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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Abend auf einem Balle.



Theurer Carl. -- Endlich! wirst Du ausrufen, wenn Du die¬
se" Brief erbrichst, endlich hat er mir geantwortet, der säumige Kor¬
respondent! aber wie lang ist auch sein Brief, er schickt mir fast ein
ganzes Tagebuch! Zuerst einige Worte, um mich wegen meines
langen Schweigens zu entschuldigen.

Du weißt, daß ich vor zwei Monaten eine Reise nach der Re-
sivenz machte, um eine kleine Erbschaft zu erheben. Seit einem vollen
Jahre war ich ein stillschweigender Bräutigam und es drängte mich
endlich, mein Bräutchen als Gattin heim zu führen, aber die Mittel,
meine Wünsche zu verwirklichen, fehlten, da mein armseliges Aemtchen
kaum hinreichte, mein eigenes Leben zu fristen. Ich reiste also in die
Residenz, um gleichzeitig nebst Empfangnahme der kleinen Erbschaft
mich dem Herrn Justizminister vorzustellen, und bei ihm um eine kleine
Beförderung nachzusuchen. Meine Ansprüche waren durch eine sechs¬
jährige Dienstzeit gehörig gerechtfertigt, ich hoffte auch, mein persön¬
liches Erscheinen würde Sr. Excellenz stark imponiren, und er würde
es mit mir nicht verderben wollen, da ich bedeutenden Einfluß in ei¬
ner Bürgervereinigung unsres Städtchens besitze. Ich begab mich drei¬
mal in die Amtswohnung, merke Dir es wohl, in die Amtswohnung
Sr. Excellenz. Einmal geruhte diese, nicht gegenwärtig zu sein, ein
ander Mal genoß sie eben ein Mittagsschläfchen, und das dritte Mal
erhielt ich die Weisung, mein Gesuch schriftlich einzureichen. Dies ge¬
schah, und ich erhalte richtig und in Bälde eine Antwort von dem
-- Secretär Sr. Excellenz, der mir auf die allerhöflichste und ange¬
nehmste Weise auseinandersetzte, daß, wollte man meinem Gesuche will¬
fahren, halv Jeder kommen würde, um ähnliche Ansprüche geltend zu


Abend auf einem Balle.



Theurer Carl. — Endlich! wirst Du ausrufen, wenn Du die¬
se» Brief erbrichst, endlich hat er mir geantwortet, der säumige Kor¬
respondent! aber wie lang ist auch sein Brief, er schickt mir fast ein
ganzes Tagebuch! Zuerst einige Worte, um mich wegen meines
langen Schweigens zu entschuldigen.

Du weißt, daß ich vor zwei Monaten eine Reise nach der Re-
sivenz machte, um eine kleine Erbschaft zu erheben. Seit einem vollen
Jahre war ich ein stillschweigender Bräutigam und es drängte mich
endlich, mein Bräutchen als Gattin heim zu führen, aber die Mittel,
meine Wünsche zu verwirklichen, fehlten, da mein armseliges Aemtchen
kaum hinreichte, mein eigenes Leben zu fristen. Ich reiste also in die
Residenz, um gleichzeitig nebst Empfangnahme der kleinen Erbschaft
mich dem Herrn Justizminister vorzustellen, und bei ihm um eine kleine
Beförderung nachzusuchen. Meine Ansprüche waren durch eine sechs¬
jährige Dienstzeit gehörig gerechtfertigt, ich hoffte auch, mein persön¬
liches Erscheinen würde Sr. Excellenz stark imponiren, und er würde
es mit mir nicht verderben wollen, da ich bedeutenden Einfluß in ei¬
ner Bürgervereinigung unsres Städtchens besitze. Ich begab mich drei¬
mal in die Amtswohnung, merke Dir es wohl, in die Amtswohnung
Sr. Excellenz. Einmal geruhte diese, nicht gegenwärtig zu sein, ein
ander Mal genoß sie eben ein Mittagsschläfchen, und das dritte Mal
erhielt ich die Weisung, mein Gesuch schriftlich einzureichen. Dies ge¬
schah, und ich erhalte richtig und in Bälde eine Antwort von dem
— Secretär Sr. Excellenz, der mir auf die allerhöflichste und ange¬
nehmste Weise auseinandersetzte, daß, wollte man meinem Gesuche will¬
fahren, halv Jeder kommen würde, um ähnliche Ansprüche geltend zu


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[0557] Abend auf einem Balle. Theurer Carl. — Endlich! wirst Du ausrufen, wenn Du die¬ se» Brief erbrichst, endlich hat er mir geantwortet, der säumige Kor¬ respondent! aber wie lang ist auch sein Brief, er schickt mir fast ein ganzes Tagebuch! Zuerst einige Worte, um mich wegen meines langen Schweigens zu entschuldigen. Du weißt, daß ich vor zwei Monaten eine Reise nach der Re- sivenz machte, um eine kleine Erbschaft zu erheben. Seit einem vollen Jahre war ich ein stillschweigender Bräutigam und es drängte mich endlich, mein Bräutchen als Gattin heim zu führen, aber die Mittel, meine Wünsche zu verwirklichen, fehlten, da mein armseliges Aemtchen kaum hinreichte, mein eigenes Leben zu fristen. Ich reiste also in die Residenz, um gleichzeitig nebst Empfangnahme der kleinen Erbschaft mich dem Herrn Justizminister vorzustellen, und bei ihm um eine kleine Beförderung nachzusuchen. Meine Ansprüche waren durch eine sechs¬ jährige Dienstzeit gehörig gerechtfertigt, ich hoffte auch, mein persön¬ liches Erscheinen würde Sr. Excellenz stark imponiren, und er würde es mit mir nicht verderben wollen, da ich bedeutenden Einfluß in ei¬ ner Bürgervereinigung unsres Städtchens besitze. Ich begab mich drei¬ mal in die Amtswohnung, merke Dir es wohl, in die Amtswohnung Sr. Excellenz. Einmal geruhte diese, nicht gegenwärtig zu sein, ein ander Mal genoß sie eben ein Mittagsschläfchen, und das dritte Mal erhielt ich die Weisung, mein Gesuch schriftlich einzureichen. Dies ge¬ schah, und ich erhalte richtig und in Bälde eine Antwort von dem — Secretär Sr. Excellenz, der mir auf die allerhöflichste und ange¬ nehmste Weise auseinandersetzte, daß, wollte man meinem Gesuche will¬ fahren, halv Jeder kommen würde, um ähnliche Ansprüche geltend zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/557>, abgerufen am 28.12.2024.