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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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i.
Fürst Lobkowitz "ut die böhmischen Stände.

Unter dem 16. October ist eine allerhöchste Entschließung erfassen, wodurch bei
der vereinigten Hofkanzlei ein eigenes Referat für sämmtliche stän¬
dische Angelegenheiten der deutsch-österreichischen Provinzen geschaffen,
mit dasselbe gleichzeitig an den zum überzähligen Hofrath ernannten Fürsten Karl
Lobkowitz übertragen wird.

Diese Regicrungsmaßnahme ist in mehr als einer Beziehung von Bedeutung; er¬
stens und vor Allem, weil sie das Bekenntniß ablegt, daß die ständischen Angelegen¬
heiten ein solches Gewicht gewonnen haben, daß sie nicht mehr nur nebenbei von den
Landesrcserentcn abgemacht werden können; zweitens liegt in dem Zeitpunkt, in welchem
diese Maßnahme ergriffen wurde, das weitere Bekenntniß, daß die bisherige Behand¬
lung der ständischen Angelegenheiten in den deutsch-österreichischen Provinzen keine
entsprechende war, weil man sonst den Augenblick, wo die böhmischen Stände in
einen sehr ernsten und allgemein Aufsehen erregenden Conflict mit der Regierung ge¬
rathen waren, nicht dazu gewählt hätte, durch eine außergewöhnliche Maßregel dem
Ständewesen überhaupt eine größere Bedeutung zu geben. Drittens endlich liegt in
der für das Referat gewählten Persönlichkeit eine gewisse Bürgschaft, daß man ein¬
lenken wolle, indem Fürst Lobkowitz als Referent der ständischen Angelegenheiten
bei dem böhmischen Gubernium sich jederzeit weniger von bureaukratischen Vorurtheilen
und Ansichten leiten ließ, und namentlich bezüglich der Differenz über das erhöhte
Steuerpostulat von 50,000 Fi. für einen Mittelweg sich aussprach, der jedoch, wie
bekannt, nicht beliebt wurde.

Indessen sind wir trotz dem weit entfernt, die Maßregel zu überschätzen und von
ihr allein die Verwirklichung alles dessen zu erwarten, was sie leisten könnte, wenn mit
ihr anch wirklich ein ganz anderer Geist, eine richtigere Auffassung dessen, was Noth
thut, in den höchsten Regierungsregionen eingetreten wäre. Doch eben daran zweifeln
wir, weil es undenkbar ist, daß dieselben Personen, denen bisher ständisches Recht
und Bewegung ein Gräuel war, mit einemmale in entgegengesetzter Richtung sich aus-
sprechen sollten. -- Gras Kollvwrath war zwar im Gegensatz zu den übrigen Leitern
jederzeit ständischer gesinnt, und hat sich für die Pflege und Erhaltung der ständischen
Institutionen schon aus dem Grunde ausgesprochen, weil sonst an die Stelle des alten
Instituts ein modernes mit den so sehr geflüchteten Kammern treten würde; doch


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i.
Fürst Lobkowitz «ut die böhmischen Stände.

Unter dem 16. October ist eine allerhöchste Entschließung erfassen, wodurch bei
der vereinigten Hofkanzlei ein eigenes Referat für sämmtliche stän¬
dische Angelegenheiten der deutsch-österreichischen Provinzen geschaffen,
mit dasselbe gleichzeitig an den zum überzähligen Hofrath ernannten Fürsten Karl
Lobkowitz übertragen wird.

Diese Regicrungsmaßnahme ist in mehr als einer Beziehung von Bedeutung; er¬
stens und vor Allem, weil sie das Bekenntniß ablegt, daß die ständischen Angelegen¬
heiten ein solches Gewicht gewonnen haben, daß sie nicht mehr nur nebenbei von den
Landesrcserentcn abgemacht werden können; zweitens liegt in dem Zeitpunkt, in welchem
diese Maßnahme ergriffen wurde, das weitere Bekenntniß, daß die bisherige Behand¬
lung der ständischen Angelegenheiten in den deutsch-österreichischen Provinzen keine
entsprechende war, weil man sonst den Augenblick, wo die böhmischen Stände in
einen sehr ernsten und allgemein Aufsehen erregenden Conflict mit der Regierung ge¬
rathen waren, nicht dazu gewählt hätte, durch eine außergewöhnliche Maßregel dem
Ständewesen überhaupt eine größere Bedeutung zu geben. Drittens endlich liegt in
der für das Referat gewählten Persönlichkeit eine gewisse Bürgschaft, daß man ein¬
lenken wolle, indem Fürst Lobkowitz als Referent der ständischen Angelegenheiten
bei dem böhmischen Gubernium sich jederzeit weniger von bureaukratischen Vorurtheilen
und Ansichten leiten ließ, und namentlich bezüglich der Differenz über das erhöhte
Steuerpostulat von 50,000 Fi. für einen Mittelweg sich aussprach, der jedoch, wie
bekannt, nicht beliebt wurde.

Indessen sind wir trotz dem weit entfernt, die Maßregel zu überschätzen und von
ihr allein die Verwirklichung alles dessen zu erwarten, was sie leisten könnte, wenn mit
ihr anch wirklich ein ganz anderer Geist, eine richtigere Auffassung dessen, was Noth
thut, in den höchsten Regierungsregionen eingetreten wäre. Doch eben daran zweifeln
wir, weil es undenkbar ist, daß dieselben Personen, denen bisher ständisches Recht
und Bewegung ein Gräuel war, mit einemmale in entgegengesetzter Richtung sich aus-
sprechen sollten. — Gras Kollvwrath war zwar im Gegensatz zu den übrigen Leitern
jederzeit ständischer gesinnt, und hat sich für die Pflege und Erhaltung der ständischen
Institutionen schon aus dem Grunde ausgesprochen, weil sonst an die Stelle des alten
Instituts ein modernes mit den so sehr geflüchteten Kammern treten würde; doch


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[0226] T A g e b u et>. i. Fürst Lobkowitz «ut die böhmischen Stände. Unter dem 16. October ist eine allerhöchste Entschließung erfassen, wodurch bei der vereinigten Hofkanzlei ein eigenes Referat für sämmtliche stän¬ dische Angelegenheiten der deutsch-österreichischen Provinzen geschaffen, mit dasselbe gleichzeitig an den zum überzähligen Hofrath ernannten Fürsten Karl Lobkowitz übertragen wird. Diese Regicrungsmaßnahme ist in mehr als einer Beziehung von Bedeutung; er¬ stens und vor Allem, weil sie das Bekenntniß ablegt, daß die ständischen Angelegen¬ heiten ein solches Gewicht gewonnen haben, daß sie nicht mehr nur nebenbei von den Landesrcserentcn abgemacht werden können; zweitens liegt in dem Zeitpunkt, in welchem diese Maßnahme ergriffen wurde, das weitere Bekenntniß, daß die bisherige Behand¬ lung der ständischen Angelegenheiten in den deutsch-österreichischen Provinzen keine entsprechende war, weil man sonst den Augenblick, wo die böhmischen Stände in einen sehr ernsten und allgemein Aufsehen erregenden Conflict mit der Regierung ge¬ rathen waren, nicht dazu gewählt hätte, durch eine außergewöhnliche Maßregel dem Ständewesen überhaupt eine größere Bedeutung zu geben. Drittens endlich liegt in der für das Referat gewählten Persönlichkeit eine gewisse Bürgschaft, daß man ein¬ lenken wolle, indem Fürst Lobkowitz als Referent der ständischen Angelegenheiten bei dem böhmischen Gubernium sich jederzeit weniger von bureaukratischen Vorurtheilen und Ansichten leiten ließ, und namentlich bezüglich der Differenz über das erhöhte Steuerpostulat von 50,000 Fi. für einen Mittelweg sich aussprach, der jedoch, wie bekannt, nicht beliebt wurde. Indessen sind wir trotz dem weit entfernt, die Maßregel zu überschätzen und von ihr allein die Verwirklichung alles dessen zu erwarten, was sie leisten könnte, wenn mit ihr anch wirklich ein ganz anderer Geist, eine richtigere Auffassung dessen, was Noth thut, in den höchsten Regierungsregionen eingetreten wäre. Doch eben daran zweifeln wir, weil es undenkbar ist, daß dieselben Personen, denen bisher ständisches Recht und Bewegung ein Gräuel war, mit einemmale in entgegengesetzter Richtung sich aus- sprechen sollten. — Gras Kollvwrath war zwar im Gegensatz zu den übrigen Leitern jederzeit ständischer gesinnt, und hat sich für die Pflege und Erhaltung der ständischen Institutionen schon aus dem Grunde ausgesprochen, weil sonst an die Stelle des alten Instituts ein modernes mit den so sehr geflüchteten Kammern treten würde; doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/226>, abgerufen am 22.07.2024.