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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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dürre Stab gegrünt und Gott selbst den Bann des Pabstes vernich¬
tet habe.

Bin ich bei der Erzählung des sujets, das mit der Compost-
tion innig verwebt, ein schönes Ganze bildet, zu weitläufig gewor¬
den, so mögen mich Ihre Leser entschuldigen, es war kaum möglich,
es kürzer zu fassen und in so fern schon nöthig, einige Worte dar¬
über zu sagen, als böswillige Neider dem Werke auch darin zu scha¬
den suchten, daß sie behaupteten, es habe, wie die Hugenotten eine
protestantische, so eine katholische Tendenz. Die Abendzeitung hat
sich besonders bei dieser Gelegenheit ausgezeichnet. Könnte dieser Oper
überhaupt eine religiöse Tendenz untergelegt werden, so müßte es
unfehlbar eine deutsch-katholische sein, denn Tannhäuser sagt sich ja
zuletzt vom Pabste los und der Schlußvcrs der Pilger "Hoch über
alle Welt ist Gott" scheint keineswegs eine Einladung zu dem Glau¬
ben an die Unfehlbarkeit des Stellvertreters. Dann möchte man aber
eben so leicht der Entführung aus dem Serail eine türkische, und
der Vestalin eine heidnische Tendenz beilegen. Daß übrigens die
Anfeindung solche Waffen sucht, spricht sehr zu Gunsten der Sache selbst.

Sich noch über die Musik ausführlich zu verbreiten, würde
mir hier der Raum nicht gestatten, es ist auch stets leichter, eine
Composition in ihren einzelnen Theilen herunter zu machen, als dem
Leser den Beweis ihrer Trefflichkeit zu geben: das muß gehört und
empfunden sein. Nur diese kurze Bemerkung sei mir noch erlaubt,
daß der Tannhäuser ein aus einem Guß bestehendes Ganze ist, in
welchem sich Arien, Duetten ze. zu wenig scharf abzeichnen, um die
Masse von darin verschmolzenen Melodieen sogleich scheiden und er¬
fassen zu können. Wagners Dichtung spricht übrigens nicht, wie
Manche behaupten wollten, nur zum Verstände, sondern auch zum
Herzen, und wird sich überall, so trefflich dargestellt wie hier, einen
glänzenden Erfolg sichern.


IV.
Zu ebener Erde und im erste" Stock.

Welche Kluft doch zwischen den Anschauungen und der Den-
kungsweise der verschiedenen Stände in Deutschland existirt! Wenn
das Leben im gewöhnlichen Gleise hingeht, merkt man es kaum; das
lauernde Mißtrauen versteckt sich hinter allgemeinen Phrasen und ge¬
genseitigen Artigkeiten, die so viel wie Nichts sagen. Aber laßt nur
das kleinste Ereigniß eintreten und treibt euch dann im Leben um¬
her; beschränkt euch nicht auf eure gewöhnlichen Umgangskreise und
schöpft aus andern Quellen, als aus den trüben und getrübten der
Aeirungspresse: ihr sollt Euch wundern, wie verschieden sich derselbe
Vorfall, der unter unser Aller Augen sich ereignet hat, in den Köpfen


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dürre Stab gegrünt und Gott selbst den Bann des Pabstes vernich¬
tet habe.

Bin ich bei der Erzählung des sujets, das mit der Compost-
tion innig verwebt, ein schönes Ganze bildet, zu weitläufig gewor¬
den, so mögen mich Ihre Leser entschuldigen, es war kaum möglich,
es kürzer zu fassen und in so fern schon nöthig, einige Worte dar¬
über zu sagen, als böswillige Neider dem Werke auch darin zu scha¬
den suchten, daß sie behaupteten, es habe, wie die Hugenotten eine
protestantische, so eine katholische Tendenz. Die Abendzeitung hat
sich besonders bei dieser Gelegenheit ausgezeichnet. Könnte dieser Oper
überhaupt eine religiöse Tendenz untergelegt werden, so müßte es
unfehlbar eine deutsch-katholische sein, denn Tannhäuser sagt sich ja
zuletzt vom Pabste los und der Schlußvcrs der Pilger „Hoch über
alle Welt ist Gott" scheint keineswegs eine Einladung zu dem Glau¬
ben an die Unfehlbarkeit des Stellvertreters. Dann möchte man aber
eben so leicht der Entführung aus dem Serail eine türkische, und
der Vestalin eine heidnische Tendenz beilegen. Daß übrigens die
Anfeindung solche Waffen sucht, spricht sehr zu Gunsten der Sache selbst.

Sich noch über die Musik ausführlich zu verbreiten, würde
mir hier der Raum nicht gestatten, es ist auch stets leichter, eine
Composition in ihren einzelnen Theilen herunter zu machen, als dem
Leser den Beweis ihrer Trefflichkeit zu geben: das muß gehört und
empfunden sein. Nur diese kurze Bemerkung sei mir noch erlaubt,
daß der Tannhäuser ein aus einem Guß bestehendes Ganze ist, in
welchem sich Arien, Duetten ze. zu wenig scharf abzeichnen, um die
Masse von darin verschmolzenen Melodieen sogleich scheiden und er¬
fassen zu können. Wagners Dichtung spricht übrigens nicht, wie
Manche behaupten wollten, nur zum Verstände, sondern auch zum
Herzen, und wird sich überall, so trefflich dargestellt wie hier, einen
glänzenden Erfolg sichern.


IV.
Zu ebener Erde und im erste» Stock.

Welche Kluft doch zwischen den Anschauungen und der Den-
kungsweise der verschiedenen Stände in Deutschland existirt! Wenn
das Leben im gewöhnlichen Gleise hingeht, merkt man es kaum; das
lauernde Mißtrauen versteckt sich hinter allgemeinen Phrasen und ge¬
genseitigen Artigkeiten, die so viel wie Nichts sagen. Aber laßt nur
das kleinste Ereigniß eintreten und treibt euch dann im Leben um¬
her; beschränkt euch nicht auf eure gewöhnlichen Umgangskreise und
schöpft aus andern Quellen, als aus den trüben und getrübten der
Aeirungspresse: ihr sollt Euch wundern, wie verschieden sich derselbe
Vorfall, der unter unser Aller Augen sich ereignet hat, in den Köpfen


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[0287] dürre Stab gegrünt und Gott selbst den Bann des Pabstes vernich¬ tet habe. Bin ich bei der Erzählung des sujets, das mit der Compost- tion innig verwebt, ein schönes Ganze bildet, zu weitläufig gewor¬ den, so mögen mich Ihre Leser entschuldigen, es war kaum möglich, es kürzer zu fassen und in so fern schon nöthig, einige Worte dar¬ über zu sagen, als böswillige Neider dem Werke auch darin zu scha¬ den suchten, daß sie behaupteten, es habe, wie die Hugenotten eine protestantische, so eine katholische Tendenz. Die Abendzeitung hat sich besonders bei dieser Gelegenheit ausgezeichnet. Könnte dieser Oper überhaupt eine religiöse Tendenz untergelegt werden, so müßte es unfehlbar eine deutsch-katholische sein, denn Tannhäuser sagt sich ja zuletzt vom Pabste los und der Schlußvcrs der Pilger „Hoch über alle Welt ist Gott" scheint keineswegs eine Einladung zu dem Glau¬ ben an die Unfehlbarkeit des Stellvertreters. Dann möchte man aber eben so leicht der Entführung aus dem Serail eine türkische, und der Vestalin eine heidnische Tendenz beilegen. Daß übrigens die Anfeindung solche Waffen sucht, spricht sehr zu Gunsten der Sache selbst. Sich noch über die Musik ausführlich zu verbreiten, würde mir hier der Raum nicht gestatten, es ist auch stets leichter, eine Composition in ihren einzelnen Theilen herunter zu machen, als dem Leser den Beweis ihrer Trefflichkeit zu geben: das muß gehört und empfunden sein. Nur diese kurze Bemerkung sei mir noch erlaubt, daß der Tannhäuser ein aus einem Guß bestehendes Ganze ist, in welchem sich Arien, Duetten ze. zu wenig scharf abzeichnen, um die Masse von darin verschmolzenen Melodieen sogleich scheiden und er¬ fassen zu können. Wagners Dichtung spricht übrigens nicht, wie Manche behaupten wollten, nur zum Verstände, sondern auch zum Herzen, und wird sich überall, so trefflich dargestellt wie hier, einen glänzenden Erfolg sichern. IV. Zu ebener Erde und im erste» Stock. Welche Kluft doch zwischen den Anschauungen und der Den- kungsweise der verschiedenen Stände in Deutschland existirt! Wenn das Leben im gewöhnlichen Gleise hingeht, merkt man es kaum; das lauernde Mißtrauen versteckt sich hinter allgemeinen Phrasen und ge¬ genseitigen Artigkeiten, die so viel wie Nichts sagen. Aber laßt nur das kleinste Ereigniß eintreten und treibt euch dann im Leben um¬ her; beschränkt euch nicht auf eure gewöhnlichen Umgangskreise und schöpft aus andern Quellen, als aus den trüben und getrübten der Aeirungspresse: ihr sollt Euch wundern, wie verschieden sich derselbe Vorfall, der unter unser Aller Augen sich ereignet hat, in den Köpfen 36*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/287>, abgerufen am 05.02.2025.