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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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gäbe von Freibillets zeigt sich hier, ob ein Virtuose durch ächten Ruf
etwas macht. Ernst, den ich schon neulich in einem vertrauten Kreise
bei Madame Viardot hörte, wo er seine geistreichen mit Stephan Heller
zusammen verfaßten i""z"spe" l"A'illo"!" mit der genialen Frau am Flügel
erecutirte, trug im Theater sein neues Concert in l>5 iiwll . Ungarische
Weisen und seine renommirten Pirata Capricene unter jubelnden Bei¬
fallssturm vor. Wir dürfen uns auf einen Cyclus glänzender Concerte
gefaßt machen. Nächst Paganini möchte wohl Ernst die meisten Schwie¬
rigkeiten auf der Violine überwinden und am tiefsten in die Natur des
Instrumentes gedrungen sein. Wenigstens besitzt keiner seiner Zeitgenossen
diese ungemeine Disposition zum Violinsprel und diesen seelenvoll mclan-
cholischgefärbten Vortrag.

Die hier bestehenden Handwerksvereine sind auf Befehl der Polizei
aufgehoben worden. Man spricht von zweiundzwanzig verhafteten Per¬
sonen, unter diesen mehrere Literatett, die bezüchtigt worden sind, Reden
gehalten und verbotene Schriften vorgelesen zu haben. Die meisten Ge¬
rüchte, die hierüber in den Zeitungen laut wurden, find durchaus über¬
trieben. Der Denunciationsbrief, auf dessen Grund hin die Polizei ein¬
schritt, war französisch geschrieben, wahrscheinlich weil der Schreiber da¬
durch am besten sich zu maskiren dachte. Dadurch aber ist das Gerücht
entstanden, eine weitverzweigte Verschwörung, die mit Belgien und mit
Frankreich in Verbindung stehe, sei entdeckt worden. Verschwörungen bei
offenen Thüren sind unseres Erachtens eine sehr ungefährliche Sache und
hoffentlich wird man die vielen Verhafteten vielleicht sogar bald wieder
Z. I. ruhig nach Hause schicken.


IV.
Ans Leipzig.

Leipzig im Winter. -- Die Kleinpariser und die Cerrito. - Ein Patriot im Toge-
blatte. -- Einheimische Füße. -- Theaterfreuden. -- Neue Lustspiele. -- Berger
undBenedix. -- Fremde Schriftsteller. -- Die Zeitschriften und das Publicuw.

Zwischen der Michaelis- und der Neujahrsmesse hat Leipzig gewöhn¬
lich seine s"i8on martv; dieses Jahr aber ist die Saison iticinmorre,
zu deutsch: mausetodt. Leipzig ist ein Meß- und Durchzugsort; wenn
aber ringsumher die Wege mit Schnee und Eis verstopft sind, so sitzt
Leipzig wie eine Wittwe da, die aus Mangel an Anbetern mit ihrem
eigenen Bild im Spiegel coquettirt. Leipzig hält sich nämlich für sehr
"scheene", es glaubt in der That, es sei ein klein Paris, und hat sogar
die Marotte dem großen Paris bisweilen eine Lection zu geben. Dies
sahen wir erst diese Woche bei einer Gastdarstellung der Cerrito. Diese
liebliche Tänzerin, welche die Pariser, Londoner, Wiener und Berliner
in ein Delirium versetzt hat, die überall, wo sie bisher sich sehen ließ,
ihren ältern Nebenbuhlerinnen, der Elster und der Taglioni (vielleicht
eben weil sie älter sind), den Preis abgewonnen, ist von den Leipzigern
mit derselben kalten Vornehmheit aufgenommen worden, die hier ein


gäbe von Freibillets zeigt sich hier, ob ein Virtuose durch ächten Ruf
etwas macht. Ernst, den ich schon neulich in einem vertrauten Kreise
bei Madame Viardot hörte, wo er seine geistreichen mit Stephan Heller
zusammen verfaßten i»«z»spe« l»A'illo»!» mit der genialen Frau am Flügel
erecutirte, trug im Theater sein neues Concert in l>5 iiwll . Ungarische
Weisen und seine renommirten Pirata Capricene unter jubelnden Bei¬
fallssturm vor. Wir dürfen uns auf einen Cyclus glänzender Concerte
gefaßt machen. Nächst Paganini möchte wohl Ernst die meisten Schwie¬
rigkeiten auf der Violine überwinden und am tiefsten in die Natur des
Instrumentes gedrungen sein. Wenigstens besitzt keiner seiner Zeitgenossen
diese ungemeine Disposition zum Violinsprel und diesen seelenvoll mclan-
cholischgefärbten Vortrag.

Die hier bestehenden Handwerksvereine sind auf Befehl der Polizei
aufgehoben worden. Man spricht von zweiundzwanzig verhafteten Per¬
sonen, unter diesen mehrere Literatett, die bezüchtigt worden sind, Reden
gehalten und verbotene Schriften vorgelesen zu haben. Die meisten Ge¬
rüchte, die hierüber in den Zeitungen laut wurden, find durchaus über¬
trieben. Der Denunciationsbrief, auf dessen Grund hin die Polizei ein¬
schritt, war französisch geschrieben, wahrscheinlich weil der Schreiber da¬
durch am besten sich zu maskiren dachte. Dadurch aber ist das Gerücht
entstanden, eine weitverzweigte Verschwörung, die mit Belgien und mit
Frankreich in Verbindung stehe, sei entdeckt worden. Verschwörungen bei
offenen Thüren sind unseres Erachtens eine sehr ungefährliche Sache und
hoffentlich wird man die vielen Verhafteten vielleicht sogar bald wieder
Z. I. ruhig nach Hause schicken.


IV.
Ans Leipzig.

Leipzig im Winter. — Die Kleinpariser und die Cerrito. - Ein Patriot im Toge-
blatte. — Einheimische Füße. — Theaterfreuden. — Neue Lustspiele. — Berger
undBenedix. — Fremde Schriftsteller. — Die Zeitschriften und das Publicuw.

Zwischen der Michaelis- und der Neujahrsmesse hat Leipzig gewöhn¬
lich seine s»i8on martv; dieses Jahr aber ist die Saison iticinmorre,
zu deutsch: mausetodt. Leipzig ist ein Meß- und Durchzugsort; wenn
aber ringsumher die Wege mit Schnee und Eis verstopft sind, so sitzt
Leipzig wie eine Wittwe da, die aus Mangel an Anbetern mit ihrem
eigenen Bild im Spiegel coquettirt. Leipzig hält sich nämlich für sehr
„scheene", es glaubt in der That, es sei ein klein Paris, und hat sogar
die Marotte dem großen Paris bisweilen eine Lection zu geben. Dies
sahen wir erst diese Woche bei einer Gastdarstellung der Cerrito. Diese
liebliche Tänzerin, welche die Pariser, Londoner, Wiener und Berliner
in ein Delirium versetzt hat, die überall, wo sie bisher sich sehen ließ,
ihren ältern Nebenbuhlerinnen, der Elster und der Taglioni (vielleicht
eben weil sie älter sind), den Preis abgewonnen, ist von den Leipzigern
mit derselben kalten Vornehmheit aufgenommen worden, die hier ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/491>, abgerufen am 23.07.2024.