Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.Eine Anklage gegen das Christenthum. Als die Aufklärung die süße Gewohnheit des Daseins aus ihrem Schlafe In Fraukreich begann der Kampf gegen das Allerheiligste der Religion. Der Man vergesse nicht, daß wir Alle, trotz der Reactionsversnche unserer Tage, 32*
Eine Anklage gegen das Christenthum. Als die Aufklärung die süße Gewohnheit des Daseins aus ihrem Schlafe In Fraukreich begann der Kampf gegen das Allerheiligste der Religion. Der Man vergesse nicht, daß wir Alle, trotz der Reactionsversnche unserer Tage, 32*
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Eine Anklage gegen das Christenthum.
Als die Aufklärung die süße Gewohnheit des Daseins aus ihrem Schlafe
rüttelte, war es namentlich die religiöse Tradition, die ihres Heiligenscheins
entkleidet und gleich der politischen Autorität in ihrem innern Wesen unter¬
sucht wurde. Beinahe zwei Jahrtausende hatte das Christenthum die Welt be¬
herrscht, es hatte das öffentliche und Privatleben, Wissenschaft und Kunst gleich¬
mäßig mit seinem Geiste durchdrungen, und der Königsthron wie das Theater,
die Kammer des einsamen Denkers, wie der blutige Wahlplatz der Helden wurden
von dem geheimnißvollen Lichte der überirdischen Wunderwelt träumerisch beschiene».
Als nun das irdische Licht des menschlichen Gedankens aufging, war die Welt
uoch in einem halben Traum, und die gewohnten Gegenstände sehen in der neuen
Helle fremdartig und wunderbar ans.
In Fraukreich begann der Kampf gegen das Allerheiligste der Religion. Der
Katholicismus hatte den Gedanken ausgeschlossen, und es war natürlich, daß die¬
ser, sobald er einmal sich Geltung verschaffte, seine Energie gegen die Religion
wandte. In protestantischen Ländern dagegen war der Gedanke in der Religion
legitimirt und daher an sie gebunden; hier strebte die Aufklärung, das Christen¬
thum festzuhalten, und in ihm die reine Lehre der Vernunft zu finden. Der Na¬
tionalismus sonderte das sogenannte Wesentliche der Religion vom Aeußerlichen
und er fand, daß, wenn man die Vorstellungen fallen ließe, in denen sich der
Heiland dem Bewußtsein seiner Zeit anbequemt, sehr einfache und schöne Wahr¬
heiten übrig blieben: der Glaube an einen Gott der alle Menschen liebt, und je¬
des Haar auf ihrem Haupte zählt, der Alles, was ihnen begegnet in wohlwollen¬
der Absicht geschehen ließe und Alles zum Besten wendete, der Glaube an die
menschliche Freiheit und die daraus entspringende Pflicht, tugendhaft und gut zu
sein und der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele. In Kant's „Religion
innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" wurden diese Vorstellungen des Ra¬
tionalismus, so weit es mit so etwas möglich ist, zu einem wissenschaftlichen Sy¬
stem erhoben.
Man vergesse nicht, daß wir Alle, trotz der Reactionsversnche unserer Tage,
welche wieder zu der Mystik der jenseitigen Welt, des verborgenen Gottes und
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