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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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i.
Die religiösen Tnvuiere unserer Gegenwart.

Wenn wir die neue Phase, in welche die Angelegenheit unserer Lichtftcunde ge¬
treten ist, mit dem Religionskrieg, der so eben in der Schweiz ausbricht, und ähnlichen
Symptomen der Zeit in Verbindung bringen, so könnte uns zuweilen ein geheimer
Schauder ergreife", als ob die Gespenster und die dämonischen Nachtunholdc des Mit¬
telalters noch immer in dem hellen Sonnenlicht der Gegenwart herumspuktcn. Ist es
denn wirklich ein Traum? bedarf es auch heute nnr noch das Wort eines frechen Magiers, um
die Geister herauf zu beschwören, die so lauge geruht haben in ihren verwitterten Särgen?
Soll noch einmal diese heitere sonnige Welt "ein Tummelplatz für Larven" sein? Hat
all' das Blut, das seit Jahrtausenden geflossen, den finstern Geist noch nicht versöhnt,
der in der Zertrümmerung aller sittlichen Bande, in dem ironischen Spiel mit Allem,
was dem Menschen an's Herz gewachsen war, seine unheimliche Lust kühlte?

Und in der That, man glaubt zu träumen, wenn man die Posaunen hört, womit
sie die Mauern ihres umgestürzten Zion wieder zum Dasein zaubern möchten; aber bei
einer nähern Einsicht verziehn sich die Nebelbilder, die phantastischen Schatten eines
längst verschollenen Fanatismus, und das prosaische Gemälde der nüchternen Realität
erhebt sich vor den erstaunten Blicken.

Die christliche Religion hat ihre Zeiten gehabt, wo sie die Scheiterhaufen anschürte,
und die Brandfackel in die friedlichen Hütten der Menschen warf; es gab eine Zeit, die
wirklich an die Hölle glaubte, und in diesem Glauben die Erde zu einer Hölle machte.
Diese Zeit ist vorüber; die Religion, was auch die Theologen noch immer in ihr zu
suchen vorgeben, hat sich auf das Gebot der Liebe zusammengezogen: Liebe deinen
Nächsten wie dich selbst. Die gefährliche Nebenbedeutung, die diesem schönen Spruch
durch das vorangehende; Liebe Gott über alle Dinge! gegeben wurde, ist ausgelöscht,
denn Gott ist uns nichts mehr, als das Ideal der sittlichen Ideen, die seit der Auf¬
klärung den Begriff der Menschheit ausgefüllt haben. Es ist nicht die Religion
mehr, die den Haß unter den Menschen erregt, es ist der dvctrinäre
Aberglaube des politischen Dogmatismus.

Die ganze moderne Geschichte hat in ihrer Entwickelung dahin geführt, in dem
Staat alle wesentlichen Functionen des geistigen Lebens zu al'sorbircn. Nothwendig
mnfite dieses Streben gewisse Interessen kränke", und diese haben in Ermangelung eines
Bessern zu einer Doctrin geführt, die im Gegentheil dem Staat nichts lassen will, als


Tage b u es.



i.
Die religiösen Tnvuiere unserer Gegenwart.

Wenn wir die neue Phase, in welche die Angelegenheit unserer Lichtftcunde ge¬
treten ist, mit dem Religionskrieg, der so eben in der Schweiz ausbricht, und ähnlichen
Symptomen der Zeit in Verbindung bringen, so könnte uns zuweilen ein geheimer
Schauder ergreife», als ob die Gespenster und die dämonischen Nachtunholdc des Mit¬
telalters noch immer in dem hellen Sonnenlicht der Gegenwart herumspuktcn. Ist es
denn wirklich ein Traum? bedarf es auch heute nnr noch das Wort eines frechen Magiers, um
die Geister herauf zu beschwören, die so lauge geruht haben in ihren verwitterten Särgen?
Soll noch einmal diese heitere sonnige Welt „ein Tummelplatz für Larven" sein? Hat
all' das Blut, das seit Jahrtausenden geflossen, den finstern Geist noch nicht versöhnt,
der in der Zertrümmerung aller sittlichen Bande, in dem ironischen Spiel mit Allem,
was dem Menschen an's Herz gewachsen war, seine unheimliche Lust kühlte?

Und in der That, man glaubt zu träumen, wenn man die Posaunen hört, womit
sie die Mauern ihres umgestürzten Zion wieder zum Dasein zaubern möchten; aber bei
einer nähern Einsicht verziehn sich die Nebelbilder, die phantastischen Schatten eines
längst verschollenen Fanatismus, und das prosaische Gemälde der nüchternen Realität
erhebt sich vor den erstaunten Blicken.

Die christliche Religion hat ihre Zeiten gehabt, wo sie die Scheiterhaufen anschürte,
und die Brandfackel in die friedlichen Hütten der Menschen warf; es gab eine Zeit, die
wirklich an die Hölle glaubte, und in diesem Glauben die Erde zu einer Hölle machte.
Diese Zeit ist vorüber; die Religion, was auch die Theologen noch immer in ihr zu
suchen vorgeben, hat sich auf das Gebot der Liebe zusammengezogen: Liebe deinen
Nächsten wie dich selbst. Die gefährliche Nebenbedeutung, die diesem schönen Spruch
durch das vorangehende; Liebe Gott über alle Dinge! gegeben wurde, ist ausgelöscht,
denn Gott ist uns nichts mehr, als das Ideal der sittlichen Ideen, die seit der Auf¬
klärung den Begriff der Menschheit ausgefüllt haben. Es ist nicht die Religion
mehr, die den Haß unter den Menschen erregt, es ist der dvctrinäre
Aberglaube des politischen Dogmatismus.

Die ganze moderne Geschichte hat in ihrer Entwickelung dahin geführt, in dem
Staat alle wesentlichen Functionen des geistigen Lebens zu al'sorbircn. Nothwendig
mnfite dieses Streben gewisse Interessen kränke», und diese haben in Ermangelung eines
Bessern zu einer Doctrin geführt, die im Gegentheil dem Staat nichts lassen will, als


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[0306] Tage b u es. i. Die religiösen Tnvuiere unserer Gegenwart. Wenn wir die neue Phase, in welche die Angelegenheit unserer Lichtftcunde ge¬ treten ist, mit dem Religionskrieg, der so eben in der Schweiz ausbricht, und ähnlichen Symptomen der Zeit in Verbindung bringen, so könnte uns zuweilen ein geheimer Schauder ergreife», als ob die Gespenster und die dämonischen Nachtunholdc des Mit¬ telalters noch immer in dem hellen Sonnenlicht der Gegenwart herumspuktcn. Ist es denn wirklich ein Traum? bedarf es auch heute nnr noch das Wort eines frechen Magiers, um die Geister herauf zu beschwören, die so lauge geruht haben in ihren verwitterten Särgen? Soll noch einmal diese heitere sonnige Welt „ein Tummelplatz für Larven" sein? Hat all' das Blut, das seit Jahrtausenden geflossen, den finstern Geist noch nicht versöhnt, der in der Zertrümmerung aller sittlichen Bande, in dem ironischen Spiel mit Allem, was dem Menschen an's Herz gewachsen war, seine unheimliche Lust kühlte? Und in der That, man glaubt zu träumen, wenn man die Posaunen hört, womit sie die Mauern ihres umgestürzten Zion wieder zum Dasein zaubern möchten; aber bei einer nähern Einsicht verziehn sich die Nebelbilder, die phantastischen Schatten eines längst verschollenen Fanatismus, und das prosaische Gemälde der nüchternen Realität erhebt sich vor den erstaunten Blicken. Die christliche Religion hat ihre Zeiten gehabt, wo sie die Scheiterhaufen anschürte, und die Brandfackel in die friedlichen Hütten der Menschen warf; es gab eine Zeit, die wirklich an die Hölle glaubte, und in diesem Glauben die Erde zu einer Hölle machte. Diese Zeit ist vorüber; die Religion, was auch die Theologen noch immer in ihr zu suchen vorgeben, hat sich auf das Gebot der Liebe zusammengezogen: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Die gefährliche Nebenbedeutung, die diesem schönen Spruch durch das vorangehende; Liebe Gott über alle Dinge! gegeben wurde, ist ausgelöscht, denn Gott ist uns nichts mehr, als das Ideal der sittlichen Ideen, die seit der Auf¬ klärung den Begriff der Menschheit ausgefüllt haben. Es ist nicht die Religion mehr, die den Haß unter den Menschen erregt, es ist der dvctrinäre Aberglaube des politischen Dogmatismus. Die ganze moderne Geschichte hat in ihrer Entwickelung dahin geführt, in dem Staat alle wesentlichen Functionen des geistigen Lebens zu al'sorbircn. Nothwendig mnfite dieses Streben gewisse Interessen kränke», und diese haben in Ermangelung eines Bessern zu einer Doctrin geführt, die im Gegentheil dem Staat nichts lassen will, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/306>, abgerufen am 03.07.2024.