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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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neue, in welchem er sich, für Jedermann hörbar und ersichtlich, dem
Lande als ein zu stützender und zu hebender Patriot hätte erweisen kön¬
nen -- er muß Journalist bleiben, wie grau, wie weiß ihm die Haare
werden, er muß Handarbeit treiben, auch wenn der Körper zusammenbricht!

Armer Freund, ein ganzes Land Sonntest Du beglücken, aber dies
Land konnte Dir nicht einen Acker Erde, konnte Dir nicht ein warmes
Haus geben für die traurige Winterzeit des Alters! Dieser Fluch des
zerrissenen Vaterlandes, in welchem man so kinderleicht heimathlos wer¬
den kann, in welchem das Genie selbst Niemand angehören darf, dieser
Fluch hat Dich im Schneestürme oberhalb Kussteins in den Tod gejagt,
und unsere Thränen, unsere Lorbeerkränze, was sind sie Deiner verwai¬
sten Familie?! Was sind sie den guten Bürgern und guten Egoisten,
die sich die Fülle des Leibes streicheln und weise sprechen: Der Staat
ist nicht für Genies vorhanden!

Danket Gott, daß der Staat trotz so schreiender Undankbarkeit Ge¬
nies findet, und segnet wenigstens im Stillen dieses Grab bei Kufstein,
welches einen der tüchtigsten Schwaben, welches eine politische Fähigkeit
in sich schließt, wie sie leider verzweifelt selten in Deutschland und wie
sie leider ein schwermüthiges Alter finden muß, wenn sie nicht einen weit¬
blickenden Fürsten und nicht ein wahrhaftes Parlament findet, ein Par¬
lament, in welchem Schwabe und Preuße, Oesterreicher und Baier, Franke
und Sachse, vor dem Deutschen zurücktritt. Friedrich List^war ein sol¬
ches Parlamentsmitglied in partibus irckiäelimn.


Heinrich Laube.
it.
Aus Berlin.

Die große Zeitungshalle. -- Theater und Recensenten. -- Graf Gritti und sein
Contract. -- Musikalische Zeitung. -- Alfred Meißner.

Die große Ieitungshalle, welche Herr Gustav Julius hier begründet
hat, stellt sich mit jedem Tage mehr in der Gunst des Publicums fest,
und hier gilt endlich ein Mal in Wahrheit die gewöhnliche Phrase: daß
einem dringenden Bedürfniß abgeholfen wird. Die Zeitunashalle ist ein
Mittelpunkt für Männer aller Klassen der Bildung geworden. Der Ge¬
lehrtenstand wie der Kaufmannstanv, der Publicist wie der Künstler und
Dichter ist in diesen Räumen zu finden. Man hört indessen eine Klage,
die übrigens dem Besitzer 0,-. Julius nur angenehm zu hören sein
kann, über zu engen Raum, namentlich in den Abendstunden, wo der
Kaufmannsstand seine Cohorten nach Befriedigung ihrer literarischen Be¬
dürfnisse aussendet. Die Dienerschaft jedoch ist, merkwürdigerweise in
Berlin, sehr höflich und zuvorkommend. Auch mit der Zeitung geht eS
vorwärts. Wenn auch über den politischen Theil viel geredet wird, er¬
freut sich der Handelsstand an der allerdings ausgezeichneten Handels¬
zeitung und das Publicum im Allgemeinen über den gerichtlichen


Grenzboten. IV. Isi". 5g

neue, in welchem er sich, für Jedermann hörbar und ersichtlich, dem
Lande als ein zu stützender und zu hebender Patriot hätte erweisen kön¬
nen — er muß Journalist bleiben, wie grau, wie weiß ihm die Haare
werden, er muß Handarbeit treiben, auch wenn der Körper zusammenbricht!

Armer Freund, ein ganzes Land Sonntest Du beglücken, aber dies
Land konnte Dir nicht einen Acker Erde, konnte Dir nicht ein warmes
Haus geben für die traurige Winterzeit des Alters! Dieser Fluch des
zerrissenen Vaterlandes, in welchem man so kinderleicht heimathlos wer¬
den kann, in welchem das Genie selbst Niemand angehören darf, dieser
Fluch hat Dich im Schneestürme oberhalb Kussteins in den Tod gejagt,
und unsere Thränen, unsere Lorbeerkränze, was sind sie Deiner verwai¬
sten Familie?! Was sind sie den guten Bürgern und guten Egoisten,
die sich die Fülle des Leibes streicheln und weise sprechen: Der Staat
ist nicht für Genies vorhanden!

Danket Gott, daß der Staat trotz so schreiender Undankbarkeit Ge¬
nies findet, und segnet wenigstens im Stillen dieses Grab bei Kufstein,
welches einen der tüchtigsten Schwaben, welches eine politische Fähigkeit
in sich schließt, wie sie leider verzweifelt selten in Deutschland und wie
sie leider ein schwermüthiges Alter finden muß, wenn sie nicht einen weit¬
blickenden Fürsten und nicht ein wahrhaftes Parlament findet, ein Par¬
lament, in welchem Schwabe und Preuße, Oesterreicher und Baier, Franke
und Sachse, vor dem Deutschen zurücktritt. Friedrich List^war ein sol¬
ches Parlamentsmitglied in partibus irckiäelimn.


Heinrich Laube.
it.
Aus Berlin.

Die große Zeitungshalle. — Theater und Recensenten. — Graf Gritti und sein
Contract. — Musikalische Zeitung. — Alfred Meißner.

Die große Ieitungshalle, welche Herr Gustav Julius hier begründet
hat, stellt sich mit jedem Tage mehr in der Gunst des Publicums fest,
und hier gilt endlich ein Mal in Wahrheit die gewöhnliche Phrase: daß
einem dringenden Bedürfniß abgeholfen wird. Die Zeitunashalle ist ein
Mittelpunkt für Männer aller Klassen der Bildung geworden. Der Ge¬
lehrtenstand wie der Kaufmannstanv, der Publicist wie der Künstler und
Dichter ist in diesen Räumen zu finden. Man hört indessen eine Klage,
die übrigens dem Besitzer 0,-. Julius nur angenehm zu hören sein
kann, über zu engen Raum, namentlich in den Abendstunden, wo der
Kaufmannsstand seine Cohorten nach Befriedigung ihrer literarischen Be¬
dürfnisse aussendet. Die Dienerschaft jedoch ist, merkwürdigerweise in
Berlin, sehr höflich und zuvorkommend. Auch mit der Zeitung geht eS
vorwärts. Wenn auch über den politischen Theil viel geredet wird, er¬
freut sich der Handelsstand an der allerdings ausgezeichneten Handels¬
zeitung und das Publicum im Allgemeinen über den gerichtlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/445>, abgerufen am 03.07.2024.