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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Nutzen und die Wichtigkeit einer solchen Kritik nicht ableugnen können-
Berlin hat allzuhäufig durch seine Kritik ganz Deutschland in Schach
gehalten und die Kritik in Berlin hat jedenfalls schon eben so viel gethan,
als man auswärts mit allen schönen, scheinbaren, großartig beginnenden
und klein endenden Thaten thun konnte.

Die größte Schwäche Berlins, die häufigste Folge so vieler Verir-
rungen und Mißverständnisse aber, ist das Geheimniß, die Geheimniß-
thuerei, das Dunkel, welche auf Berlin und seinen Zuständen ruhen.
Der Civilisationsprozeß, welchen Berlin nach allen Richtungen des Lebens
durchmacht, würde weit kräftiger erscheinen und mit ganz andern Augen
angesehen werden können, als es jetzt geschieht, wenn sich bei uns nicht
alles hinter die Mysterien verkröche und zum Theil, aus staatlichen Rück¬
sichten, verkriechen müßte. Würde mit einem Male der Deckel wegge¬
nommen, welcher den großen Topf bedeckt, man würde erstaunen, was
in Berlin vorgeht und wie diese Stadt sich entwickelt hat, um welche
Fragen es sich in ihr handelt und wie sich in dem fürchterlichen Aer-
störungsprozesse unserer praktischen und theoretischen Kritik allenthalben
die schüchternen Elemente eines neuen Werdens zeigen. Was Berlin ist,
was es in sich verarbeitet, was es werden kann, das erfährt man nur
durch das Leben selbst, durch das schmiegsame Schlüpfen hinter die Decken
und Vorhänge, welche bei uns überall das Licht zurückhalten; unser"
Presse ist eine Lügnerin, eine thatsächliche Unwahrheit. Durch sie ist
Berlin nicht kennen zu lernen. Wer sich durch die Vossische Zeitung
über Berlin orientiren wollte, bliebe ein Dummkopf. Und die Corre-
spondenzen auswärtiger Blätter, mit denen Berlin so reich und überreich,
in einem so vorwiegenden Maße über alle andern deutschen Zustände
gesegnet ist? Auch sie können nicht die richtigen Führer werden. Eines¬
theils sind sie lose schlotternde Notizen, die eben nur deshalb dem deut¬
schen Publicum interessant werden, weil sie aus dem Herzpunkte Preu¬
ßens kommen, andererseits wird die Wahrheit und Vielseitigkeit der Zu¬
stände durch die verschiedenartigsten Parteiinteressen ganz nach Belieben
entstellt. Berlin wird in den meisten Berichten und Correspondenzen
immer noch vom "düstern Keller" aus gesehen und trotzdem, daß die
Augen in Deutschland so vielfach auf Berlin gerichtet sind, ist es in
seiner innern Entwickelung, in seiner kritischen Bewegung, in seinen
socialen Prozessen immer noch eine große terrir lin:oKiiU" geblieben. Es
fehlt nur ein Werk, welches durch Geist, Kenntniß und Studium das
eigentliche Berlin dem großen Publicum eindudeln und dadurch theils
Vorurth F.^- eile lösen, theils bestätigen würde.


2.

Französische und deutsche Recensenten. -- Berliner Sängerinnen in der
Fremde. -- Döring. -- Bäume und Spötter.

Unsere 10 Wochen alte "Abeille" lMMctvur vn mot Ur. le ?r".
tesiieur vnvivior) scheint den herben Lohn des Undanks von den Kunst¬
reitern Cuzent et Lejars geendet zu haben. Himmel! wie wurden


Grmzbvt-N, II.

Nutzen und die Wichtigkeit einer solchen Kritik nicht ableugnen können-
Berlin hat allzuhäufig durch seine Kritik ganz Deutschland in Schach
gehalten und die Kritik in Berlin hat jedenfalls schon eben so viel gethan,
als man auswärts mit allen schönen, scheinbaren, großartig beginnenden
und klein endenden Thaten thun konnte.

Die größte Schwäche Berlins, die häufigste Folge so vieler Verir-
rungen und Mißverständnisse aber, ist das Geheimniß, die Geheimniß-
thuerei, das Dunkel, welche auf Berlin und seinen Zuständen ruhen.
Der Civilisationsprozeß, welchen Berlin nach allen Richtungen des Lebens
durchmacht, würde weit kräftiger erscheinen und mit ganz andern Augen
angesehen werden können, als es jetzt geschieht, wenn sich bei uns nicht
alles hinter die Mysterien verkröche und zum Theil, aus staatlichen Rück¬
sichten, verkriechen müßte. Würde mit einem Male der Deckel wegge¬
nommen, welcher den großen Topf bedeckt, man würde erstaunen, was
in Berlin vorgeht und wie diese Stadt sich entwickelt hat, um welche
Fragen es sich in ihr handelt und wie sich in dem fürchterlichen Aer-
störungsprozesse unserer praktischen und theoretischen Kritik allenthalben
die schüchternen Elemente eines neuen Werdens zeigen. Was Berlin ist,
was es in sich verarbeitet, was es werden kann, das erfährt man nur
durch das Leben selbst, durch das schmiegsame Schlüpfen hinter die Decken
und Vorhänge, welche bei uns überall das Licht zurückhalten; unser«
Presse ist eine Lügnerin, eine thatsächliche Unwahrheit. Durch sie ist
Berlin nicht kennen zu lernen. Wer sich durch die Vossische Zeitung
über Berlin orientiren wollte, bliebe ein Dummkopf. Und die Corre-
spondenzen auswärtiger Blätter, mit denen Berlin so reich und überreich,
in einem so vorwiegenden Maße über alle andern deutschen Zustände
gesegnet ist? Auch sie können nicht die richtigen Führer werden. Eines¬
theils sind sie lose schlotternde Notizen, die eben nur deshalb dem deut¬
schen Publicum interessant werden, weil sie aus dem Herzpunkte Preu¬
ßens kommen, andererseits wird die Wahrheit und Vielseitigkeit der Zu¬
stände durch die verschiedenartigsten Parteiinteressen ganz nach Belieben
entstellt. Berlin wird in den meisten Berichten und Correspondenzen
immer noch vom „düstern Keller" aus gesehen und trotzdem, daß die
Augen in Deutschland so vielfach auf Berlin gerichtet sind, ist es in
seiner innern Entwickelung, in seiner kritischen Bewegung, in seinen
socialen Prozessen immer noch eine große terrir lin:oKiiU» geblieben. Es
fehlt nur ein Werk, welches durch Geist, Kenntniß und Studium das
eigentliche Berlin dem großen Publicum eindudeln und dadurch theils
Vorurth F.^- eile lösen, theils bestätigen würde.


2.

Französische und deutsche Recensenten. — Berliner Sängerinnen in der
Fremde. — Döring. — Bäume und Spötter.

Unsere 10 Wochen alte „Abeille" lMMctvur vn mot Ur. le ?r«.
tesiieur vnvivior) scheint den herben Lohn des Undanks von den Kunst¬
reitern Cuzent et Lejars geendet zu haben. Himmel! wie wurden


Grmzbvt-N, II.
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[0361] Nutzen und die Wichtigkeit einer solchen Kritik nicht ableugnen können- Berlin hat allzuhäufig durch seine Kritik ganz Deutschland in Schach gehalten und die Kritik in Berlin hat jedenfalls schon eben so viel gethan, als man auswärts mit allen schönen, scheinbaren, großartig beginnenden und klein endenden Thaten thun konnte. Die größte Schwäche Berlins, die häufigste Folge so vieler Verir- rungen und Mißverständnisse aber, ist das Geheimniß, die Geheimniß- thuerei, das Dunkel, welche auf Berlin und seinen Zuständen ruhen. Der Civilisationsprozeß, welchen Berlin nach allen Richtungen des Lebens durchmacht, würde weit kräftiger erscheinen und mit ganz andern Augen angesehen werden können, als es jetzt geschieht, wenn sich bei uns nicht alles hinter die Mysterien verkröche und zum Theil, aus staatlichen Rück¬ sichten, verkriechen müßte. Würde mit einem Male der Deckel wegge¬ nommen, welcher den großen Topf bedeckt, man würde erstaunen, was in Berlin vorgeht und wie diese Stadt sich entwickelt hat, um welche Fragen es sich in ihr handelt und wie sich in dem fürchterlichen Aer- störungsprozesse unserer praktischen und theoretischen Kritik allenthalben die schüchternen Elemente eines neuen Werdens zeigen. Was Berlin ist, was es in sich verarbeitet, was es werden kann, das erfährt man nur durch das Leben selbst, durch das schmiegsame Schlüpfen hinter die Decken und Vorhänge, welche bei uns überall das Licht zurückhalten; unser« Presse ist eine Lügnerin, eine thatsächliche Unwahrheit. Durch sie ist Berlin nicht kennen zu lernen. Wer sich durch die Vossische Zeitung über Berlin orientiren wollte, bliebe ein Dummkopf. Und die Corre- spondenzen auswärtiger Blätter, mit denen Berlin so reich und überreich, in einem so vorwiegenden Maße über alle andern deutschen Zustände gesegnet ist? Auch sie können nicht die richtigen Führer werden. Eines¬ theils sind sie lose schlotternde Notizen, die eben nur deshalb dem deut¬ schen Publicum interessant werden, weil sie aus dem Herzpunkte Preu¬ ßens kommen, andererseits wird die Wahrheit und Vielseitigkeit der Zu¬ stände durch die verschiedenartigsten Parteiinteressen ganz nach Belieben entstellt. Berlin wird in den meisten Berichten und Correspondenzen immer noch vom „düstern Keller" aus gesehen und trotzdem, daß die Augen in Deutschland so vielfach auf Berlin gerichtet sind, ist es in seiner innern Entwickelung, in seiner kritischen Bewegung, in seinen socialen Prozessen immer noch eine große terrir lin:oKiiU» geblieben. Es fehlt nur ein Werk, welches durch Geist, Kenntniß und Studium das eigentliche Berlin dem großen Publicum eindudeln und dadurch theils Vorurth F.^- eile lösen, theils bestätigen würde. 2. Französische und deutsche Recensenten. — Berliner Sängerinnen in der Fremde. — Döring. — Bäume und Spötter. Unsere 10 Wochen alte „Abeille" lMMctvur vn mot Ur. le ?r«. tesiieur vnvivior) scheint den herben Lohn des Undanks von den Kunst¬ reitern Cuzent et Lejars geendet zu haben. Himmel! wie wurden Grmzbvt-N, II.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/361>, abgerufen am 28.12.2024.