Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
K r a k a n.
Bon K. Göhring.



III.

Ich durfte am Abend, als ich das Haus meiner Reisegefährten
verließ, um mich in ein Hi>tel zu begeben, nicht für immer, sondern
nur für diese Nacht Abschied nehmen.

"So lange Sie in Krakau sind, sind Sie unser Gast -- daS
fordern wir von Ihnen," sagte man.

Am andern Morgen -- noch war es nicht einmal acht Uhr --
war schon ein Bedienter bei mir im Hütel, um mich zurückzuführen
in das Haus meiner so gefälligen polnischen Freunde.

Ich bemerke hier, daß in größeren Städten nie der Pole seine
Gastfreundschaft auf die Nacht ausdehnt, und der Gast, welcher auf
eine nächtliche Ruhestätte Anspruch machte, würde für einen sehr un¬
gesitteten Menschen gehalten werden. Die reichste glänzendste Tafel
bietet der städtische Pole gern seinem Gaste, aber nicht das dürftigste
Bett.

Wir wanderten nach dem königlichen Lustschloß Lobcuw, welches
ungefähr eine halbe Stunde von Krakau entfernt beim Dörfchen
gleiches Namens ungemein romantisch liegt. Das Schloß ist kaum
für etwas anders anzunehmen als für ein hübsches Landhaus, und zeigt
nichts von der Pracht, in welcher Könige und Königinnen zu woh¬
nen lieben. Ehedem hat das Schloß allerdings von Pracht gestrotzt;
der gegenwärtige Mangel an solcher rührt von den Schweden her,
welche wie Raben alles Glänzende und Werthvolle hinweggerafft.

Gegenwärtig gehört Lobcvw der Universität zu Krakau, steht
aber unter der Vormundschaft der freistädtischen Negierung. Am


K r a k a n.
Bon K. Göhring.



III.

Ich durfte am Abend, als ich das Haus meiner Reisegefährten
verließ, um mich in ein Hi>tel zu begeben, nicht für immer, sondern
nur für diese Nacht Abschied nehmen.

„So lange Sie in Krakau sind, sind Sie unser Gast — daS
fordern wir von Ihnen," sagte man.

Am andern Morgen — noch war es nicht einmal acht Uhr —
war schon ein Bedienter bei mir im Hütel, um mich zurückzuführen
in das Haus meiner so gefälligen polnischen Freunde.

Ich bemerke hier, daß in größeren Städten nie der Pole seine
Gastfreundschaft auf die Nacht ausdehnt, und der Gast, welcher auf
eine nächtliche Ruhestätte Anspruch machte, würde für einen sehr un¬
gesitteten Menschen gehalten werden. Die reichste glänzendste Tafel
bietet der städtische Pole gern seinem Gaste, aber nicht das dürftigste
Bett.

Wir wanderten nach dem königlichen Lustschloß Lobcuw, welches
ungefähr eine halbe Stunde von Krakau entfernt beim Dörfchen
gleiches Namens ungemein romantisch liegt. Das Schloß ist kaum
für etwas anders anzunehmen als für ein hübsches Landhaus, und zeigt
nichts von der Pracht, in welcher Könige und Königinnen zu woh¬
nen lieben. Ehedem hat das Schloß allerdings von Pracht gestrotzt;
der gegenwärtige Mangel an solcher rührt von den Schweden her,
welche wie Raben alles Glänzende und Werthvolle hinweggerafft.

Gegenwärtig gehört Lobcvw der Universität zu Krakau, steht
aber unter der Vormundschaft der freistädtischen Negierung. Am


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271563"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> K r a k a n.<lb/><note type="byline"> Bon K. Göhring.</note></head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> III.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_861"> Ich durfte am Abend, als ich das Haus meiner Reisegefährten<lb/>
verließ, um mich in ein Hi&gt;tel zu begeben, nicht für immer, sondern<lb/>
nur für diese Nacht Abschied nehmen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_862"> &#x201E;So lange Sie in Krakau sind, sind Sie unser Gast &#x2014; daS<lb/>
fordern wir von Ihnen," sagte man.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_863"> Am andern Morgen &#x2014; noch war es nicht einmal acht Uhr &#x2014;<lb/>
war schon ein Bedienter bei mir im Hütel, um mich zurückzuführen<lb/>
in das Haus meiner so gefälligen polnischen Freunde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_864"> Ich bemerke hier, daß in größeren Städten nie der Pole seine<lb/>
Gastfreundschaft auf die Nacht ausdehnt, und der Gast, welcher auf<lb/>
eine nächtliche Ruhestätte Anspruch machte, würde für einen sehr un¬<lb/>
gesitteten Menschen gehalten werden. Die reichste glänzendste Tafel<lb/>
bietet der städtische Pole gern seinem Gaste, aber nicht das dürftigste<lb/>
Bett.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_865"> Wir wanderten nach dem königlichen Lustschloß Lobcuw, welches<lb/>
ungefähr eine halbe Stunde von Krakau entfernt beim Dörfchen<lb/>
gleiches Namens ungemein romantisch liegt. Das Schloß ist kaum<lb/>
für etwas anders anzunehmen als für ein hübsches Landhaus, und zeigt<lb/>
nichts von der Pracht, in welcher Könige und Königinnen zu woh¬<lb/>
nen lieben. Ehedem hat das Schloß allerdings von Pracht gestrotzt;<lb/>
der gegenwärtige Mangel an solcher rührt von den Schweden her,<lb/>
welche wie Raben alles Glänzende und Werthvolle hinweggerafft.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_866" next="#ID_867"> Gegenwärtig gehört Lobcvw der Universität zu Krakau, steht<lb/>
aber unter der Vormundschaft der freistädtischen Negierung. Am</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0302] K r a k a n. Bon K. Göhring. III. Ich durfte am Abend, als ich das Haus meiner Reisegefährten verließ, um mich in ein Hi>tel zu begeben, nicht für immer, sondern nur für diese Nacht Abschied nehmen. „So lange Sie in Krakau sind, sind Sie unser Gast — daS fordern wir von Ihnen," sagte man. Am andern Morgen — noch war es nicht einmal acht Uhr — war schon ein Bedienter bei mir im Hütel, um mich zurückzuführen in das Haus meiner so gefälligen polnischen Freunde. Ich bemerke hier, daß in größeren Städten nie der Pole seine Gastfreundschaft auf die Nacht ausdehnt, und der Gast, welcher auf eine nächtliche Ruhestätte Anspruch machte, würde für einen sehr un¬ gesitteten Menschen gehalten werden. Die reichste glänzendste Tafel bietet der städtische Pole gern seinem Gaste, aber nicht das dürftigste Bett. Wir wanderten nach dem königlichen Lustschloß Lobcuw, welches ungefähr eine halbe Stunde von Krakau entfernt beim Dörfchen gleiches Namens ungemein romantisch liegt. Das Schloß ist kaum für etwas anders anzunehmen als für ein hübsches Landhaus, und zeigt nichts von der Pracht, in welcher Könige und Königinnen zu woh¬ nen lieben. Ehedem hat das Schloß allerdings von Pracht gestrotzt; der gegenwärtige Mangel an solcher rührt von den Schweden her, welche wie Raben alles Glänzende und Werthvolle hinweggerafft. Gegenwärtig gehört Lobcvw der Universität zu Krakau, steht aber unter der Vormundschaft der freistädtischen Negierung. Am

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/302
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/302>, abgerufen am 05.02.2025.