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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Weimorifche Zustände.
i.

Es sind Zustände der Stadt Weimar gemeint, was bei unseren Duodez¬
staaten, die einen und denselben Namen sür Hauptstadt und Land haben, immer
besonders erklärt werden muß, wenn man die eine oder das andere besprechen
will. Daß ein Land nicht einmal einen selbstständigen Namen hat, ist um so Mg
licher, wenn die Stadt oder Residenz, von der es sich benamste, nichts weniger
als der Mittelpunkt des Ganzen ist, um den sich alles Uebrige als bloße Ein¬
fassung herumlcgte, wie z. B. bei unseren freien Städten. Nichts bezeichnet mehr
als dieser Umstand das Willkürliche und Zufällige unserer politischen Eintheilung,
die mir so möglich wurde, daß die Staatenbildung ohne innere Nothwendigkeit
und ohne Betheiligung des Volks in der Form fürstlichen Privaterwerbes statt
hatte. Ein Schwabe, ein Franke, ein Thüringer oder Niedersachse zu sein, be¬
deutet Etwas; ein Weimaraner, Hechinger, Sondershäuser, Küthcuer zu sein be¬
deutet Nichts, oder vielmehr eine Ungunst des Schicksals. Denn einem solchen
Kleinstaat angehörig muß man daraus verzichten Patriot zu sein oder lächerlich
werden. Wenn große Staaten auch nur äußerlich zusammengesetzt find, so kann
bei ihnen die Geschichte, die Erinnerung und Nachwirkung gemeinsamer Schicksale,
Thaten und Leiden die mangelnde Einheit der Volks- oder Stammthümlichkeit er¬
setzen. Aber solche kleinen, ans fürstlichen Besitzthümern mühsam zusammengeleim¬
ten Staaien haben auch keine Geschichte. Der Patriotismus für sie ist ein inhalts¬
leerer und erscheint als solcher sogleich, wenn man ihm Ausdruck geben möchte.
Eine Weimarische oder Köthner Nationalhymne ist ein Unding, und wenn die in
einer Gesellschaft anwesenden Preußen ihr: "Heil dir im Siegerkranz," oder: "Ich
bin ein Preuße" anstimmen, so haben die dabei befindlichen Weimaraner und Kö-
thener Nichts darauf zu setzen und müssen still zuhören, wenn sie nicht Vaterland
und Fürst mitsingend verleugnen oder in schmerzlich lächelnder Selbstironie ihre
Rainen und Farben supponiren wollen.

Aber hat denn Weimar keine Geschichte? Hat es nicht z. B. seinen großen
Bernhard und seinen Carl August? Knüpfe sich nicht an den letzten die Glanz¬
epoche der deutschen Literatur, die sich in Weimar häuslich niederließ? Allerdings;
aber der tapferen Bernhard ist nicht mit dein Weimarischen Lande groß gewor-


Gmizbvtl". IV. 1"47. 18
Weimorifche Zustände.
i.

Es sind Zustände der Stadt Weimar gemeint, was bei unseren Duodez¬
staaten, die einen und denselben Namen sür Hauptstadt und Land haben, immer
besonders erklärt werden muß, wenn man die eine oder das andere besprechen
will. Daß ein Land nicht einmal einen selbstständigen Namen hat, ist um so Mg
licher, wenn die Stadt oder Residenz, von der es sich benamste, nichts weniger
als der Mittelpunkt des Ganzen ist, um den sich alles Uebrige als bloße Ein¬
fassung herumlcgte, wie z. B. bei unseren freien Städten. Nichts bezeichnet mehr
als dieser Umstand das Willkürliche und Zufällige unserer politischen Eintheilung,
die mir so möglich wurde, daß die Staatenbildung ohne innere Nothwendigkeit
und ohne Betheiligung des Volks in der Form fürstlichen Privaterwerbes statt
hatte. Ein Schwabe, ein Franke, ein Thüringer oder Niedersachse zu sein, be¬
deutet Etwas; ein Weimaraner, Hechinger, Sondershäuser, Küthcuer zu sein be¬
deutet Nichts, oder vielmehr eine Ungunst des Schicksals. Denn einem solchen
Kleinstaat angehörig muß man daraus verzichten Patriot zu sein oder lächerlich
werden. Wenn große Staaten auch nur äußerlich zusammengesetzt find, so kann
bei ihnen die Geschichte, die Erinnerung und Nachwirkung gemeinsamer Schicksale,
Thaten und Leiden die mangelnde Einheit der Volks- oder Stammthümlichkeit er¬
setzen. Aber solche kleinen, ans fürstlichen Besitzthümern mühsam zusammengeleim¬
ten Staaien haben auch keine Geschichte. Der Patriotismus für sie ist ein inhalts¬
leerer und erscheint als solcher sogleich, wenn man ihm Ausdruck geben möchte.
Eine Weimarische oder Köthner Nationalhymne ist ein Unding, und wenn die in
einer Gesellschaft anwesenden Preußen ihr: „Heil dir im Siegerkranz," oder: „Ich
bin ein Preuße" anstimmen, so haben die dabei befindlichen Weimaraner und Kö-
thener Nichts darauf zu setzen und müssen still zuhören, wenn sie nicht Vaterland
und Fürst mitsingend verleugnen oder in schmerzlich lächelnder Selbstironie ihre
Rainen und Farben supponiren wollen.

Aber hat denn Weimar keine Geschichte? Hat es nicht z. B. seinen großen
Bernhard und seinen Carl August? Knüpfe sich nicht an den letzten die Glanz¬
epoche der deutschen Literatur, die sich in Weimar häuslich niederließ? Allerdings;
aber der tapferen Bernhard ist nicht mit dein Weimarischen Lande groß gewor-


Gmizbvtl». IV. 1«47. 18
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[0145] Weimorifche Zustände. i. Es sind Zustände der Stadt Weimar gemeint, was bei unseren Duodez¬ staaten, die einen und denselben Namen sür Hauptstadt und Land haben, immer besonders erklärt werden muß, wenn man die eine oder das andere besprechen will. Daß ein Land nicht einmal einen selbstständigen Namen hat, ist um so Mg licher, wenn die Stadt oder Residenz, von der es sich benamste, nichts weniger als der Mittelpunkt des Ganzen ist, um den sich alles Uebrige als bloße Ein¬ fassung herumlcgte, wie z. B. bei unseren freien Städten. Nichts bezeichnet mehr als dieser Umstand das Willkürliche und Zufällige unserer politischen Eintheilung, die mir so möglich wurde, daß die Staatenbildung ohne innere Nothwendigkeit und ohne Betheiligung des Volks in der Form fürstlichen Privaterwerbes statt hatte. Ein Schwabe, ein Franke, ein Thüringer oder Niedersachse zu sein, be¬ deutet Etwas; ein Weimaraner, Hechinger, Sondershäuser, Küthcuer zu sein be¬ deutet Nichts, oder vielmehr eine Ungunst des Schicksals. Denn einem solchen Kleinstaat angehörig muß man daraus verzichten Patriot zu sein oder lächerlich werden. Wenn große Staaten auch nur äußerlich zusammengesetzt find, so kann bei ihnen die Geschichte, die Erinnerung und Nachwirkung gemeinsamer Schicksale, Thaten und Leiden die mangelnde Einheit der Volks- oder Stammthümlichkeit er¬ setzen. Aber solche kleinen, ans fürstlichen Besitzthümern mühsam zusammengeleim¬ ten Staaien haben auch keine Geschichte. Der Patriotismus für sie ist ein inhalts¬ leerer und erscheint als solcher sogleich, wenn man ihm Ausdruck geben möchte. Eine Weimarische oder Köthner Nationalhymne ist ein Unding, und wenn die in einer Gesellschaft anwesenden Preußen ihr: „Heil dir im Siegerkranz," oder: „Ich bin ein Preuße" anstimmen, so haben die dabei befindlichen Weimaraner und Kö- thener Nichts darauf zu setzen und müssen still zuhören, wenn sie nicht Vaterland und Fürst mitsingend verleugnen oder in schmerzlich lächelnder Selbstironie ihre Rainen und Farben supponiren wollen. Aber hat denn Weimar keine Geschichte? Hat es nicht z. B. seinen großen Bernhard und seinen Carl August? Knüpfe sich nicht an den letzten die Glanz¬ epoche der deutschen Literatur, die sich in Weimar häuslich niederließ? Allerdings; aber der tapferen Bernhard ist nicht mit dein Weimarischen Lande groß gewor- Gmizbvtl». IV. 1«47. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/145>, abgerufen am 11.12.2024.