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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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einzige Möglichkeit, eine vernünftige Staatsform vorzubereiten. Läßt man die
Rechtsfrage fallen, so beginnt das Reich der Willkür, und ob dann die Maitressen
der Hofbedienten, oder die praktischen Communisten die Beute an sich reißen,
kommt ziemlich auf eins heraus. Jeder Bürger des kurhessischen Staates hat die
Pflicht, nach Kräften dahin zu wirken, daß das Recht nicht verletzt werde.

Vor Allem die Stände. Noch können sie es auf loyalem Wege, denn noch
e.riskiren sie. Wenn sie aber zu lange zaudern, könnten sie eines schönen Mor¬
gens als Privatpersonen und Unterthanen eines unbeschränkten Monarchen er¬
wachen und der rechtliche Weg wäre ihnen abgeschnitten.

Ein gleiches Interesse haben die constitutionellen Staaten Deutschlands --
und zwar die Regierungen nicht minder als die Völker. Die Saat des Mi߬
trauens pflan/.t sich mit dem Winde fort; die Verletzung der einen Verfassung
unterwühlt die,' Fundamente aller übrigen. Unsere Fürsten -- Sachsen, Baden,
Baiern und alle übrigen, werden ihre gewichtige Stimme mit der ihrer Völker
vereinigen, die Formen des civilisirten Staatslebens anch im übrigen Deutschland
ansteche zu halten.

Oesterreich und Preußen werden, auch wenn sie die constitutionelle Verfas¬
sung nicht lieben, doch lieber an der Spitze eines mächtigen Staatenbundes bleiben
wollen, als ihre Bundesgenossen, ihren natürliche" Feinden, Frankreich und der
Revolution in die Hände zu spielen.

Die versammelten Landstände haben in Cassel am 4. Dec. einen diplomati¬
schen Ausweg gefunden. Sie haben in einer Sitzung einstimmig erklärt, daß der
neue Kurfürst die Verfassung nicht erst von Neuem zu beschworen brauche, da er
sie bereits als Mitregent beschworen hat. Sie haben mit dieser Erklärung kluger
Weise jeden etwaigen Versuch des neuen Kurfürsten, die Verfassung zu umgehen,
zu beseitigen gesucht, indem sie jenen Schwur als vollgültig auch für heute und
für die ganze Regierungszeit desselben annehmen. Ob aber, wenn ein Staatsstreich
einmal von der Regierung beschlossen sein sollte, diese diplomatische Erklärung der
Ständeversammlung nicht eben so über den Haufen geworfen würde, als alles
Andere, darüber wird uus die nächste Zukunft belehren. --

Noch ist der Würfel nicht gefallen; möge ein günstiger Gott ihn den Händen
vorwitziger Versucher entreißen. ...




einzige Möglichkeit, eine vernünftige Staatsform vorzubereiten. Läßt man die
Rechtsfrage fallen, so beginnt das Reich der Willkür, und ob dann die Maitressen
der Hofbedienten, oder die praktischen Communisten die Beute an sich reißen,
kommt ziemlich auf eins heraus. Jeder Bürger des kurhessischen Staates hat die
Pflicht, nach Kräften dahin zu wirken, daß das Recht nicht verletzt werde.

Vor Allem die Stände. Noch können sie es auf loyalem Wege, denn noch
e.riskiren sie. Wenn sie aber zu lange zaudern, könnten sie eines schönen Mor¬
gens als Privatpersonen und Unterthanen eines unbeschränkten Monarchen er¬
wachen und der rechtliche Weg wäre ihnen abgeschnitten.

Ein gleiches Interesse haben die constitutionellen Staaten Deutschlands —
und zwar die Regierungen nicht minder als die Völker. Die Saat des Mi߬
trauens pflan/.t sich mit dem Winde fort; die Verletzung der einen Verfassung
unterwühlt die,' Fundamente aller übrigen. Unsere Fürsten — Sachsen, Baden,
Baiern und alle übrigen, werden ihre gewichtige Stimme mit der ihrer Völker
vereinigen, die Formen des civilisirten Staatslebens anch im übrigen Deutschland
ansteche zu halten.

Oesterreich und Preußen werden, auch wenn sie die constitutionelle Verfas¬
sung nicht lieben, doch lieber an der Spitze eines mächtigen Staatenbundes bleiben
wollen, als ihre Bundesgenossen, ihren natürliche» Feinden, Frankreich und der
Revolution in die Hände zu spielen.

Die versammelten Landstände haben in Cassel am 4. Dec. einen diplomati¬
schen Ausweg gefunden. Sie haben in einer Sitzung einstimmig erklärt, daß der
neue Kurfürst die Verfassung nicht erst von Neuem zu beschworen brauche, da er
sie bereits als Mitregent beschworen hat. Sie haben mit dieser Erklärung kluger
Weise jeden etwaigen Versuch des neuen Kurfürsten, die Verfassung zu umgehen,
zu beseitigen gesucht, indem sie jenen Schwur als vollgültig auch für heute und
für die ganze Regierungszeit desselben annehmen. Ob aber, wenn ein Staatsstreich
einmal von der Regierung beschlossen sein sollte, diese diplomatische Erklärung der
Ständeversammlung nicht eben so über den Haufen geworfen würde, als alles
Andere, darüber wird uus die nächste Zukunft belehren. —

Noch ist der Würfel nicht gefallen; möge ein günstiger Gott ihn den Händen
vorwitziger Versucher entreißen. ...




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/444>, abgerufen am 22.07.2024.