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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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geschwungen und die modernen Köck und Gustes haben fast die
alten ehrsamen Staberl und Mariandls vom Schauplatz verdrängt.


I>
Der Hochcidel.

Fast bereue ich die Hauptüberschrift dieser Skizzen, und wer
sie als schlecht gewählt tadelt, der thut es mit Recht. Wiener Ge¬
sellschaft? ES giebt in Wien Gesellschaftskreise, aber es giebt keine
Gesellschaft. Jener Begriff, den man in Paris mit dem Worte
la societe verbindet, ist ein ganz anderer als hier. In Frankreich
ist jeder Mann von Erziehung, von unabhängiger Stellung und
feiner Sitte ein Mann der Gesellschaft. Selbst die spröde, zurück¬
gezogene legitimistische Aristokratie des Foubourg Se. Germain öff¬
net ihre Salons den hervorragenden Namen Frankreichs, die nicht
gerade im politischen Widerspruche zu ihr stehen. Künstler, Dichter
und Gelehrte werden auch in diesen erclusiven Kreisen als eine
Zierde und Würze der Gesellschaft betrachtet, und mit jener Aus¬
zeichnung empfangen, die dem Geiste und dem Talente gebührt.
Was jedoch' in Wien eigenmächtig den Titel der Societät usurpiren
will, das ist nur eine Coterie, wo die Todten mehr zählen als die
Lebendigen, der Stammbaum mehr als die Früchte, und wo die
Doppelz.est der soixe ini-^rtiers <le ri^cur auch die Roheit und Ig¬
noranz zur Aufnahme patentiren. Zwar werden auch hier die Künst¬
ler alö Würze angesehen, aber ungefähr wie man die Lorbeerblätter
bei der Sauce gebraucht; nachdem sie ihren Dienst gethan, werden
sie weggeworfen. Man erröthet im heiligen Namen der Kunst, die
sich zu so niedrigem Dienste hingeben muß, vor Scham und Zorn,
wenn man erfährt, daß die ausgezeichnetesten Künstler, nachdem sie
die Ohren und Nerven einer hohen aristokratischen Soiree, zu der
sie geladen wurden, magnetisirt, begeistert haben, dann an einem
ertra Tische abgespeist, und nachdem das tmprovisirte Concert zu
Ende ist, mit einem Geschenke nach Hause geschickt werden, ohne
an dem Rest der Gesellschaft Theil zu nehmen. Dies ist keine Ue¬
bertreibung, sondern eine in unserem ni^n lito ganz gewöhnliche
Sitte! Ich kenne einen jungen Künstler, in dem der frische Jugend¬
muth und die Begeisterung für die Würde seines Berufes noch zu
heftig lebt, um ihn in den Morast der Wohldteneret vieler seiner


geschwungen und die modernen Köck und Gustes haben fast die
alten ehrsamen Staberl und Mariandls vom Schauplatz verdrängt.


I>
Der Hochcidel.

Fast bereue ich die Hauptüberschrift dieser Skizzen, und wer
sie als schlecht gewählt tadelt, der thut es mit Recht. Wiener Ge¬
sellschaft? ES giebt in Wien Gesellschaftskreise, aber es giebt keine
Gesellschaft. Jener Begriff, den man in Paris mit dem Worte
la societe verbindet, ist ein ganz anderer als hier. In Frankreich
ist jeder Mann von Erziehung, von unabhängiger Stellung und
feiner Sitte ein Mann der Gesellschaft. Selbst die spröde, zurück¬
gezogene legitimistische Aristokratie des Foubourg Se. Germain öff¬
net ihre Salons den hervorragenden Namen Frankreichs, die nicht
gerade im politischen Widerspruche zu ihr stehen. Künstler, Dichter
und Gelehrte werden auch in diesen erclusiven Kreisen als eine
Zierde und Würze der Gesellschaft betrachtet, und mit jener Aus¬
zeichnung empfangen, die dem Geiste und dem Talente gebührt.
Was jedoch' in Wien eigenmächtig den Titel der Societät usurpiren
will, das ist nur eine Coterie, wo die Todten mehr zählen als die
Lebendigen, der Stammbaum mehr als die Früchte, und wo die
Doppelz.est der soixe ini-^rtiers <le ri^cur auch die Roheit und Ig¬
noranz zur Aufnahme patentiren. Zwar werden auch hier die Künst¬
ler alö Würze angesehen, aber ungefähr wie man die Lorbeerblätter
bei der Sauce gebraucht; nachdem sie ihren Dienst gethan, werden
sie weggeworfen. Man erröthet im heiligen Namen der Kunst, die
sich zu so niedrigem Dienste hingeben muß, vor Scham und Zorn,
wenn man erfährt, daß die ausgezeichnetesten Künstler, nachdem sie
die Ohren und Nerven einer hohen aristokratischen Soiree, zu der
sie geladen wurden, magnetisirt, begeistert haben, dann an einem
ertra Tische abgespeist, und nachdem das tmprovisirte Concert zu
Ende ist, mit einem Geschenke nach Hause geschickt werden, ohne
an dem Rest der Gesellschaft Theil zu nehmen. Dies ist keine Ue¬
bertreibung, sondern eine in unserem ni^n lito ganz gewöhnliche
Sitte! Ich kenne einen jungen Künstler, in dem der frische Jugend¬
muth und die Begeisterung für die Würde seines Berufes noch zu
heftig lebt, um ihn in den Morast der Wohldteneret vieler seiner


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[0436] geschwungen und die modernen Köck und Gustes haben fast die alten ehrsamen Staberl und Mariandls vom Schauplatz verdrängt. I> Der Hochcidel. Fast bereue ich die Hauptüberschrift dieser Skizzen, und wer sie als schlecht gewählt tadelt, der thut es mit Recht. Wiener Ge¬ sellschaft? ES giebt in Wien Gesellschaftskreise, aber es giebt keine Gesellschaft. Jener Begriff, den man in Paris mit dem Worte la societe verbindet, ist ein ganz anderer als hier. In Frankreich ist jeder Mann von Erziehung, von unabhängiger Stellung und feiner Sitte ein Mann der Gesellschaft. Selbst die spröde, zurück¬ gezogene legitimistische Aristokratie des Foubourg Se. Germain öff¬ net ihre Salons den hervorragenden Namen Frankreichs, die nicht gerade im politischen Widerspruche zu ihr stehen. Künstler, Dichter und Gelehrte werden auch in diesen erclusiven Kreisen als eine Zierde und Würze der Gesellschaft betrachtet, und mit jener Aus¬ zeichnung empfangen, die dem Geiste und dem Talente gebührt. Was jedoch' in Wien eigenmächtig den Titel der Societät usurpiren will, das ist nur eine Coterie, wo die Todten mehr zählen als die Lebendigen, der Stammbaum mehr als die Früchte, und wo die Doppelz.est der soixe ini-^rtiers <le ri^cur auch die Roheit und Ig¬ noranz zur Aufnahme patentiren. Zwar werden auch hier die Künst¬ ler alö Würze angesehen, aber ungefähr wie man die Lorbeerblätter bei der Sauce gebraucht; nachdem sie ihren Dienst gethan, werden sie weggeworfen. Man erröthet im heiligen Namen der Kunst, die sich zu so niedrigem Dienste hingeben muß, vor Scham und Zorn, wenn man erfährt, daß die ausgezeichnetesten Künstler, nachdem sie die Ohren und Nerven einer hohen aristokratischen Soiree, zu der sie geladen wurden, magnetisirt, begeistert haben, dann an einem ertra Tische abgespeist, und nachdem das tmprovisirte Concert zu Ende ist, mit einem Geschenke nach Hause geschickt werden, ohne an dem Rest der Gesellschaft Theil zu nehmen. Dies ist keine Ue¬ bertreibung, sondern eine in unserem ni^n lito ganz gewöhnliche Sitte! Ich kenne einen jungen Künstler, in dem der frische Jugend¬ muth und die Begeisterung für die Würde seines Berufes noch zu heftig lebt, um ihn in den Morast der Wohldteneret vieler seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/436>, abgerufen am 05.02.2025.