde einen bedeutenden Theil der höheren Klassen aus den Provinzen nach der Hauptstadt, als einem großen Brennpunkt, ziehen, der Aufschwung des geistigen Lebens auf dem Felde der politischen Literatur die bedeutendsten Talente von ganz Deutschland in Ber¬ lin vereinigen, dieses somit geistig und materiell die erste Stadt Deutschlands werden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/445>, abgerufen am 22.07.2024.